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Pater Fritz Köster
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Die Botschaft der Bibel (14):
Kirche gegenüber einer "pubertierenden Welt".

Februar 2010

Goethe hat einmal vom "ewig pubertierenden Menschen" gesprochen. Er sei besonders aktiv, schöpferisch begabt, ständig in Ungewissheit und Wagnis – deshalb umso mehr auf der Suche nach neuen Wegen und Lebensformen. Wie abenteuerlich "pubertierend" ist die heutige Weltkultur? Viele bleiben bei deren Dynamik und Initiativfreudigkeit auf der Strecke; viele werden Suchende und Fragende; gehen in Ungewissheit und Wagnis eigene Wege und wechselnde Pfade – mit der Chance des Reifer- und Erwachsenenwerdens. Auch im Glauben.

1. Die gut bürgerlich ausgestattete Kirche.

Man könnte den Zustand der Kirchen von heute mit einer bürgerlichen Familie vergleichen. Alles ist bei ihr in Ordnung. Die Kinder sind in einer positiven Atmosphäre aufgewachsen. Sie haben alles bekommen, was für ihr Werden und Wachsen wichtig war. An leiblichem Wohlbefinden hat es nicht gefehlt. Auch nicht an seelisch-geistiger Beheimatung und Geborgenheit. Jedermann würde sie eine "vorbildliche Familie" nennen.

Und doch kommt es in den besten Familien vor, dass sich Kinder – besonders in der pubertären Phase – abwenden. Sie ziehen aus der Familie aus, werden gegenüber den "Alten" kritisch und rebellisch. Die Eltern wirken mit ihren Ansichten eher "peinlich", ihre Verhaltensweisen sind jedenfalls nicht nachahmenswert. Der griechische Philosoph Sokrates hat schon im 5. Jh. v. Chr. beobachtet: "Die Kinder von heute sind Tyrannen. Sie widersprechen ihren Eltern, kleckern beim Essen und ärgern ihre Lehrer". – Und Mark Twain (1835-1910) berichtet über sich selbst: "Als ich 14 Jahre alt war, war mein Vater so dumm, dass ich ihn kaum aushalten konnte. Im Alter von 21 stellte ich mit Erstaunen fest, dass er in sieben Jahren eine Menge gelernt hatte".

Was hier von Kindern und Heranwachsenden gesagt wird, die "wohl schon immer so waren", wird von der heutigen Pädagogik positiv bewertet: Sie wollen ihren eigenen Weg gehen, ihre eigenen Gedanken denken, ihre eigene Sicht der Dinge bekunden! Die Kirche erlebt eine ähnliche Situation. Sie ist wie eine gut ausgestattete bürgerliche Familie. In ihr gibt es Vieles, was den Menschen an Leib und Seele gut tut: feierliche Gottesdienste, oft mit viel Weihrausch und äußerem Gepränge. Sie präsentiert sich als sinnstiftende Kompetenz für viele Fragen des Lebens. In ihr lebt die Wahrheit, oder die Suche danach ist ein prägendes Markenzeichen. Vieles ist in Ordnung, so dass sich die Menschen wohl fühlen müssten. Oder, wenn dem nicht ganz so sein sollte, sind Verantwortliche auch gerne bereit, das Christentum zu einer Wohlfühl- bzw. Wellnessreligion umzufunktionieren. Denn was tut man nicht alles, um die Schafe bei der Herde zu lassen...?

Trotz vieler guter "Angebote" ist die heute heranwachsende Generation allzu bereit, sich in erschreckendem Maße von der Kirche abzuwenden: von ihren Dogmen, ihrer Lehre, ihren sakramentalen "Angeboten", die eher als "Initiationsriten" bei bestimmten Anlässen verstanden werden, weniger als heilswirksame Zeichen (in einigen Diözesen wird wieder vermehrt von "Lebenswenden" gesprochen). Viele, die heute aus der Kirche austreten oder innerlich emigrieren, scheinen die Mentalität des 14-jährigen Mark Twain zu besitzen: sieben Jahre oder noch länger warten sie darauf, dass die Kirche "vernünftig" wird. Wer muß eigentlich von wem lernen: die Institution Kirche oder die sich von ihr abwendende Wohlstands- bzw. Null-Bock-Generation? Will diese überhaupt noch mal zurück in den "Schoß der Kirche"? Oder ist sie in ihrer pubertierenden Grundverfassung darauf angelegt, sich ein eigenes Lebenshaus zu bauen, einen eigenen individuellen Glauben?

In Freiheit "religiös" sein wollen, ohne kirchliche oder konfessionelle Bindung, scheint das Anliegen eines modernen Lebensentwurfes zu sein. Damit ist auch die Unabhängigkeit gegenüber festgesetzten Lehren, Dogmen, vorgefassten Meinungen über Gott und die Welt gemeint. Hat das "Glaubensgebäude der Kirchen" noch eine Zukunft, wenn immer weniger Menschen darin wohnen wollen?

2. Erwachsene haben ihre eigenen Gedanken, leben ihr eigenes Leben.

Man hat dem Christentum zu Recht viele "Todsünden" vorgeworfen: Leib- und Geschlechterfeindlichkeit, Erzeugung falscher Schuldgefühle, Anspruch auf allein selig machende Wahrheit und damit Intoleranz, Absegnung der Kreuzritter als Mitschuld am Tod unschuldiger Moslems und Juden, die Inquisition mit Folge der Verbrennung von Ketzern und Hexen, die Mission als Kolonialkrieg bei Ausrottung ganzer Volksstämme, Antijudaismus als Wegbereiter des Holocaust...

Vom Prinzip her war es immer schon unbestreitbar, dass es "keinen Zwang in Glaubenssachen" geben darf – so Benedikt XVI. 2006 in Regensburg. In der Realität gab es immer schon entgegen gesetzte Auffassungen und Praktiken. Die Bibel diente oft als Begründung dafür. So das Gleichnis vom Gastmahl (Lk 14.16 ff). In Vers 23 heißt es: "nötige die Leute zu kommen, damit das Haus voll wird". Dieser Vers diente lange dazu, den religiösen Zwang zu legitimieren. Selbst Augustinus (um 400 n. Chr.) hat seine Auffassung, dass das Gewissen nicht zum wahren Glauben gezwungen werden dürfe, revidiert. Es bedürfe einer rechten Verknüpfung von Strafe und Druck, um die christliche Pflicht zur Seelenrettung wahrzunehmen und um den Menschen vor dem falschen Glauben zu bewahren... Aber was heißt in der Praxis: "rechte Verknüpfung"?

Man kann unendlich viel und lange über das Christentum der Vergangenheit diskutieren, welches, wie Fachleute behaupten, eine Blutspur von 9 Millionen Opfern hinterlassen habe. Zu den Negativdaten müssen aber auch, der Ehrlichkeit halber, die unendlich vielen caritativen und sozialen Einrichtungen und Initiativen während der Jahrhunderte ins Feld geführt werden. Sehr weit jedoch führen solche Kontroversen des Für und Wider nicht. Sie türmen eher Berge von Argumenten und Gegenargumenten auf. Die Diskussion sollte auch deshalb beendet sein, weil sogar Päpste für viele "Todsünden" bereits Abbitte geleistet haben.

Gegenwärtiger sind heutige "Todsünden". Sie treten auf im Blick auf das Glaubensbekenntnis, dass die Einzigartigkeit Christi auf keinen Fall in Frage gestellt werden kann. Die Gefahr dazu ist groß, wenn "eindeutige Wege und Möglichkeiten der Toleranz" gegenüber anderen Glaubensbekenntnissen beschritten werden. Der Schritt in die Relativierung der eigenen Glaubensüberzeugungen scheint dann schnell getan. Wie in früheren Zeiten, so kann auch in Zukunft der Glaube an die "wahre Religion" bei Konflikten und Auseinandersetzungen mit anderen kaum gerettet werden. Andererseits kann der Konflikt schon deshalb nicht mehr, wie früher, "blutig" sein, weil viele Menschen ohne Aufsehen und ohne Bedenken dem christlichen Glauben den Rücken kehren – obwohl dieser Glaube doch auf Gottes Offenbarungen beruht!

Die "Todsünde" der Gegenwart scheint darin zu bestehen, dass das Fixiertsein auf den "wahren Glauben" und das "gesamte Lehrgebäude" den Blick verstellt hat für die Tatsache, die Khalil Gibran wie folgt formuliert hat: "Eure Kinder sind nicht eure Kinder... Sie sind die Söhne und Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selber... Sie gehören euch nicht. Ihr dürft ihnen eure Liebe geben, aber nicht eure Gedanken. Denn sie haben ihre eigenen Gedanken... Ihr dürft euch bemühen, wie sie zu sein, aber versucht nicht, sie euch ähnlich zu machen. Denn das Leben verläuft nicht rückwärts, noch verweilt es im Gestern...". -

Was hier als persönliche Freiheitsgeschichte beschrieben wird; als Freiheit der Gedanken und des Lebenswillens; als "Sehnsucht nach sich selbst" – wie können solche Ambitionen in Einklang gebracht werden mit dem Glauben an unverrückbare Dogmen und allgemeinen Lehren? Beim "freien Menschen" wirken sie eher wie Schneedecken, die die Freiheit des Denkens und Entscheidens verhindern.

3. Abschied vom Gott der Dogmatiker und Philosophen.

Die Krise des Glaubens ist im Grunde eine Krise des Glaubens an einen Gott, der in klaren Begriffen, ausgeklügelten Definitionen und allgemeinen Wahrheiten verkündet wird. Es mag für viele theologischen Fachleute ein Gedankenschmaus sein, wenn sie darüber reden und streiten, ob Gott dreifaltig ist oder nicht; ob Christus in einer Person zwei Naturen besitzt: eine göttliche und eine menschliche; ob Gott allmächtig ist, allgütig und allweise; ob er der strafende Richter ist oder die Liebe...

Was aus philosophischer oder theologischer Sicht als sehr bedeutsam herausgestellt wird – Kirchenführer müssen sich daran gewöhnen, dass das, was für sie sehr wahr ist, von "normalen Gläubigen" als nicht wichtig eingestuft wird. Wichtig ist für sie das Gelingen des Lebens. Dieses besteht aus banalen Alltäglichkeiten, in denen Forderungen des Evangeliums immer wieder verletzt werden: statt Liebe Egoismus, statt Hoffnung Depression, statt Toleranz Hemdsärmeligkeit und Mobbing, statt Sprach- und Beziehungskultur Unwahrhaftigkeit und Heuchelei, statt Ehrlichkeit mit sich selbst die Suche nach Sündenböcken bei anderen.

Die Erfahrung zeigt: um das Leben sinnvoll zu bestehen, bedarf es keiner Dogmatiker und Philosophen. Wohl kann man sich von ihnen inspirieren lassen. Man kann bei ihnen nachlesen, was sie denken und wie in früheren Jahrhunderten gedacht worden ist. Aber alles, was gedacht wurde, reicht nicht aus, um es zu tun. Auch moderne Menschen, denen Werte wie Liebe, Ehe, Familie, Freundschaft, Toleranz, Gemeinschaft... sehr wichtig sind – man kann sie nur ernst nehmen, wenn sie keine Mühe scheuen, um diese Werte auch zu leben. Deren Verwirklichung ist kein Kinderspiel. Den Kirchen, Christen und christlichen Gemeinden geht es ähnlich: sie werden auf Zukunft hin nicht mehr an ihren Worten (Sonntagsreden) gemessen, sondern an ihren Taten und "Früchten", wie es bei Mathäus (7.16) heißt: "An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen". – Und Lukas schreibt: "Jeder Baum wird an seinen Früchten erkannt" (6.44).
 


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