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Pater Fritz Köster
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Die Botschaft der Bibel (10):
Gottes Anwesenheit mitten im Leben?

Juni/ Juli 2009

Schon im Alten Testament ist an verschiedenen Stellen vom Bund Gottes mit der gesamten Menschheit die Rede: nach der Sintflut mit Noach (Gen 9.1-17); später mit Abraham (Gen 15.1-21) u.a. - Im Neuen Testament gibt es eine Anzahl biblischer Aussagen, die von der Anwesenheit Gottes im Leben sprechen: "Wer ein Kind in meinem Namen aufnimmt, der nimmt mich auf" (Mt 18.5). "Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen" (Mt 18.20). "Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan" (Mt 25.40): - Auch die Osterberichte zeigen Jesus den Jüngern immer wieder als Lebenden - auf eine andere Weise als früher. Sein Versprechen gilt: "Ich bin bei euch alle Tage, bis ans Ende der Welt" (Mt 28.20).

Als solcher bekundet er seine Anwesenheit unter den Menschen mitten in der Welt, die ja seine Welt ist und bleibt. Vor allem bei der Bewältigung der Aufgaben in der Welt. Jesu Botschaft ist wesentlich welt-zentriert. Es geht um erlösendes Geschehen mitten in einer unerlösten Welt. Es geht um den Weizen mitten im Unkraut!

Umso erstaunlicher ist es, dass sich im Laufe der Jahrhunderte ein Kirchenbewusstsein entwickelt hat, welches (in Anpassung an die Welt!) ganz andere Akzente setzt: monarchisch, männlich-hierarchisch, klerikal, sakramental, liturgisch – so, als würde die Existenz und die Zukunft des Glaubens primär von solchen "Kirchlichkeiten" abhängen. Diese sind zwar nicht überflüssig. Sie werden es aber, wenn sie um ihrer selbst und um gedankenloser Traditionspflege willen kultiviert werden. "Kirchliche Maßnahmen" – entweder sie mobilisieren und motivieren menschliche Potentiale innerhalb und außerhalb der Kirche zum Heil der Welt oder sie geraten in die Zone des Vergessens und der Überflüssigkeit. Wenn schon 1943 A. Delp von dem "toten Punkt" gesprochen hat, an dem wir kirchlich angekommen sind und neuerdings u.a. der Bischof von Trier, Stephan Ackermann, dann müssten alle Christen schnell aus ihrem Schlaf erwachen. In Richtung "JOHANNES XXIII". Er war der Papst, dem die Mobilisierung der Kräfte des Guten weltweit am meisten gelungen ist. Die seit dem auf ihn und die Stimme des Konzils nicht mehr hören, weil sie es besser wissen, sind auf dem Holzweg. "Das Christliche" scheint durch sie am meisten gefährdet.


1. Eure Söhne und Töchter werden Propheten sein (Joel 3.1).
So heißt es beim Propheten Joel: "Ich werde meinen Geist ausgießen über alle Menschen (auch über Knechte und Mägde). Eure Söhne und Töchter werden Propheten sein, eure Alten werden Träume haben und eure jungen Männer Gesichte schauen" (Joel 3.1ff).

Tatsächlich hat es im Laufe der Menschheitsgeschichte solche Söhne und Töchter, Knechte und Mägde gegeben, die im Sinne der Bergpredigt Jesu dachten und handelten. Es waren Christen und Heiden, Menschen aus verschiedenen Religionen und Weltanschauungen: A. Frank, H. Camara, Romero, Mutter Teresa, M. Gandhi, die chinesische Schriftstellerin Hong Ying... Oft haben sie "prophetisch" nicht im Sinne derer gehandelt, die sich als Hüter und Verantwortliche der jeweiligen Religion verstanden. Deshalb wurden sie von den Einflussreichen und Mächtigen ignoriert, zum Schweigen gebracht, an den Rand des Geschehens gedrängt, als Ketzer und "Nestbeschmutzer" öffentlich gebrandmarkt, wenn nicht sogar umgebracht. Ihr größter "Verrat" bestand in der Ablehnung der Festlegung Gottes auf bestimmte Gedanken, "Wahrheiten", Sätze, Verordnungen und Regelmäßigkeiten. Wenn Menschen bestimmte Regeln und Maßnahmen brauchen – Gott braucht sie nicht!

Denn Gott gießt seinen lebendigen Geist, der kein Geist der Buchstaben ist, aus "über alle Menschen". Diese können in allen Lebenslagen mit Gottes Gegenwart rechnen, vor allem dann, wenn sich Menschen in Liebe zugetan sind; wenn es ihnen um Versöhnung, Frieden und Gerechtigkeit geht.

Ein Beispiel sei hier genannt. Es stammt von H. Böll, einem ganz "normalen Christen". In seinem Roman "Der Engel schwieg" schildert er folgende Szene:
Nach dem zweiten Weltkrieg treffen ein junger Mann und eine junge Frau im zerbombten Nachkriegsdeutschland zufällig aufeinander. Er ist Kriegsheimkehrer und trägt Todesnachrichten für seine Heimat in der Tasche. Sie hat gerade ihr neugeborenes Kind begraben müssen, weil es nicht lebensfähig war. Er trägt ihr einen Mantel nach, den sie im Krankenhaus vergessen hatte. So ergibt es sich, dass sie zusammen bleiben, ohne eigentlich zu wissen warum. Nach einigen Wochen besiegeln sie den Prozess des Zusammenseins. Es entwickelt sich folgender Dialog:

"Komm, sagte er leise und hob sein Glas, du bist jetzt meine Frau, willst du es sein?
Ja, sagte sie ernst, ich will es.
Ich werde dich nicht verlassen, solange ich lebe.
Ich werde bei dir bleiben, ich freue mich.
Sie lächelten sich zu und tranken.
Ein guter Wein, sagte sie, sehr mild und schön.
Es ist Messwein, sagte er, ich habe ihn geschenkt bekommen.
Messwein?, fragte sie; er sah, dass sie erschrak; er rückte das Glas weg und sah sie an.
Keine Angst, sagte er und legte seine Hand einen Augenblick auf ihren Arm, es ist Wein, nur Wein. Glaubst du denn daran?
Ja, ja, sagte sie, ich glaube daran. Du nicht?
Doch ... Ich hatte auch Angst, jetzt nicht mehr."

Die Anspielungen, die hier gemacht werden, sind nicht zufällig gewählt. Da ist zunächst das Gespräch. Was sich die zwei jungen, kriegsgebeutelten Menschen aus Anlass ihres Heiratens zu sagen haben, ähnelt sehr dem Fragen und Antworten, die der Priester während einer Trauung stellt bzw. wie sie von Braut und Bräutigam beantwortet werden. Ebenso ist da der Messwein, den die beiden trinken. Was damit von dem Katholiken BÖLL zum Ausdruck gebracht werden soll, bedarf eigentlich keinen Kommentars: was zwischen zwei Menschen geschieht, mitten im Alltag, in einer vom Krieg halb zerstörten schäbigen Wohnung, ist ein sakramentaler Vorgang. Der Wein ist nicht einfach Nahrungs- und Genussmittel. Was in jedem Gottesdienst aufleuchtet oder aufleuchten sollte, geschieht hier: wo Menschen sich in Liebe einander zuwenden, kann man sich auch der Zuwendung Gottes sicher sein. Gottes Präsens ist nicht an eine religiöse Amtsperson, an einen sakralen Raum oder eine dafür vorgesehene "heilige Zeit" gebunden. Wo religiöse Menschen in "seinem Namen" zusammen sind, bekommt alles Profane eine sakramentale Tiefe. Das Sakrale wird in den Alltag hinein humanisiert.

Solche Schilderung erinnert unwillkürlich an das Wort Jesu im Gespräch mit der Samariterin am Jakobsbrunnen: "Die Stunde kommt, zu der ihr weder auf dem Berg noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet... ; zu der die wahren Beter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit; denn so will der Vater angebetet werden" (Joh 4.21-23).

2. Das Wirken Gottes unter den Menschen nicht versäumen!
In früheren Zeiten galt "die Sünde wider den Heiligen Geist" als die schwerste, die nicht verziehen werden kann (vgl. Mt 12.31ff; Mc 3.29). Dahinter stand die Überzeugung, dass Gott in der Geschichte der Welt und des Menschen wirksam ist. Er ist in den "Zeichen der Zeit" und in Lebenserfahrungen zu erkennen, in denen Menschen angestoßen werden zu fragen: Wie kann Gott das zulassen? Oder: Was will Gott, das wir tun sollen? Wer solche Situationen versäumt, sie missachtet oder "zutextet" mit fertigen Antworten und Lehren, darf sich nicht wundern, dass jede religiöse Kraft und Lebendigkeit schwindet. Der "Selbstmord der Kirche" ist dann nur noch eine Frage der Zeit.

Im Markus-Evangelium (4.26-34) spricht Jesus vom werdenden und wachsenden Reich Gottes mitten in der Welt. Es gleicht einem Samenkorn, das man in die Erde sät, in der es wächst, gedeiht und große Zweige treibt bis zum Tag der Ernte. Die Erde? Das sind die Herzen der Menschen. In ihnen soll das Reich Gottes wachsen – unter dem Einfluß des schöpferischen Geistes Gottes. Mit dem wachsenden Samen kann nichts anderes gemeint sein als das unauffällige, aber unaufhaltsame Wirken Gottes im Leben des Menschen – was zur Konsequenz hat, dass sich religiös sein wollende Menschen immer wieder "Gewissensfragen" stellen müssen. Drei seien hier genannt:

  1. Wie ist es mit dem Wirken Gottes im eignen Leben? Gibt es persönliche Erfahrungen, Ereignisse, Erlebnisse..., die mir eine Ahnung gegeben haben oder geben, dass da einer in meinem Leben wirksam ist? Der mein Leben trägt und hält, der mir Hoffnung gibt...?
  2. Wie ist es mit dem Wirken Gottes im Leben von anderen? In meinen Nächsten, bei Andersdenkenden und Andersgläubigen, bei Protestanten, Freikirchlern , Juden, Moslems und Buddhisten? Da Gott kein Gott kirchlicher Ämter und Dogmatik ist, dürfen Lehren und Vorschriften niemals daran hindern, dass Menschen sich zusammenschließen zu einer "Ökumene" nicht nur freundlicher Worte, sondern mit dem Ziel des Heils der Menschen, zur Schaffung des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
  3. Wie ist es mit dem religions-übergreifenden Wirken Gottes, damit unter den Menschen "Heilsgeschichte" werden kann? Gibt es nicht schon viele Menschen guten Willens, eine universale Gemeinschaft gleicher Interessen und Anliegen – unabhängig von Kirchen und Konfessionen, Völkern und Rassen? Wer also das Wirken Gottes konfessionell zu regulieren und zu kanalisieren versucht; wer es bei Amtsträgern und "geistlichen Herren" anzusiedeln versucht – weniger bei "normalen Laien" und noch weniger bei Frauen, macht sich größer als er ist. Er degradiert die Botschaft Jesu zu einer menschlich gemachten, "verkirchlichten" Angelegenheit, die immer weniger Gehör findet.

3. Christus schreitet mächtig durch die Zeit.
Die im dogmatischen Glauben und rechtlichen Bestimmungen festgefahrenen Kirchen haben immer schon das "Pech" gehabt, dass sich Andersgläubige zu Wort meldeten und protestierten. Alle schneiden sich zudem ins eigene Fleisch, weil sie "Jahre der Bibel" kennen und ausrufen. Denn die Bibel ist ein gefährliches Buch für menschlich Bestehendes und Gemachtes. Denn Jesus verkündete keine Kirche oder Konfession. Auch die klerikale Struktur von Kirche ist in der Bibel nicht vorgesehen. Ebenso nicht die Mehrzahl der kirchlichen Sakramente.
Das soll nicht heißen, man müsse das alles heute wieder abschaffen. Aber es geht um die Prioritäten. Jesus verkündete den Frieden in der Welt und die "neue Gerechtigkeit" unter den Menschen, die immer auch unter dem Einfluß Gottes stehen. Zunächst auf Israel konzentriert, hat als erster Paulus die Grenzen gesprengt. Er spricht von dem "unbekannten Gott", der durch Jesus Christus eine Botschaft an alle Menschen gerichtet hat. Und Gott wir sie einst richten und beurteilen nicht nach ihren Worten und äußerem Gehabe, sondern nach ihren Werken (Mt 16.27; 25,31-46; Röm 2.6ff). –

Wenn man bedenkt, dass in der Welt – bei dem vielen "Unkraut", welches es gibt – auch viel Weizen des Guten und zum Guten wächst, außerhalb und innerhalb konstituierter Kirchen, dann könnte das Wort von Kardinal Newman sprichwörtlich werden: Christus schreitet mächtig durch die Zeit! Er bleibt bei seiner ursprünglichen Option vom "Reich Gottes". Bei aller selbst gemachten "Rechtgläubigkeit" müssen sich die Kirchen darauf einstellen, wenn sie die "Zeit Christi" nicht verpassen wollen. Für sie wird es in Zukunft zentral darum gehen, nicht die Menschen in ihre fertigen Gehäuse hinein zu bekehren, sondern ihre eigenen Grenzen auszuweiten auf die Grenzen der Welt. Nicht die Menschen müssen von den Kirchen lernen – es sei denn, dass sie selbst von den Menschen zu lernen bereit sind. Selbst wenn die Menschen "ohne Gott" sind, so ist Gott nicht "ohne die Menschen". Ein alter erfahrener Afrikamissionar hat es gegenüber einem jüngeren einmal so beschrieben: "Glaub doch nicht, Du könntest Gott zu den Heiden bringen. Bevor Du ihn bringst, war er schon lange vor Dir da!"
 


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