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Pater Fritz Köster
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Die Botschaft der Bibel (17):
Definitiv katholisch = definitiv christlich!?

Juli 2010

In diesen Tagen fiel mir ein Zeitungsartikel in die Hände mit der Überschrift: "Definitiv katholisch", geschrieben von einem deutschen Kardinal. In dem Artikel geht es um die Frage nach dem Frauenpriestertum. Eine Äbtissin in Süddeutschland hatte in einem Fernsehinterview erklärt, dass es "bedeutende Theologen" gäbe, die in dieser Frage "noch Entwicklungen sehen". Diese Bemerkung hatte den Kardinal "traurig und bestürzt" werden lassen. Er schrieb der Äbtissin, dass es keine Professorenkirche gäbe, sondern nur eine Bischofskirche in Gemeinschaft mit dem Papst. In dem Zeitungsartikel, den er mitschickte, erläuterte er, dass die "unfehlbare Lehre des Lehramtes" niemals zulassen werde, dass Frauen die Priesterweihe erhalten...

Bedenken, die die Menschen heute zu Recht zweifeln lassen, hat der Kardinal anscheinend noch nie bedacht. Wer "Unfehlbares" entscheiden will, schafft sich zuvor ein "unfehlbares Lehramt"! Wer die "volle Wahrheit" für sich beansprucht, kann – neben dem Willen zur Wahrheit – Jahrhunderte lang darauf bedacht gewesen sein, Menschen in Gehorsam und Untertänigkeit an sie zu binden! Denn wer kann schon gegen die Wahrheit sein? Aber was ist Wahrheit? Es gibt viele Antworten auf diese Frage... In der gegenwärtigen Kirchenkrise geht es aus vielen Gründen nicht mehr um das, was "definitiv katholisch" ist; denn es steht unter dem Verdacht menschlicher Ambitionen. Es geht vielmehr um das "definitiv Christliche" – um den Jesus des Ursprungs.


1. "Nicht du trägst die Wurzel, die Wurzel trägt dich" (Röm 11.18).

Heute melden sich viele Zweifel gegenüber den kirchlichen bzw. konfessionellen "Zweigen", herausgewachsen aus der christlichen "Wurzel". Sie lassen sich in den Fragen zusammenfassen: wie viele menschliche Ambitionen stecken seit 2000 Jahren – also seit dem Tod und der Auferstehung Jesu – in der Art und Weise, wie die Botschaft Jesu interpretiert und verkündet wurde? Was steckt in dem Anspruch auf "Unfehlbarkeit" und dem Besitz der "vollen Wahrheit"? Was in der Tatsache, dass sich die christliche Lebenshaltung nach dem Bespiel Jesu nicht als "einfaches Leben" darstellt, sondern aus bischöflichen Palais und päpstlichen Residenzen verkündet wird? Was bewirkt eine Liturgie in prunkvollen Gewändern, mit viel Weihrauch und Monstranz? Auf welchem hohen geistigen Podest stehen Menschen, wenn sie das "Wort des lebendigen Gottes" verkünden, ohne zuzugeben, dass es sich zum großen Teil um "Menschenwort" handelt, verbunden mit Zuversicht, Hoffnungen, Zweifeln, menschliche Sicht- und Verhaltensweisen...? Wie ist es mit der Macht des Menschen über Gott, wenn er "verwandelt"; aus Brot und Wein die reale Gegenwart Gottes unter den Menschen werden lässt?

Humanwissenschaften stellen heute fest, dass sich die Menschen mit ihren Ambitionen kaum verändert haben. Bewußt-unbewußt sind es subversive Triebe des Herrschens, Regierens, Besitzens und Rechthabenwollens. Jesus hat vor 2000 Jahren genau das Gegenteil verlangt. Sein Ruf war ein Ruf zur Bekehrung zu einer gottgemäßen Lebensweise, die über dubios Triebhaftes hinausgeht. Weil solche Bekehrung und "Lebenswende" oft auch nicht bei den höheren Berufschristen zu erkennen sind, kann man verstehen, dass immer mehr "aufgeklärte Menschen" das "definitiv Katholische" nur noch als einen "Lehrbetrieb" aus höherer Warte erkennen, in dem auch bei den "Verkündern" das "exemplarisch Getane" fehlt. Dennoch ist Letzteres in vielfältigen persönlichen wie auch gemeinschaftlichen Formen zu finden. Ihnen gegenüber stellt sich die Frage, ob nicht viele Menschen außerhalb der Kirchen mehr aus der "Wurzel" leben als vermutet. Sie sind wie Schafe, die keinen Hirten haben... (vgl. Mt 9.36).

Die Zeit ist überreif, nach dem "definitiv Christlichen" zu fragen. Dies aus zwei Gründen:
Erstens. Der einfache Wanderprediger aus Nazaret mit seiner einfachen Botschaft vom Reich Gottes mitten in der Welt, an dessen Werden und Wachsen jeder Mensch mit seinen Gaben und Fähigkeiten beteiligt sein kann, verträgt keine mittelalterliche Pracht- und Obrigkeitenkirche mehr. Überall da, wo sie sich heute z.B. in Kleider-Dünkel und Herrlichkeit präsentiert, kommt sie zwar dem exotischen bzw. schöngeistigen Anspruch vieler Menschen entgegen – leidet aber unter "Realitätsverlust". "Events" machen blind für die Wirklichkeit der Welt und des Lebens.
Zweitens. Die Botschaft Jesu in ihrer menschennahen und menschenbezogenen Verfassung erlaubt durchaus das Entstehen und Wachsen verschiedenster Kirchen und Gemeinschaften. Deren einendes Band ist nicht die "wahre Lehre", sondern der gemeinsame Wille zum wahren gottgemäßen Leben und Handeln. Das Evangelium in seinem konkreten Lebensbezug gibt Auskunft darüber, wie Menschen im Blick auf Werte und Tugenden zu einer christlichen Lebensgestaltung finden.

2. Was ist "definitiv christlich"? Es ermöglicht Vielfalt im Denken und Handeln!

Bei dieser Frage geht es nicht in erster Linie um "Kirche", sondern um das Heil der Welt. Deshalb hat Jesus keinen Mann und keine Frau zu Bischöfen bzw. Priestern geweiht. Er hat viel mehr den Männern und Frauen in seiner Nachfolge die Kraft und Gnade zugesprochen, beim Heilsgeschehen Gottes in der Welt mitzuwirken. Das Hauptgebot ist dabei die Praxis der Liebe. Um diesem Auftrag gerecht zu werden, haben sich in der ersten Zeit die Christen in kleinen Tisch- und Glaubensgemeinschaften zusammengeschlossen. Ihnen ging es stets um die Frage: was müssen wir sein und tun, um dem Anspruch Jesu zum Heil und Frieden in der Welt gerecht zu werden?

Daraus ist das "definitiv Katholische" geworden. Die Staatskirche wurde ein System nach dem Vorbild königlicher Herrschaftshäuser. Die einen nannten sich "Könige von Gottes Gnaden", die anderen "Stellvertreter Gottes auf Erden". -

- Bei dieser Frage geht es um die zwölf Apostel als die Vertreter der zwölf Stämme Israels; denn die Botschaft Jesu richtete sich zunächst an das jüdische Volk. Den Aposteln ist es aufgegeben, "die Brüder im Glauben und in der Liebe zu stärken" (vgl. Lk 22.32); aber sie haben nicht das Recht und die Vollmacht, die Brüder und Schwestern in Gehorsam und Untertänigkeit zu verpflichten bzw. an sich zu binden.
Das wurde erst möglich mit einer Kirchenverfassung, die sich die Mächtigen und Einflussreichen selbst geschaffen haben. Sehr hilfreich dabei waren und sind der hohe Anspruch der griechischen Philosophie und das römische (Kirchen)Recht. Den "kleinen Leuten" – früher uninformiert und ohne schulische Bildung – blieb nichts anderes übrig, als alles das für wahr zu halten, was sie die Verantwortlichen zu glauben lehrten. Daß schon zur Zeit Jesu die "Kleinen und Unmündigen" den Anforderungen des Evangeliums viel mehr nachzukommen verstanden als die "Berufstheologen" (vgl. Lk 10.21; Mt 21.16), wurde von diesen in späterer Zeit kaum noch oder immer weniger zur Kenntnis genommen.

-Bei dieser Frage geht es nicht um eine kluge akademische Theologie; nicht um eine "wahre dogmatische Lehre" und ein "unfehlbares Lehramt", sondern um die Praxis der Liebe und Gerechtigkeit; um einen "alternativen Lebensstil" der Christen gegenüber den "Kindern dieser Welt". Deren Haltungen sind allzu leicht das Egoistische, Herrschaftliche, Arrogante, Vielwisserische, Selbstherrliche...

Die Gefahr des selbstsicheren Gebarens wächst am allermeisten in einem zentralistischen, bürokratischen und hierarchischen System, angefangen beim Papst bis zu den Bischöfen und Priestern. Für sie ist der Dienst an der zu erlösenden Welt eine schier unerfüllbare Verpflichtung geworden. Statt die Brüder und Schwestern in ihrem Glauben und ihrer Lebenskompetenz zu stärken; statt das Volk Gottes Volk Gottes sein zu lassen und es zu eigener Glaubens- bzw. Entscheidungsfreiheit zu ermutigen, haben sie ihren Dienst immer mehr auf die Erhaltung eines theologischen Systems und kirchenrechtlichen Apparates verkehrt. Im Grunde haben die das religiöse Bewußtsein des Volkes im Stich gelassen.

Bei dieser Frage geht es um die Erinnerung, um das Wachhalten der Worte und Taten Jesu in seiner Zeit und in konkreten Lebenssituationen. Ebenso um den Auftrag und die Rolle der Christen mitten in der Welt und Geschichte. Denn jeder Mensch in seinem Leben erlebt Ähnliches wie Jesus: da fällt jemand unter die Räuber; da gehört eine Sünderin gesteinigt; da ist jemand krank und elend; da ist jemand hungrig und durstig; da missachtet jemand die Kinder... Wie Jesus beispielhaft gezeigt hat, wie das Reich Gottes schon jetzt seinen Anfang nehmen kann, so besteht das Christ-sein in nichts anderem als in dem Willen, die Worte und Taten Jesu mitten in der Welt fortzusetzen. Diese werden "Licht der Welt" genannt, "Sauerteig", Erweise eines neuen gottgewollten Anfangs... Denen, die so dem Beispiel Jesu folgen, wird der "Beistand des Geistes" verheißen. "Ich bin bei Euch bis ans Ende der Welt...". -

Während in der Zusage Jesu Gottes Geist in den Werken der Barmherzigkeit, der Liebe, der Gerechtigkeit mitten im Alltagsleben gegenwärtig ist, werden im kirchlichen Denken andere Prioritäten gesetzt. Demnach wirkt Gott primär durch kirchliche Kanäle: durch die Sakramente, durch das Lehramt, durch bevollmächtigte Geweihte... Dadurch schwindet das Bewusstsein, dass Gott ein Gott der ganzen Schöpfung ist. Gottes Wirken wird eingeengt auf kirchliche Kanäle und Strukturen. Menschen können im Endeffekt nur gut sein innerhalb der Kirche. Außerhalb der Kirche kein Heil...

3. Er wohnt nicht in Tempeln, die aus Menschenhand gemacht sind (Apg 17.24).

Es erübrigt sich an dieser Stelle, über die verheerenden Folgen einer Kirchenpolitik zu sprechen, die sich anmaßte, das Wirken Gottes in der ganzen Schöpfung vor allem für sich in Anspruch zu nehmen. Das "neue Volk Gottes", d. h. die Kirche, hat nicht nur auf den eigenen Anspruch auf Auserwählung und Ausweitung bestanden, sondern auch in der übrigen (religiösen) Welt nicht ernst zu nehmende Abwegigkeiten erkannt. Das heutige gravierende Schisma zwischen Religion und Kultur (Paul VI.) ist zum großen Teil hausgemacht.

Dagegen hat Paulus bereits in der ganzen Schöpfung eine sehnsüchtige Hoffnung zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes entdeckt (vgl. Röm 8.18-30). Paulus verkündete den "unbekannten Gott" (Apg 17.23), der überall gegenwärtig ist und "die Herzen erforscht". Er spricht vom "Erstgeborenen der ganzen Schöpfung, in dem alles erschaffen wurde..." (vgl. Kol 1.15f).

Für kirchlich sozialisierte Leute, die allzu lange auf sich selbst fixiert waren, ist es höchste Zeit, Gott wieder Gott sein zu lassen, der durch Christus alles versöhnen will, was im Himmel und auf Erden ist...(Kol 1.20). Der Blick muß sich richten auf alles Gute und Böse in der Welt; auf die "heiligen Heiden" und nachahmenswerten Vorbilder, die es im Christentum, im Islam, im Buddhismus wie in der übrigen Welt gibt; auf die Spuren des schöpferischen Gottes, der dabei ist, Menschen zu erleuchten und die Welt zu erlösen. Uns ist es aufgegeben, den Weizen überall da, wo er sich zeigt, beim Wachstum zu stärken statt sich anzumaßen, das Unkraut ausrotten zu müssen...

Christen haben nach Paulus die "Erstlingsgabe" erhalten (Röm 8.23). Ihre erste Aufgabe besteht darin, das Versöhnungswerk Gottes in der Welt voranzutreiben: durch ein vertrauensvolles Miteinander, durch Taten der Versöhnung und Gerechtigkeit, durch das Ermutigen möglichst vieler Menschen, von ihrer Freiheit, von ihren von Gott gegebenen Gaben, Fähigkeiten, Charismen... entschieden Gebrauch zu machen.

Ich kann immer nur daran erinnern, dass JOHANNES XXIII. es war, der dem "definitiv Christlichen" mitten im "katholisch Verkrusteten" wieder zum Durchbruch verhelfen wollte. Leider hat es bisher keinen gleichkalibrigen Nachfolger gegeben. Wenn wir Christen einen Papst sehen wollen, der für die Probleme der heutigen Welt und Kirche bereit steht, sollten wir vermehrt seinen Rat in Anspruch nehmen. Er war der Papst, der nicht "autistisch-kirchlich" um sich selber kreiste, der jede konfessionelle Verengung und Kirchenangst, aber auch "die Welt überwunden hat". Er konnte es, weil er auch das Gespräch mit kommunistisch wie liberalistisch orientierten Menschen nicht scheute. Wie Jesus, der im Blick auf die Realitäten der Welt und des Lebens zu trösten und Mut zu machen verstand: Habt Mut, bei aller Bedrängnis: "ich habe die Welt überwunden" (Joh 16.33).
 


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