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Pater Fritz Köster
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Die Botschaft der Bibel (5):
Wenn eine Botschaft in die Köpfe von Menschen gerät...

Dezember 2008

Die Bibel ist voller "humaner Werte". In ihr geht es um das "Tun der Wahrheit", um die Einübung des Menschen in die Praxis der Liebe, der Gerechtigkeit, der Gemeinschaft und Barmherzigkeit... Sie zu leben, ist eine zentrale christliche Angelegenheit. Das Gegenteil davon steht dem Heilshandeln Gottes und seiner Gegenwart unter uns Menschen am meisten im Wege. Wo Hass herrscht statt die Liebe; wo Neid und Eifersucht das Zusammenleben von Menschen vergiften; wo Heuchelei und Dünkel zu beeindrucken versuchen, da gibt es keinen Frieden auf Erden. Weder im Großen noch im Kleinen. Wer dagegen Welt- und Menschenorientierung sucht, wer die christliche Bewährung in der Konkretheit des Lebens ernst nimmt, muss sich vor zwei Gefahren in Acht nehmen: entweder wird alles Religiöse "bloßer Humanismus" oder das Religiöse wird ins nebulös "Übernatürliche" verzerrt und verdunkelt. Beide Tendenzen werden der Predigt Jesu nicht gerecht. Bei ihm wird alles Tun des Guten zu einem "Sauerteig", der die Welt durchsäuert; zu einem Licht und Salz, die allem weltlichen Geschehen Kraft und Würze geben. Es ereignet sich der Anfang des "Reiches Gottes". Die Hinwendung des Menschen zur Welt und zu den anderen erweist sich zugleich als Weg des Menschen zu Gott.

1. Jesus brauchte keine Experten.

Was die Botschaft Jesu betrifft, fing alles ziemlich einfach an. Da war eine Person, die durch ihr Denken und Verhalten in konkreten Lebenssituationen vorexerzierte, wie Gott sich den Menschen von Anfang an gedacht hat, und wie gläubige Christen schon jetzt das Reich Gottes vorwegzunehmen vermögen – wenn auch noch so fragmentarisch. Die humanen Lebenswerte, die Jesus verkündete und lebte, waren kein bloßer "Humanismus" oder "Horizontalismus", sondern sie standen in dem größeren Zusammenhang der Vorhaben Gottes mit der Menschheit. Sie waren nicht "konfessionell" oder ethnisch gebunden. Bei der Proklamation des Reiches Gottes ging es letztlich um die Heimholung der ganzen Schöpfung in ein neues, von Gott gewolltes Erlösungsgeschehen. Wo es um die Sache Gottes mit der ganzen Menschheit ging, da waren alle Menschen guten Willens mit einbezogen. Da galten nicht mehr die herkömmlichen Schranken zwischen Juden und Griechen, Sklaven und Freien, Mann und Frau...(Gal 3.28).

Tatsächlich holte Jesus die einfachen Leute, Männer und Frauen, Fischer und Handwerker... in seine unmittelbare Nähe und Gefolgschaft. Es waren Menschen mit Lebenserfahrung. Sie verstanden etwas von der Praxis der Liebe, des Zusammenseins und von Friedensstiftung. Auch von den vielen Stolpersteinen, die es im Zusammenleben von Menschen gibt. Aber gerade die "Stolpersteine" waren und sind es, die gemeistert werden müssen. Sie sind die Wurzel aller Übel und werden zu einer Sintflut des Hasses, der Gewalt und der Kriege, die die ganze Welt ins Chaos stürzen können. Deshalb der Ruf Jesu zur Umkehr. Denn wenn Menschen sich nicht bekehren, nicht von ihrem triebhaften und egoistischen Getue ablassen, dann ist die Welt nicht zu retten. Wo dagegen zwei oder drei in Jesu Namen zusammen sind, da hört Gott mit, da ist er mitten unter den Menschen (Mt 18.20).

Der Auftrag lautete also, der Welt ein Segen zu werden – eine Aufgabe, die seit 2000 Jahren gilt, auf weiten Strecken aber von der Christenheit vernachlässigt worden ist. Am meisten von den "Offiziellen", die allzu gerne die Brille einer selbst gemachten Ideologie oder des Dogmatismus aufsetzen, um dann blind zu werden für neue Aufgaben und veränderte Situationen. Trotz vieler Blindheiten hat es immer die Tausenden gegeben, von denen niemand sprach, weil sie im Stillen und Verborgenen wirkten. Im Sinne des Evangeliums waren und sind sie die "eigentlich Gläubigen", weil sie die Nackten bekleiden, die Hungernden speisen, die Kranken pflegen und die Gefangenen aus ihren Nöten befreien...(vgl. Mt 25. 31 – 46). -

2. Passt Euch nicht der Welt an!

Mit solchen Worten geht die Mahnung des hl. Paulus an die Römer (Röm 12.2), wie es überhaupt viele Bibelstellen gibt, die vor dem Bösen in der Welt warnen. Um seiner Botschaft willen - hat deshalb Jesus eine Kirche gegründet? Nein. Jedenfalls nicht durch einen besonderen Akt oder durch ein besonderes Wort. Zwar wird immer wieder der Eindruck hinterlassen, als habe Jesus durch mehrere feierliche Akte die Kirche ins Leben gerufen: durch seine Reich-Gottes-Predigt, durch die Berufung der zwölf Jünger..., die aber nichts anderes waren als die Repräsentanten der zwölf Stämme Israels.

In der Dynamik der damaligen Geschehnisse ist dennoch – nach dem Tod und der Auferstehung Jesu – "Kirche" entstanden in Form von Versammlungen der ersten Christen. Es waren die Anhänger Jesu, die sich nach der Katastrophe des Karfreitags versammelten, um sich gemeinsam Rechenschaft zu geben über das, was Jesus gesagt und getan hatte. Nach den "Synoptikern" (den ersten drei Evangelien) waren die ersten christlichen Gemeinden "Erinnerungsgemeinschaften" an die Worte und Taten Jesu. Ihnen ging es dabei selbst um die Fortsetzung der Worte und Taten Jesu in der Geschichte. Denn wozu sollten sie sonst – als "Nachfolgegemeinschaft – gut sein? Das Reich der Gerechtigkeit und des Friedens sollte ansatzweise, als Anbruch der Gottesherrschaft, von Menschen gelebt werden – bis zur endgültigen Machtergreifung Gottes, bis zu seiner vollen Offenbarung. Dem entsprechend organisierten die Christen ihr gemeinschaftliches Leben und "Brotbrechen".

Die Dynamik der christlichen Gemeinden in den ersten drei Jahrhunderte bestand also darin, die Nachfolge Jesu – bei allen Menschlichkeiten, die es auch damals schon gab – ernst zu nehmen, d.h. die Wege und Weisungen Gottes im Leben zu befolgen – als Anfang einer erlösteren Welt. Viele haben dabei sogar ihr Leben lassen müssen. Wie Jesus seinen Weg bis zum Ende gegangen war, so wollten auch die Christen ihren Überzeugungen und Hoffnungen treu bleiben. Wie Jesu Tod der Anfang einer neuen Schöpfung geworden war, so verstanden sich die christlichen Gemeinschaften in ihrem Denken und Tun als "Sauerteig" einer neuen Welt in Frieden und Gerechtigkeit.

3. Anpassung an den "Zeitgeist".

Bei allen möglichen Anlässen, früher wie heute, wird immer wieder vor dem "Zeitgeist" gewarnt. Die Kirche dürfe sich dem nicht anpassen! Dennoch besteht kein Zweifel, dass sie sich Jahrhunderte lang dem "Zeitgeist" angepasst und unterworfen hat. Aus der ursprünglichen Reich-Gottes-Orientierung mitten in der Welt wurde Kirchen-Orientierung, d.h. die Konzentrierung der Kirche auf sich selbst. Diese Umorientierung lag zunächst in der Natur der Entwicklung. Mit der "Konstantinischen Wende" wurde das Christentum Staatsreligion. Im Laufe der kommenden Jahrhunderte strömten die Massen in die Kirche. Es bedurfte also neuer Strukturen und Organisationsformen, um den Zulauf infolge der Missionierung Europas zu bewältigen. Diese war allerdings auch von sehr bedenklichen Begleiterscheinungen belastet. Auf weiten Strecken war sie weit entfernt von einer "frohen Botschaft", weil Gewalt und Unterdrückung eine peinliche Rolle spielten. Lagen sie auch in der "Natur der Sache"? Hatten sie mit dem "Zeitgeist" zu tun? Einige Faktoren der Anpassung an den "Weltgeist" seien hier genannt:

a). Die Kirchenverfassung wurde im Laufe der Jahrhunderte immer mehr einer Staatsverfassung ähnlich. Auf der einen Seite der monarchische König – auf der anderen Seite der monarchische Papst; dort die Fürsten, die vom König bestimmt und anerkannt wurden – hier die (Fürst)Bischöfe, vom Papst nach dessen Gutdünken eingesetzt; dort der alles beherrschende Adel – hier der alles bestimmende Klerus als "Adel der Kirche"; dort die gehorsamen und allerdings früher noch ungebildeten Untertanen – hier der Gehorsam gegenüber Papst, Bischöfen, klerikaler Hierarchie...

b). Wie der Staat seine Verfassung und Rechtsordnung hatte, so auch die Kirche. Sie hießen "Kirchenrecht" und "Glaube als Lehre der Kirche". Bei der "Lehre" wurde die Wahrheitsfrage zentral. Um die Wahrheit zu finden und zu erforschen, wurden die größten Gelehrten (Philosophen) bemüht. Deren Ergebnisse bei der Wahrheitssuche wurden z.T. vom Lehramt übernommen und als verbindliche Lehre verkündet. Die Folgen dieser Entwicklung waren und sind gravierend: das Christentum wurde mehr und mehr zu einer "Spezialistenreligion" und "Expertokratie". Das Volk konnte da nicht mehr mitreden, es blieb stumm und sprachlos. Da die Frage nach der Wahrheit der Angelpunkt des Christentums wurde, blieb die Einübung in das wahre, gottgemäße Leben durch alle Getauften ein Nebenschauplatz – dennoch von Orden und "exemplarischen Menschen" immer wieder in Erinnerung gerufen. Weil "die Wahrheit" als Allheilmittel in der ganzen Welt verkündet werden sollte, hatten ganze Völker keine Chance, wenn sie sich nicht unterwerfen wollten. Von der Ausbreitung einer Religion der Liebe und Gerechtigkeit konnte auf weiten Strecken der Missionsgeschichte keine Rede sein.

c). Während sich im Laufe der letzten Jahrhunderte die Staatsverfassungen "demokratisierten", werden bis heute die Christen zu Gehorsam und Untertänigkeit verpflichtet. In den Gesellschaften setzte sich das Bewusstsein durch, dass alle Mitverantwortung tragen und bei wichtigen Anlässen zur Urne gerufen werden. In der Kirche ist die Beteiligung von Laien und Nichtklerikern nur nebenbei erwünscht. Diese befindet sich in der Gefangenschaft von Dogmatik und Kirchenrecht – immer mit der unausgesprochenen Behauptung, dass auch Gott darüber hinaus nicht wirken kann. Deswegen auch die Christen nicht. Als nach dem II. Vaticanum (1962-1965) überall in der Welt die Christen selbst anfingen zu denken, wurden die herkömmlichen Glaubenshüter ungeduldig und maßregelnd. Sie fürchteten um ihre Lehre, weil das Basisvolk einen anderen Ansatz wählte. Ihm ging es nicht mehr um das viele Reden über Liebe und Gerechtigkeit, sondern um die Verifizierung christlicher Werte und Tugenden in konkreten Lebenslagen. Dabei wurden viele theologische Wahrheiten nicht mehr wichtig, ohne dass sie aufhörten, wahr zu sein. Wichtig wurde das gelebte Leben, das "Tun der Wahrheit", das sich vor Gott und vor der Welt verantworten lässt. Früher lautete die Frage: wie kann man den vom Lehramt vorgefertigten Glauben den Menschen nahe bringen (durch Katechismen und Lehrbücher)? Heute müsste sie lauten: wie kann man mitten in den Erfahrungen und Sorgen des Alltags Gott suchen und finden – den Glauben als lebendiges Ja-Sagen zu Gott? Glaube als verbindliche Übernahme der Worte und Taten Jesu ins eigene Leben...?

4. Was der Welt zum Frieden dient...

"Wenn doch auch du... erkannt hättest, was der Welt Frieden bringt". Dieser Satz steht bei Lukas (19.42), ausgesprochen von Jesus, der die Zerstörung der heiligen Stadt Jerusalem ankündigt. Weil die Bewohner der Stadt "die Zeit der Gnade" nicht erkannt haben, wird kein Stein auf dem anderen bleiben; Erwachsene und Kinder werden zerschmettert werden...

Man kann solche Visionen – angesichts der heutigen Kirchen- und Weltsituation – nicht laut genug von den Dächern schreien. Was würde heute der Welt zum Frieden dienen? Der Konzilspapst JOHANNES XXIII. hat, wie bisher kein anderer, die Situation nüchtern und realistisch eingeschätzt und weltweit alle Menschen "guten Willens" aufgerufen – je mit ihren Gaben und Fähigkeiten, ganz gleich ob getauft oder ungetauft, ob kirchlich oder unkirchlich, ob europäisch oder asiatisch... Der Papst hat damit, stillschweigend und, für ewig Gestrige auf "gefährliche Weise", "Lehramt" und "Kirchenrecht" als zweitrangig eingeschätzt. Seine Sicht war nicht allein kirchen-, sondern vor allem weltorientiert. Aus seiner Sicht könnte man sagen: die Schöpfung Gottes ist durch den Ungehorsam von Adam und Eva in Strudeln geraten und bis heute aufs Höchste gefährdet. Deshalb können sich Menschen, sofern sie sich ihres Verstandes bedienen, die Welt vorstellen wie eine gigantische Baustelle, an der es immer etwas zu tun, zu "reparieren", zu "erlösen" gibt. Dazu hat jeder Fähigkeiten bekommen, jeder an seinem Platz. Im Kleinen wie im Großen vermag jeder seine "Bausteine" beizubringen. Sie heißen Liebe, Friede, Versöhnung und Miteinander, damit der Weizen des Guten wächst, ohne vom Unkraut des Bösen überwuchert zu werden (vgl. Mt 13.24-30).

Es gilt, die engen Grenzen kirchlicher Beschaulichkeit und Selbstrechtfertigung zu sprengen, um für das Erlösungsgeschehen Gottes in der ganzen Welt offen zu werden. Solange christliche Kirchen und verantwortlich Denkende die Zeichen dieses Erlösungsgeschehen sehen und danach handeln, haben sie ihre Existenzberechtigung nicht verloren. Sie werden sie im Gegenteil gestärkt und geläutert wieder finden.
 


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