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Brennende Fragen zu Religion, Glaube,
Kirche(n) (10):
Die Predigt Jesu und die Gottvergessenheit der Kirche(n).
September 2013
Praktizierende Katholiken wurden lange Zeit, viel zu lange, auf die
Kirche ausgerichtet: auf ihre Ämter, ihre Hierarchie, ihr
Zwei-Klassen-System Kleriker/Laien: Geweihte/ Ungeweihte; auf die
Sakramente; auf die Kirche als Heils- und Gnadenanstalt, ohne die es kein
Heil gibt... Wenn im "Jahr des Glaubens" immer wieder von der Notwendigkeit,
Festigung und Vertiefung des Glaubens gesprochen wird, kann man sich des
Eindrucks nicht erwehren, dass die oben geschilderten Anliegen weiterhin
eine zentrale Rolle spielen sollen.
Das Fixiertsein auf die Kirche kann leicht blind machen für Entwicklungen
und Zustände außerhalb von ihr: in der Welt. Man kann sogar, in "Antimodernisteneiden",
Sturm dagegen laufen – zugleich gegen die eigene Lehre, die besagt, dass
Gott trotz vieler Widerwärtigkeiten durch Menschen Herr der Geschichte
bleibt. Warum also so viel Angst und Unsicherheit? Solche Reaktionen kann es
eigentlich nur bei Menschen geben, die sich die Welt und das Verständnis von
ihr zueigen gemacht haben; die in den Abläufen der Zeit dieses ihr
"Eigentum", ihr Gedanken- und Glaubensgebäude, ihre Privilegien und
Sonderstellung bedroht sehen; die sich sogar die Botschaft Jesu auf eigene,
ihnen angemessene Weise zueigen gemacht haben.
Dieses Sich-zueigen-machen ähnelt sehr der frühere Kolonialzeit, in der
ganze Länder und Kontinente von den Europäern in Besitz genommen wurden.
Diesem "Zeitgeist" entsprechend kann man sich des Eindrucks nicht erwehren,
dass auch die Botschaft Jesu von einigen "Berufenen" vereinnahmt und
beansprucht wurde: von "Nachfolgern der Apostel", die Kleriker bzw. Bischöfe
waren; die aus dem Adel und Fürstenhäusern stammten; die gebildete Männer
gewesen sind und in der patriarchalischen Gesellschaft in vielen Fragen das
Sagen hatten; die von vielen Eigeninteressen beherrscht waren...
Der italienische Schriftsteller Franco Ferrucci lässt in seinem Buch "Die
Schöpfung" Gott einmal darüber klagen, dass er "den Theologen in die Hände
gefallen sei". Dadurch sei seine Botschaft verwissenschaftlicht,
theologisiert, verkirchlicht... worden. Die "wahre Religion", die eine
"Interaktion zwischen dem Schöpfergott und jeder Kreatur" als Aufgabe habe,
sei als solche nicht mehr erkennbar. Die Kirchen hätten das Wirken Gottes
auf sich bezogen und dadurch das Wirken in seiner Schöpfung verengt und
vereinnahmt. Durch ihre Lehren und Sakramente wäre Gott ein Sympathisant der
Kirchen und ihrer Autoritäten geworden, nicht mehr alles und aller
Lebendigen.
Solche Gedanken kann man auch in den heiligen Büchern finden. Der Evangelist
Lukas schildert einmal, wie Jesus "noch siebzig andere" in die Dörfer und
Ortschaften aussandte, um in ihnen die Botschaft von der anbrechenden
Gottesherrschaft zu verkünden (Lk 10.1-12,17.20). "Wenn ihr einen Mann des
Friedens antrefft", heißt es da, lasst den Frieden auf ihm ruhen. Wenn ihr
Menschen findet, die die Gastfreundschaft pflegen, "esst und trinkt, was man
euch anbietet".
Der Auftrag der Siebzig besteht also nicht einfach darin, den Menschen
wichtige Tugenden und Verhaltensweisen beizubringen, hier
Friedensbereitschaft und Gastfreundschaft. Sie finden sie bereits vor. Auch
an anderen Stellen wird immer wieder deutlich gemacht, dass Gott nach der
Erschaffung der Welt nie aufgehört hat, seinem "Eigentum" (Joh 1.11) nahe zu
sein. Im Gegenteil: er hat die Schöpfung und die Menschen "von Natur aus"
mit vielen Gaben und Fähigkeiten ausgestattet. Wenn diese auch oft verkannt
und missbraucht werden – Jesus kam, um sie in den neuen Zusammenhang des
werdenden Gottesreiches zu stellen. Er hat die Menschen daran erinnert, dass
es darum geht, Gott zu suchen, "denn keinem von uns ist er fern. Denn in ihm
leben wir, bewegen wir uns und sind wir... Wir sind von seiner Art" (Apg 17.
27). Deshalb ist die Botschaft Jesu auch nicht weltfern und menschenfremd.
Es handelt sich nicht um eine akademische Theologie, die den Klugen
vorbehalten bleibt und die die
meisten nicht verstehen. In seinen Gleichnissen und Reden greift er auf, was
für Menschen wichtig sein muss, was sie leben und erleben, was sie
erleiden... Die an ihn glauben, die ihn aufnehmen, "gibt er Macht, Kinder
Gottes zu werden" (Joh 1.12f).
Die Kirche vermutet bei den heutigen "säkularisierten" und
kirchendistanzierten Menschen "Gottvergessenheit". Dabei kann man ihr diese
"Gottvergessenheit" selbst zum Vorwurf machen, indem sie Gott als Herr der
Welt und Schöpfung entthront hat. Sie hat ihn zu einem Kirchen-Gott gemacht
und in "Selbstreferenzialität" die Menschen gelehrt, "alles nur im Blick auf
die Kirche zu betrachten" (Papst Franziskus). Sie hat – bei Behinderung des
freien Denkens und dem Verlust der Einfachheit der biblischen Sprache – die
Menschen "versorgt": sakramental, durch vielfach nicht verstandene Dogmen,
durch menschen- und lebensferne Gelehrsamkeit, durch Anhänglichkeit an die
"Eine wahre Kirche", ohne die es kein Heil gibt...
Indem sie das Wirken Gottes aus der Welt herausnahm, wurde der Zugang zur
Gestalt Jesu eher versperrt als eröffnet. In den Gleichnissen vom Sauerteig,
vom Salz der Erde, vom Licht der Welt... meint die Predigt Jesu, dass sich
das alles mitten in der Welt abspielt. Wir leben in einer "Gottes werdenden
Welt". In ihr wirkt der Geist Gottes auf eine Weise, dass er Kirchen und
Konfessionen sprengt. Viele Menschen scheint er am "ethischen Kragen" zu
packen. Sie verhalten sich nach den Vorgaben dessen, was Jesus gepredigt
hat. Sie kämpfen für Frieden und Gerechtigkeit, sie üben sich in der Praxis
der Liebe und Barmherzigkeit. Dabei brauchen sie oft Jahre bzw. ein ganzes
Leben lang, um die Quellen, Wurzeln und den Sinn ihres Lebens zu entdecken;
um die Frage nach ihrem Woher und Wohin zu beantworten und zu akzeptieren.
Andere Menschen packt Gott in einer (gelungenen) familiären und kirchlichen
Erziehung, in der Sehnsucht nach Frömmigkeit und Spiritualität. Auch sie
brauchen oft
Jahre bzw. ein ganzes Leben lang, um ihren Glauben in Werken der Liebe und
Barmherzigkeit sichtbar zum Tragen kommen zu lassen (vgl. Mt 25.31-46). Den
beiden
Gruppen ist die Sorge gemeinsam, dass das Böse in der Welt nicht übermächtig
wird.
Durch sie wird der Teufel nicht Herr der Welt. Der Sauerteig des Reiches
Gottes kann
weiterhin seine Wirksamkeit entfalten. Das Tun der Menschen im Guten, Wahren
und
Schönen reicht in die Jenseitigkeit Gottes, welches im Hier und Heute der
Welt beginnt.
Der gläubige Mensch muss seinen "Ort" in diesem zweifachen Geschehen Gottes
mit der Welt finden. Indem durch ihn die Worte und Taten Jesu weitergehen,
ereignet sich mit ihm und durch ihn Heil und Erlösung.
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