www.fritz-koester.de
Pater Fritz Köster
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Die Botschaft der Bibel (4):
Jesus verkündete das Reich Gottes und es kam die Kirche.

November 2008

Dieses Wort des Theologen A. Loisy hat am Anfang des 20. Jahrhunderts (1900) großes Aufsehen erregt. Es hat Zuspruch und noch mehr Widerspruch gefunden. Es hört sich so an, als wäre nach der Ankündigung Jesu vom "Reich Gottes" die Kirche gekommen: das Kleinere für das Größere, das Menschliche für das Göttliche, das Provinzielle für das Allumfassende. Der Eindruck wurde geweckt, als wäre die großartige, auf die gesamte Schöpfung ausgerichtete Botschaft Jesu vom "Reich Gottes" in die Hände und Köpfe von Menschen gelangt, die bei aller menschlichen Klugheit gewöhnlich einseitig, interpretierhungrig, eigenmächtig, interessengeleitet, rechthaberisch, einflussbedacht und machtbesessen sind...
Tatsächlich hat sich die Kirche im Laufe von 2000 Jahren häufig so erwiesen. Gründe genug, um inzwischen viele christliche Kirchen werden und wachsen zu sehen – mit zahlenmäßig steigender Tendenz. Jede besteht auf unterschiedliche Weise auf eigene Wahrheiten, beharrt auf eigenem Recht. Sie bieten sich heutigen Menschen – sofern sie nicht völlig "atheistisch" geworden sind – als "Alternativen" zu den großen Volkskirchen an. Diese bröckeln und kriseln. Tausende "freie Kirchen" schießen wie Pilze aus dem Boden. Dienen sie dem von Jesus verkündeten "Reich Gottes"? Schaffen sie zu Recht Alternativen zu den Großkirchen? Was ist überhaupt mit "Reich Gottes" gemeint?


1. Das Gebet Jesu: Dein Reich komme!

Diese Vater-unser-Bitte ist seit 2000 Jahren allen Christen bekannt. Jesus selbst hat sie den Christen zu beten aufgegeben. Darin greift Jesus ein Anliegen auf, welches schon in den Jahrhunderten vor ihm eine große Rolle gespielt hat. Das jüdische Volk lebte schon immer in der Erwartung des Messias und damit in der Hoffnung auf das "Reich Gottes", d.h. auf die endgültig erlöste und geheilte Welt.

Solche Erwartung und Hoffnung sind eigentlich nur zu verstehen auf dem Boden der Tatsache, dass die Welt unerlöst und die Menschheit im Argen liegt. Die Erfahrung der Unerlöstheit hat das Alte Testament Jahrhunderte lang tradiert. Im ersten Kapitel des Alten Testamentes, im Buch Genesis, ist von der "Erschaffung der Welt" die Rede. Am Ende des Schöpfungsberichtes – als Sechs-Tage-Werk, so wie es damals gesehen und verstanden wurde – heißt es: "Gott sah alles, was er gemacht hatte: Es war sehr gut" (Gen 1.31).

Der "paradiesische Zustand", von dem am Anfang die Rede ist, bekommt schon bald einen Bruch. Adam und Eva werden aus dem Paradies vertrieben. Sie haben sich nicht an die Anordnungen Gottes gehalten. Sie aßen vom "Baum der Erkenntnis", der ihnen durch die Schlange des Bösen vorgaukelte, sie könnten auf diese Weise "werden wie Gott". So kam das Unheil in die Welt. Es äußerte sich in besonderer Weise in der Vergiftung des Klimas unter den Menschen. Kain tötet seinen Bruder Abel, weil er sich – in seinem Neid und seiner Eifersucht – von Gott weniger geliebt sieht.

Die Sünde und das Unheil in der "guten Schöpfung Gottes" schreiten in der gesamten Geschichte des Alten Testamentes fort. Die Sintflut, die alles Leben auf der Erde zunichte macht, ist die Strafe Gottes für die dauernden Vergehen der Menschen. Aber sie bietet sich auch als Chance zu einem neuen Anfang. Denn Gott, dem an seiner Schöpfung und an seinen Geschöpfen liegt, gibt immer wieder die Gelegenheit zur Umkehr auf die Wege und Weisungen Gottes, die auch die Wege der Menschen werden sollen – zur Ehre Gottes und zugleich zum Heil der Menschen.

2. Die Propheten: Gegenwartskritiker und Zukunftsansager.

Die Hoffnung auf das Kommen des Reiches Gottes hatte von Anfang an viel mit dem Zusammenleben der Menschen zu tun. Wo dieses durcheinander zu geraten drohte, traten im Alten Testament die Propheten auf. Sie hielten keine allgemeinen Reden "für alle"; ihre Worte hatten immer konkrete Adressaten und Situationen im Blick. Sie wussten sich nicht nur von Gott autorisiert. Gott selbst kam durch sie zur Sprache. Ihr Auftrag lautete: zu mahnen oder aufzurichten; Trostworte zuzusprechen und in jedem Fall die Weisungen Gottes als Lebensregeln einzuschärfen.

Der Prophet Micha z.B. (740-700 v. Chr.) wird nicht nur der große Mahner und Erzieher zur Treue im Glauben an Jahwe und seine Gebote. Er klagt mit Schärfe und Beharrlichkeit die Achtung der Menschenwürde und das Einhalten der Menschenrechte ein. Denn sie sind die Grundlage und der Maßstab der Verehrung Gottes. Das Versagen der politischen Amtsträger, die nur die Interessen des Staates und der Reichen im Blickfeld haben, ist für ihn ein Skandal. Die Tatsache, dass es die habgierigen Reichen gibt; andere, die das Volk ausbeuten und unterdrücken; wieder andere, die sich als gekaufte und käufliche Propheten betätigen – alles das führt zum Strafgericht und zum Untergang. Wenn sich aber die Menschen wieder zum Guten bekehren, werden sie gestärkt in der Hoffnung und Verheißung auf die zukünftige Herrschaft Jahwes auf dem Zion.

Auch der Prophet Jesaja (8. Jh. v. Chr.) greift die großen Themen des biblischen Glaubens auf. Er konzentriert sich auf die Frage nach Recht und Gerechtigkeit in Israel und unter den Völkern. Denn der "Heilige Israels" ist derjenige, der rettet und Frevler verwirft. Er ist Erlöser und bahnt die Herrschaft Gottes an. Dabei wird es eine Bestrafung von allen Übeltätern geben; aber auch eine Befreiung von allen Übeln. So heißt es bei ihm: "Tröstet, tröstet mein Volk, spricht euer Gott... Verkündet der Stadt, dass ihr Frondienst zu Ende geht, dass ihre Schuld beglichen ist" (vgl. 40.1-31).

Auch Jesus gehört in die Reihe der großen Propheten. Authentisch, menschennah und situationsbezogen hat er deutlich gemacht, wie Gott an der Welt und an den Menschen handelt; wie Menschen ähnlich denken und handeln sollen, damit der Friede Gottes und die "größere Gerechtigkeit" schon im Hier und Heute ihren glaubwürdigen Anfang nehmen können. Die Bedingungen, dass das Reich Gottes schon Jetzt mitten unter den Menschen beginnt, lauten: Einer trage des anderen Last; liebt einander, sogar eure Feinde; seid barmherzig den Armen und Bedürftigen gegenüber; seid hilfsbereit und vergebt euch untereinander eure Schuld...

3. Das Reich Gottes: Urgestein des Christlichen.

Wenn heute, in der Zeit der Krise, immer wieder nach dem Ursprung, nach den Uranliegen Jesu und der Propheten gefragt wird, seien hier vier Antworten gegeben:

a). Die Predigt Jesu und der Propheten war weltorientiert. Sie haben ein Bild von der Schöpfung Gottes vor sich, welche durch die Machenschaften von Menschen im Argen liegt. Letztlich haben jedes Unheil in der Welt und jede Zwietracht unter den Menschen ihren Ursprung darin, dass die Menschen "sein wollen wie Gott". Sie halten sich nicht an die Weisungen Gottes, sondern machen sich nach eigenem Gutdünken ihre Gesetze und Gebote.

b). Die Predigt Jesu richtet sich an alle Menschen guten Willens. Durch ihr gottgemäßes Denken und Tun soll das Reich Gottes in Gerechtigkeit und Liebe "schon jetzt" seinen Anfang nehmen. Die Menschen innerhalb der gesamten Schöpfung Gottes – unabhängig von religiösen, kulturellen und völkischen Grenzen – sind immer schon Teilhaber am Heilsgeschehen Gottes. Denn Gott hat seit Noach mit der Welt einen Bund geschlossen (Gen. 9). Seit dem ist die zu erlösende und heilende Welt das eigentliche Anliegen und Betätigungsfeld Gottes.

c). Das Reich Gottes, wie es "schon jetzt" im Kleinen zu entstehen vermag – sofern Menschen "Licht der Welt", "Salz der Erde", "Sauerteig" zu sein vermögen – , ist "mitten in der Welt" und an keine Religion, Kultur oder Sprache gebunden. Tatsächlich finden sich bis heute überall in der Welt Menschen und Gruppierungen, die durch ihre Friedensarbeit, ihren Sinn für Gerechtigkeit, ihre tätige Liebe an Kranken und Bedürftigen... die Wege Gottes gehen; die dem Werden und Wachsen des Reiches Gottes sehr nahe sind – ohne dass sie sich dessen bewusst sein müssen (vgl. Mt 25. 31-46; Mt 5). Alle diese Menschen weltweit zusammen zu schließen, sie ernst zu nehmen mit ihren Fähigkeiten und Grenzen, sie zu verpflichten im Blick auf die stets gefährdete Schöpfung – es wäre der aktive und tätige Vollzug dessen, was Jesu Bitte "Dein Reich komme" als Anliegen beinhaltet.

d). Bei der Verkündigung des Reiches Gottes waren in der Zeit Jesu an erster Stelle die Kleinen und Unmündigen, die einfachen Leute, Männer und Frauen, Fischer und Handwerker angesprochen und beteiligt – so als hätten sie eine besondere Fähigkeit, das Leid und Elend in der Welt zu begreifen; ebenso aber auch die Hoffnung auf ein erlösteres Dasein zu verkörpern. Der dynamische Anfang des Christentums bestand zum großen Teil aus dem Protest gegen alles Ungerechte, Unwahrhaftige, Heuchlerische, Rechthaberische und Arrogante – zerstörerische Eigenschaften, die Menschen in ihrer Triebhaftigkeit an sich haben. Auch Jesus wurde verstanden als einer, der sich weigert, einverstanden zu sein mit dem, was für viele seiner Zeitgenossen – vor allem der Begüterten, Mächtigen, Einflussreichen – akzeptabel und selbstverständlich war. Er forderte alternative Maßnahmen, an die Menschen von sich aus und normalerweise nicht denken: Schuld zu vergeben; die Spirale der Gewalt nicht voranzutreiben; Barmherzigkeit zu üben; nicht Feindschaft und Hass zuzulassen; die Liebe zu üben – sogar gegenüber den Feinden. Er erdete den "wahren Gottesdienst" zum Dienst am Nächsten und an der Welt, verbunden mit der Verheißung, dass Menschen, die die Wahrheit tun, zum Licht Gottes finden.
 


Letzte SeitenÄnderung: 02.03.2011.
Bitte beachten Sie meine Nutzungsbedingungen.