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Pater Fritz Köster
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Die Botschaft der Bibel (11):
Glauben in alltäglichen Banalitäten des Lebens?

Oktober 2009

Was ist ein "gläubiger Mensch"? Der nach kirchlicher Vorstellung den Religionsunterricht besucht hat; der regelmäßig betet und die Sakramente empfängt; der die Eucharistie als das Wichtigste im Leben ansieht und das damit verbundene Amt anerkennt; der sich evtl. noch am Sonntagmorgen mit Gleichgesinnten trifft und mit ihnen plaudert; der sich so oder so in der Pfarrgemeinde engagiert...

Da deren Zahl immer mehr abnimmt, stellt sich die Frage nach den Aktivitäten derer, die nicht oder weniger als früher "Kirche" und "lebendige Gemeinde" im Blickfeld haben. Was ist mit dem Werktag und den vielen "banalen Kleinigkeiten", von denen das Leben im Allgemeinen bestimmt wird, die den großen Teil des Lebens ausmachen? Da sind die Verheirateten mit ihren Beziehungsproblemen; die Erzieher von Kindern und pubertierenden Jugendlichen; die Berufstätigen in Fabriken, Geschäften, Kanzleien, Büros, Krankenhäusern und Sozialstationen... Was sich im Zusammenleben und in der Zusammenarbeit unter ihnen abspielt, ist oft nicht lauter Sonnenschein. Es sind Existenzkämpfe und –ängste, Selbstbehauptung und Rivalitäten, Eifersucht und vielfältiges Gegeneinander, Vorurteile, Verdächtigungen und Mobbing, die den Alltag bestimmen – je nach dem, wie die "Chemie" unter den Beteiligten stimmt oder auch nicht stimmt. –

Was sich zwischen den gelegentlichen "religiös-kirchlichen Ereignissen" innerhalb einer Woche abspielt, ist enorm vielfältig: harmonisch oder spannungsgeladen. Was hat das alles mit "Glauben" zu tun? Herkömmlich nichts. Es spielt sich ja nicht in der Kirche ab. Man hat sich damit weitgehend zufrieden gegeben, zu predigen, das Evangelium auszulegen, je nach Bedarf von einem gütigen, gerechten, strafenden, verzeihenden oder liebenden Gott zu reden... - neuerdings wieder vermehrt im Sinne einer "negativen Theologie", die vorsichtig ist mit dem Reden über Gott und sein Handeln. Weil das Reden über Gott nicht unproblematisch ist, verlassen sich viele auf eine Art Wellness-Religion, auf einen gefühlsüberladenen "Glauben", der nur kurz und vorübergehend die banalen Dinge des Alltags vergessen macht.


1. Menschen guten Willens als "Säulenbauer".

Die plausibelste Antwort auf obige Frage hat bisher immer noch die Bibel gegeben. Dieses "Buch der Bücher" spielt keine himmlischen und ekstatischen Schalmeien. Jesus konfrontiert die damaligen Menschen mit ganz konkreten "banalen" Lebenssituationen. Da ist die hungernde Menge, die den Jungen mit den zwei Broten und fünf Fischen das Teilen lehrt; da ist der unter die Räuber Gefallene, der offenbart, wie gläubige Menschen sich "normal" verhalten; die Ehebrecherin, die die Selbstgerechtigkeit der "Gerechten" an den Pranger stellt; da sind die Pharisäer und Schriftgelehrten mit ihrer Rechthaberei und Wichtigtuerei; die Zöllner mit ihrer versteckt-offenen Habgier; da sind die Kranken und Ausgegrenzten...(vgl. Mt 5.1-50).

Was Jesus in all diesen Situationen tut oder zu tun lehrt, ist eigentlich nichts anderes als was man heute "humane Verhaltensweisen" nennt. "Humanes Verhalten" bei Gläubigen wie Ungläubigen – wieso sind da noch Kirche und Glaube nötig? Warum noch Taufe und Sakramente, zumal Gläubige und Ungläubige zu denselben Taten fähig sind? Sind gläubige Christen in ihrem caritativen und sozialen Verhalten besser als Ungläubige? Auch dann, wenn feststeht, dass die Zahl der Konfessionslosen wächst, die sich in vielen Bereichen der Weltgesundheit, der Entwicklungshilfe, der sozialen Verpflichtungen engagieren – ganz abgesehen von den weltweit Hunderten, die bei Katastrophen unter Einsatz ihres Lebens gleich zur Stelle sind?

Die kirchen- und konfessionslos Engagierten verunsichern gegenwärtig die religiös Bekennenden. Denn für viel Gutes, was geschieht, ist "Glaube" kaum noch gefragt bzw. erforderlich. Jedenfalls kein dogmatischer oder amtlich festgelegter Glaube. Neulich habe ich eine größere Gruppe verunsicherter Christen in eine Kathedrale geführt. Bestimmte Eindrücke und Gedanken kamen beim Blick auf das gewaltige Bauwerk zur Sprache: wie viele Jahrhunderte hat es gebraucht, um dieses Monster fertig zu stellen? Wie viele Hunderte, Tausende Arbeiter waren nötig, um ihr ganzes Leben lang daran zu arbeiten? Der Blick fiel auf eine der gewaltigen Säulen. Wir stellten uns vor, dass der damalige Baumeister (und später seine Nachfolger) einer Gruppe von Arbeitern den Auftrag gab, in einigen Wochen oder Monaten eine von den vielen Säulen entstehen zu lassen. Sie haben den Auftrag erfüllt – in unendlicher Kleinarbeit und mit unzählbaren kleinen Zugriffen...

Solch "banale Kleinigkeiten ein ganzes Leben lang" zu bewältigen – man kann sie nur verrichten, wenn man an den Baumeister glaubt, der das Ganze der Kathedrale geplant hat, der die zu leistenden Arbeiten nach seinen Notwendigkeiten verteilt und überwacht. Der "kleine Arbeiter" weiß nicht um das Ganze. Er erfüllt nur im Kleinen seine Pflicht. Für ihn werden die kleinen Maßnahmen nur sinn- und verheißungsvoll im Glauben an den Baumeister, der die vielen Kleinigkeiten zu einem Großen zusammen zu fügen vermag. Der Glaube an den, der Unvollendetes vollendet, macht das Leben erträglich.

2. Gott, der große Architekt und Weltenbauer.

Der Unterschied zwischen einem Gläubigen und Ungläubigen zeigt sich meistens nicht in äußeren Taten. Er besteht darin, dass der eine auf einen größeren heilsgeschichtlichen Zusammenhang vertraut und sich darin selbst aufgehoben weiß. Der Glaubende bekommt einen anderen Blick, eine neue Sichtweise für alles, was lebt und sich bewegt. Für ihn ist "Glaube" keine Einsicht jenseits allen menschlichen Wissens, sondern eher ein Hoffen, ein Erwarten, ein Sehnen nach etwas ganz Anderem. Es liegt jenseits aller menschlichen Möglichkeiten. Es ist das Unmögliche des Baumeisters, was der "kleine Mann" nur zu erahnen vermag.

So ist es zu erklären, dass Jesus die Menschen von damals mit konkreten Lebenssituationen konfrontiert. Sie wiederholen sich bis heute jeden Tag. Dabei kommt es nicht darauf an, wer jemand ist, woher er kommt und welche Positionen er einnimmt. Entscheidend ist nur, wie jemand sich in einer bestimmten Situation verhält. In einer vielfach verkorksten Welt kann jeder zum Segen oder Unsegen werden. Er vermag heilend oder zerstörend tätig zu sein. Er kann Gott oder dem Teufel dienen – unabhängig von Religion, Weltanschauung, Rasse und Kultur.

3. Das Wirkfeld Gottes ist primär die Welt.

Wie es beim Baumeister einer Kathedrale um eine "Vision" geht, die vielleicht in Jahrhunderten erst in Erfüllung geht, so gleicht die Welt als Gottes Schöpfung einem großen Bauwerk, an dem Generationen bauen. Dabei geht es nicht um eine Welt der vielen Worte ohne besonderen Inhalt. Es geht um heilsame oder heillose Taten, die die Welt zu retten oder zu verwüsten vermögen.

Die Welt als "Kathedrale Gottes" – biblisch gesehen kann man sie sich in folgenden Schritten bzw. "Baumaßnahmen" vorstellen:

  • am Anfang die Erschaffung der Welt, die als "sehr gut" bezeichnet wird;
  • die Sünde der ersten Menschen: Adam und Eva; Kain und Abel... Der Ungehorsam gegenüber Gottes Weisungen - Ursache für alle Übel in der Welt...
  • die Rolle der Propheten als Mahner an den Bund Gottes mit seinem Volk. Sie rufen zu Treue und zur Erfüllung der Gebote Gottes auf...
  • Jesus Christus. Er setzt der gefallenen Schöpfung eine neuen erlösenden Anfang; wird selbst zum "Samenkorn", das in die Erde fällt und das "Reich Gottes" mitten in der Welt begründet;
  • Zum Wachsen des "Reiches Gottes" sind alle aufgerufen; jede/jeder an seinem Platz. "Ich werde von meinem Geist ausgießen über alles Fleisch...", heißt es in der Pfingstpredigt des Petrus (Apg 2.17-21).
  • Die Teilnahme am Wachsen des Reiches Gottes geschieht durch Taten der Liebe, des Friedens und der Gerechtigkeit (vgl. die Wachstumsgleichnisse vom Sämann, vom Senfkorn, vom Sauerteig...: Mt 13.1ff). Solche biblischen Postulate stehen im Gegensatz zu rein menschlichen Ambitionen wie Macht, Eifersucht, Ehrgeiz, Streitigkeiten, Kampf, Mord und Totschlag...(vgl. Jak 3.16-4.3).
  • Die Einübung in ein gottgewolltes "wahres Leben" ist die Aufgabe für alle. Das Suchen nach theoretischer "Wahrheit" darf dem nicht im Wege stehen. Jesus hat durch seine Worte und Taten ein Beispiel gegeben, wie sich gottgemäß leben und handeln lässt. Der Glaube an ihn ist gleichzusetzen mit dem Glauben, dass seine Worte und Taten heilsam und erlösend sind. Die Nachfolge Christi besteht in nichts anderem als in der Fortsetzung seiner Worte und Taten in allen Lebenssituationen, mit denen Christen konfrontiert sind.
  • Über das Gute bei Nichtchristen, sogar Atheisten, ist zu sagen: wenn sie auch Gott-fern sind, so ist ihnen Gott doch nahe. Sie sind Teil seiner Schöpfung und deshalb niemals ohne ihn. Sie sind "drin", wenn sie, kirchlich gesehen, auch "draußen" sind. So bereitet Gott selbst den Boden für Dialog und Friedenswerk unter allen Menschen, die guten Willens sind.

4. Die Kirchen lehren die falschen Dinge.

Wenn es stimmt, dass das Wirkfeld Gottes die Welt ist, dann erklärt sich auch das Elend der Kirchen in der gegenwärtigen Umbruchssituation. Es besteht darin, dass die Verantwortlichen schon sehr früh damit begonnen haben, das Prophetische der "kleinen Leute" mit ihren Lebenserfahrungen und -erwartungen zu übersehen und gering zu schätzen. Stattdessen haben sie auf die Nachfolge griechischer Philosophen gesetzt und – auf hohem akademischen Niveau – "theologisiert", um aus einer Christusbewegung eine "Spezialistenreligion" zu machen, deren Sprache nur Fachleute noch verstehen.

Sie haben "sakramentalisiert" in Nachahmung heidnischer Initiationsriten, die zwar dem Bedürfnis von Menschen nach äußeren Zeichen und Riten entgegenkommen, aber auch Aberglaube, Magie und Fetichismus fördern. - Sie haben, das Konkrete des Lebens vernachlässigend, alles "übernatürlich erhöht", um es hierarchisch-klerikal zu verwalten. - Sie haben den "normalen" Menschen ihre Rolle, ihre Mitarbeit am Heilsgeschehen Gottes in der Welt verweigert. Deshalb ist es wahr, was Papst Johannes Paul I. sagt: Die Menschen verlassen die Kirche, weil die Kirche sie zuerst verlassen hat.

Die Kirchen stehen gegenwärtig erst am Anfang einer äußeren Emigration. Die innere hat längst viel weitere Ausmaße angenommen, wie es jüngst eine demoskopische Untersuchung wieder deutlich gesagt hat. Einige hundert junge getaufte Erwachsene wurden gefragt, welchem "höchsten Wert" sie für ihr Leben Bedeutung beimessen würden. 46% hatten keine Antwort; von den 48% Antworten gaben 25% "persönliche Freiheit" an; 11% "Familie und Freundschaft"; 6% "Heimat"; 4% "Frieden"; 2% religiösen Glauben...

Dazu korrespondiert die "Austrittswelle" aus der Kirche, die wieder ein für sie bedrohliches Ausmaß angenommen hat: 2007 waren es 93.000; 2008 130.000...
 


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