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Ansichten eines Außenseiters (VII):
Wie die Dynamik des Konzils kirchenamtlich verspielt wurde.
Oktober 2006
Christen, die sich ein "historisches Gedächtnis" bewahrt haben, fragen
sich oft, wie es geschehen konnte, dass nach der Dynamik des Konzils –
40 Jahre danach – die Kirchen und Gemeinden von einer tödlichen Lähmung
befallen sind. Diese Frage stellt sich auch im Blick auf Papst Benedikt
XVI. Dieser hat als "fortschrittlicher Theologe" beim Konzil mitgewirkt;
ist später – in den 1968er Jahren – auf die sog. "konservative Linie"
umgeschwenkt. Als Papst tritt er heute mit einer großen Offenheit zur
"Ökumene" auf, zum "Dialog mit den Religionen", zur "Erneuerung des
Glaubenslebens" usw. Auffallend ist, dass es stets an konkreten Schritten
und Maßnahmen fehlt. Hilflosigkeit – bei aller persönlichen Integrität?
Einfaches Abschalten gegenüber "progressiven Forderungen", wie sie mit
wachsender Langweiligkeit immer wieder gestellt werden: gemeinsames
Abendmahl; Frauendiakonat und -priestertum; Aufhebung des Zölibates;
positive Einstellung zu neuen "eheähnlichen Gemeinschaften" usw. Der Papst –
mit dem Blick auf andere Konfessionen – weiß, dass mit dem Sich-Einlassen
auf solche Forderungen nichts oder kaum etwas gewonnen wäre. Die "Dynamik
des Konzils" bliebe weiterhin verspielt. Aber wie und warum wurden die
Chancen von damals, sogar "kirchenamtlich", vertan? Was müsste geschehen, um
die "Lage" wieder in den Griff zu bekommen?
1. Die Unfähigkeit, "pastoral" zu denken und zu handeln.
Man kann gar nicht genug daran erinnern, dass das Konzil ein pastorales
Konzil sein wollte. Kurzschlüssig haben viele daraus den Schluss
gezogen, dass es nicht um die Formulierung neuer Dogmen gehen sollte, nicht
um ein neues Beharren auf alten Glaubenssätzen. Das hat den Unmut der
"Konservativen" heraufbeschworen – damals eine Minderheit, der es im
Laufe der Jahre immer mehr gelang, die vatikanischen Schlüsselpositionen zu
besetzen, um die Beschlüsse der Mehrheit gezielt in Vergessenheit
geraten zu lassen. Dabei schienen sie sogar im Recht. Denn Jahrhunderte lang
war das Geschehen in der Kirche vom dogmatischen Denken bestimmt
worden. Dogmatik: die "Krone der Theologie"! Durch sie konnte jedermann
erfahren, was die "Lehre der Kirche" ist; was "Glaube" bedeutet: nämlich das
Festhalten und Für-wahr-halten alles dessen, was kirchenamtlich als
verbindliche Lehre verkündet wird. Solches Denken hatte sich bewährt. Wer
davon abließ, konnte nur am Prozess der Zersetzung des Christentums
beteiligt sein. So erschien auch das Konzil wie ein "Unfall in der
Geschichte"; wie ein Verlassen des Bewährten. Es wurde und wird
streckenweise hingestellt als Ursache für den Niedergang der Kirche.
Deshalb der Ruf nach Restauration. In der Erneuerung der Liturgie
(z.B. des "Tridentinischen Messritus") soll sie ihren Ausdruck finden....
Die auf solche oder ähnliche Weise heute die "Neue Sehnsucht nach dem alten
Ritus" kirchenamtlich schüren, begreifen nicht, dass sie vom Konzil nichts
begriffen haben. Sie begreifen auch nicht, was das Konzil seismographisch
genau begriffen hatte: eine neue Zeit hat begonnen; sie ist längst dabei,
das Christentum in das Abseits der Geschichte zu verbannen! Deshalb kann man
nicht versuchen, neuen Wein in alte Schläuche zu gießen (Mt 9.17). Anders
ausgedrückt: auf die Herausforderungen der Zeit kann man nicht mit alten
Antworten reagieren. Die Menschen denken und fühlen heute anders als in
früheren Zeiten. Mit dogmatischen Sätzen – so wahr sie sein mögen – ist den
Gegebenheiten nicht mehr beizukommen. Je mehr es dennoch versucht wird,
desto aussichtsloser wird die Verkündigung der Kirche. Das Christentum
verliert immer mehr an Boden; die Menschen laufen immer mehr davon. Sie
mögen "materialistisch" oder auch "egoistisch" sein – hinzukommend steht
ihnen eine Kirche gegenüber, die unwichtig geworden ist. Hat sie die
"Zeichen der Zeit" nicht zu deuten vermocht, von denen das Konzil immer
wieder gesprochen hatte?
2. Pastorales Denken ist "anti-autoritär".
Dogmatisches Denken ist im Grundansatz ein autoritäres Denken.
Es ist vergleichbar mit dem staatlich gelenkten Denken autoritärer Systeme,
in denen der Monarch, der Diktator oder die Parteidoktrin alles Leben
bestimmen. Es hat den Vorteil gegenüber Demokratien, dass es "Einheit" und
"Geschlossenheit" ermöglicht, vor allem dann, wenn ein Gemeinwesen in die
Vielzahl von Einzelinteressen und Gruppenegoismen auseinander zu fallen
droht. Weil es Demokratien wegen der Mehrheitsverhältnisse oft nicht
gelingt, Probleme einfach zu lösen, gibt es immer wieder Minderheiten, die
nach dem "starken Mann" rufen. In Diktaturen und "Orwell- Staaten" ist er
allgegenwärtig...
Was in früheren Monarchien selbstverständlich war – nämlich die Leitung
eines Staatswesens unter einer straffen Führung - , ist in der
mittelalterlichen Kirche nicht nur übernommen worden, sondern hält sich auch
bis in die heutige Zeit. Es ist allgegenwärtig, wenn von Glaube, Weitergabe
des Glaubens, Ökumene usw. die Rede ist. Eine einzige Leitung mit einer
einheitlichen Doktrin (fälschlich mit "Glaube" gleichgesetzt) war in
früheren Zeiten die Stärke der Kirche. Heute löst sich diese Stärke auf,
wird zur tödlichen Falle. Dabei mag der Papst als attraktive Symbolfigur für
Hoffnungen und Sehnsüchte noch eine Rolle spielen; aber dessen dogmatisches
Denken wird kaum zur Kenntnis genommen. Als "autoritäres Denken" ist es von
abstrakten Begriffen wie "Wahrheit", "Objektivität", "Unfehlbarkeit"...
bestimmt. Seine normativ verbindlichen Aussagen sind darauf angelegt,
das vielfältige Denken von Menschen zu vereinheitlichen und die Vielfalt des
Lebens zu zerstören. Die Verarmung und Verkümmerung des Glaubens
werden so kirchenamtlich vorangetrieben.
Dagegen stehen Menschen in demokratischen Gesellschaften, die darauf
angelegt sind, das jeweils Einmalige, Konkrete und Besondere ihres Lebens
ernst zu nehmen. Die Vielfältigkeit macht ihr Leben bunt und reich, aber
auch anstrengend und gefährlich. In der Vielfalt heutiger Stimmen und
Meinungen ist jeder darauf angewiesen, sich seine eigene, ihm allein
gehörende Wirklichkeit und Lebenswelt zu schaffen. Aus ihr heraus denkt,
urteilt, handelt er. Mit ihr fühlt er sich zunächst immer in Einklang. Mit
ihr kann er Freunde und Gleichgesinnte gewinnen; aber auch Feinde und
Gegner, wenn letztere mit uneinsichtigen Phantasien, Einbildungen, fixen
Ideen, objektiven Wahrheiten und allgemein gültigen Erkenntnissen zu
beeindrucken versuchen. Diese werden als Zerstörung der eigenen
Wirklichkeit empfunden, als Bedrohung der mühsam erkämpften
persönlichen Lebenseinstellung.
Die Kirche ist seit langem dabei, das überall gängige demokratische Denken
und Empfinden zu ignorieren. Dadurch ist eine subtile Gegnerschaft
entstanden zwischen Kirche und moderner Lebenswelt. Wären die
demokratischen Lebenseinstellungen ernst genommen worden, hätte die Kirche
Abstand nehmen müssen von ihren herkömmlich hohen Ansprüchen, zumal auch
ihre Mitglieder von der Grundvoraussetzung heutiger Wissenschaft und Technik
geprägt sind, nach denen es keine unfehlbaren objektiven Wahrheiten und
Erkenntnisse gibt. Statt zu indoktrinieren, wäre eine ganz andere Aufgabe
das Gebot der Stunde gewesen: Wege aufzuzeigen und kleine Schritte zu
entwickeln, die zum Besseren an Liebe, Gerechtigkeit, Freiheit... in der
jeweiligen Lebenssituation führen.
3. Pastorales Denken ist "ökumenisch".
Man kann sich nicht genug die Hilflosigkeit vor Augen führen, wenn vom
Dialog zwischen den Religionen und Konfessionen die Rede ist, obwohl das
Wort inzwischen zu einem Modewort geworden ist. Konkret geht meistens nichts
vorwärts. Warum? Weil jeder auf seinem "dogmatischen Standpunkt" besteht.
Alle wollen die "Wahrheit" für sich gepachtet haben. Wenn es trotzdem
gelegentlich gelingt, dass "Einigkeit" erzielt wird (z.B. in der
Rechtfertigungslehre), dann bleibt das Papier ein totes Dokument. Was auf
hohem theologischen Niveau erreicht wird, findet bei demokratisch denkenden
Menschen keinen Widerhall...
Nicht umsonst gibt es heute in Gruppen und Gemeinden mehr Ökumene als
in den Chefetagen der Kirchen. Da tun sich Menschen einfach zusammen. Sie
lesen die Bibel, beten und singen, tauschen ihre Erfahrungen aus, tanzen,
feiern gemeinsam Feste, Gottesdienste... Was sie vom Glauben und vom
Christsein verstanden haben, ist nichts anderes, als was die Bibel sagt: es
geht um die Praxis der Liebe, Gerechtigkeit, Wahrheit. Über allem scheint
der Satz Gültigkeit zu haben: "Es gibt nichts Gutes, außer man tut es".
Dabei wird nicht gefragt, welchen Katechismus, welches Gebetbuch jemand
hat... Sondern man hält Ausschau nach Christen gleicher Gesinnung und
Interessenlage, die etwas zu tun bereit sind, was Freude bereitet, was dem
Frieden und Heil unter den Menschen dient.
Dass solches Denken und Tun bis in den "sakralen Raum" ihre Auswirkungen
hat, wird immer mehr zum Dorn in den Augen der "Amtskirche" (die ihre Zügel
aus den Händen gleiten sieht). Christen, die ihr Selbstverständnis wieder
aus den Quellen des Biblischen entwickeln, haben keine Schwierigkeiten mit
der eucharistischen Gastfreundschaft, mit der Berufung von
bewährten Männern und Frauen in kirchliche Ämter, mit der
Erneuerung der Liturgie unter menschennahen und lebensorientierten
Voraussetzungen, mit einer Interpretation des Christlichen in
nicht-theologischer, nicht-akademischer Sprache. Denn nicht die kluge
Theologie, nicht ausgeklügelte Glaubensformeln machen das Christsein aus,
sondern das, was herkömmlich "Nachfolge Christi" genannt wurde.
4. Die Zukunft hat "unten" schon begonnen.
Es wird heute vielfach vom Entstehen eines privaten Christentums
gesprochen, welches Individuen dazu verhilft, die elementaren Erfahrungen
der Kontingenz des Lebens sinnvoll zu verstehen und zu bestehen. Es hebt
sich ab vom herkömmlich kirchlichen Christentum wie auch vom
Kulturchristentum, welches die Öffentlichkeit beeinflusst. Im "privaten
Christentum" wird das Religiöse als "etwas höchst Privates, Innerliches"
verstanden. In ihm entwickelt sich der "subjektive Sinn" von Individuen -
eine religiöse Individualität, Gewissensreligiosität und Frömmigkeit
jenseits der Institutionen und ihrer theoretischen Ansprüche. Das
Individuum, darauf angelegt, eine "subjektive Plausibilitätsstruktur"
aufzubauen und sich eine "subjektive Gewissheit" zu verschaffen, entzieht
sich jedem generalisierenden Zugriff durch eine höhere Instanz.
Während sich die religiösen Individuen jedem "höheren Zugriff" verweigern,
bleiben sie dennoch beeinflusst vom Kirchen- und Kulturchristentum –
gegenwärtig sehr stark präsent in Form einer Medienreligion, repräsentiert
von einer papalen TV-Ikone. Man könnte von vier Berührungspunkten
zwischen Individuen und Kirchenchristentum sprechen:
- durch den Kontakt mit der Lehre der Kirche. Obwohl hier in
Predigt und Katechese die meisten Anstrengungen gemacht worden sind,
scheint das Ergebnis minimal. Sind deren Fragestellungen zu theoretisch,
zu akademisch-abstrakt? Trifft die Lehre der Kirche zu wenig die
Interessenlage der Menschen, wie es jüngst die Sinus-Studie wieder
deutlich gemacht hat? Trotz der großen Aufmerksamkeit für Benedikt XVI.
herrscht ein sehr distanziertes Verhältnis zur Kirche und ihren
Inhalten...
- durch die Kenntnis der kirchlichen Moralvorstellungen über Ehe
und Familie; Sexualität; Homosexualität; gleichgeschlechtliche
Lebensgemeinschaften; Zölibat; "donum vitae" usw. Es geht bei allen diesen
Streitfragen nicht darum festzustellen, wer Recht oder Unrecht hat.
Tatsache ist, dass die Betroffenen ihre eigenen Entscheidungen und
Optionen treffen. In vielen der genannten Bereiche haben sich die
Menschen schon längst von der Kirche verabschiedet.
- durch Riten, Symbole und Feiern der Liturgie. Diese werden bei
verschiedensten Anlässen gerne in Anspruch genommen, vor allem, wenn sie
"feierlich" und "ansprechend" sind. J. Ratzinger u.a. meint, dass
durch die Liturgiereform des Konzils der Niedergang des Christentums
eingeleitet wurde; dass durch die Rückkehr zu den "alten Riten" eine
Erneuerung und Erstarkung des Glaubens wieder möglich würden... Solche
Ansichten und entsprechende kirchenpolitische Maßnahmen dürften sich als
Irrweg erweisen. Liturgien bedürfen immer der Einbettung ins Leben; müssen
immer das faktische Leben zur Sprache bringen, wenn sie nicht ins
Irrationale, Exotische, Nostalgische und damit Wirkungslose abgleiten
sollen...
- durch das Kennenlernen wirklich gelebter (nicht nur feierlich
postulierter) Werte. Was Christen, ob kirchlich gebunden oder auch
nicht, leisten im Blick auf Kranke, Kinder, Waisen, Entrechtete,
Obdachlose, Gescheiterte, Hilfsbedürftige – sowohl im gesellschaftlichen
wie auch familiären Umfeld – würde sich lohnen, in allen Lebensbereichen
aufzuspüren. Es hat viel mit der Bergpredigt Jesu (Mt 5.1- 12) und mit
seiner Gerichtsrede (Mt 25.31-46) zu tun: Nackte bekleiden, Hungrige
speisen, Kranke besuchen, Gefangene befreien, Verzweifelte trösten...
Durch solches "Tun der Wahrheit" werden Menschen Mitgestalter am
Schöpfungs- und Erlösungsgeschehen, so wie es Jesus verkündet und
praktiziert hat.
Hier böten sich entscheidende lebensbegleitende Aufgaben für
Theologie, Liturgie, kirchenpolitische Maßnahmen – nicht nur, weil sie
Menschen in ihrem Engagement ernst nehmen, sondern auch, weil eine innere
Übereinstimmung mit den Anliegen des Evangeliums deutlich erkennbar wäre. Im
Suchen dieser inneren Übereinstimmung hätte die Kirche ihren größten Chancen
auf Zukunft hin. Bisher vermittelt sie jedoch den Eindruck, dass bei ihrer
Selbstdarstellung, ihrer hierarchisch gestaffelten Ämter, das tatsächliche
Engagement der Christen eine nur zweitrangige Aufmerksamkeit verdient –
meistens bei Jubiläen und in Sonntagsreden. Ob in vielen Belangen der Kirche
die Anliegen Jesu nicht ins Gegenteil verkehrt wurden? – Diesem ging es um
das Werden und Wachsen des Reiches Gottes mitten in der Welt. Daraus ist der
Selbsterhalt der Kirche und ihrer Ämter geworden. Je mehr dieses
Hauptanliegen bestehen bleibt, desto sicherer gleicht es einem "begeisterten
Selbstmord".
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