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Pater Fritz Köster
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56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Brennende Fragen zu Religion, Glaube, Kirche(n) (3):
"Jahr des Glaubens". Glaubhaft ist nur das "Tun der Wahrheit" (Joh 3.21).

November 2012

Am 11. Oktober 2012 hat Papst Benedikt das "Jahr des Glaubens" eröffnet. Am 24. November 2013 soll es beendet sein. Es geht um die Erneuerung und Vertiefung des religiösen Lebens, um Gott und die Kirche – als Voraussetzungen für die "Neuevangelisierung" Europas und Amerikas. Denn die "säkularisierten Menschen" sind dabei, ihren Glaubens und ihre religiösen Wurzeln zu verlieren, statt dessen dem Islam oder "Freikirchen" freien Zutritt zu gestatten, die sich von der "Mutter Kirche" abgesetzt haben und eigene Wege gehen.

Wenn es um den Glauben geht, haben wir Christen spätestens seit dem 4.Jh. das "Glaubensbekenntnis der Kirche". Es wird bei vielerlei Anlässen gebetet. Darin ist von "Gott dem Allmächtigen" die Rede, dem "Schöpfer des Himmels und der Erde", von Jesus Christus und seiner Mutter Maria, von seinem Leiden und seiner Auferstehung, von der "heiligen katholischen Kirche" und der "Gemeinschaft der Heiligen", die an die Auferstehung der Toten und das "ewige Leben" glaubt.

Eigentlich ist damit alles gesagt. Es scheint klar, an wen und an was es zu glauben gilt. Zudem hat der Papst für das Jahr des Glaubens noch einige "Empfehlungen" ausgesprochen. Dazu gehören die "Kontinuität zur Tradition" und die "sichere Leitung des Lehramtes", die "Kenntnis der Glaubensinhalte" und die "persönliche Zustimmung dazu"; der "Katechismus der katholischen Kirche als wertvolles und unentbehrliches Hilfsmittel… zu einer systematischen Kenntnis der Glaubensinhalte", die den Gläubigen Sicherheit geben…

Um den Glauben zu stärken, werden Pilgerfahrten nach Rom vorgeschlagen, die Teilnahme an Weltjugendtreffen und an Symposien. Ebenso sollen die Lehren des 2. Vatikanischen Konzils, die Homilien, Katechesen und Ansprachen des Papstes mit großer Bereitschaft aufgenommen und ins Gespräch gebracht, Ablässe gewonnen werden.

Bei solchen und ähnlichen Anregungen fühlt man sich in die "gute alte Zeit" zurückversetzt, in der die Katholiken zu jeder Zeit bereit waren, auf die Lehre der Nachfolger Petri zu hören. Das soll auch heute wieder das Heilmittel sein. Dabei wird, in der Zeit der Krise, die Zugehörigkeit zur Kirche und ihrer Lehre betont. Zugleich wird ein Gegengewicht gegen die wachsende "Individualisierung" geschaffen. Denn diese zeitigt ihre Früchte: die wachsende Mehrheit der Menschen ist wenig disponiert, sich einem "Großkonzern" willig anzuschließen bzw. sich ihm ein- und unterzuordnen.

Weil dies in Zukunft kaum gelingen wird, wären für das "gläubige Volk", wenn es gläubig bleiben oder werden soll, andere Akzente nötig: das Ernstnehmen der einzelnen Persönlichkeit mit ihren eigenen Gedanken und Erfahrungen; "Kleinkirchen", in denen die Einzelnen das religiöse Sprechen lernen und die Unterscheidung von "wichtig" und "unwichtig"; der "sensus fidelium" und die "vox populi"; die Laien als aktive Mitarbeiter im Glauben, die mit wachsender Mehrheit schon lange die Aufwertung des "Volkes Gottes" verlangen; einschließlich die Frauen, die weltweit sehr weit gehen, indem sie die gleichberechtigte Zulassung zu Ämtern verlangen…

Biblische Gedanken vom "heiligen Volk", der "königlichen Priesterschaft" (1 Petr 2.9) sind tief ins Bewusstsein eingedrungen. Diese dürfen nicht einfach schöne Worte ohne Konsequenz bleiben; sie gehören zum göttlichen Auftrag, den es zu verwirklichen gilt. Überhaupt geht es um die Fortsetzung der Worte und Taten Jesu, um die Wiederentdeckung seiner Denk- und Handlungsweise. Diese haben wenig mit Dogmatik und Kirchrecht zu tun, auch nicht mit kluger Philosophie und Theologie, sondern mit Bekehrung und Umkehr zu neuem Denken und zu neuer Gemeinschaft.

Die "Zeitenwende", von der heute vielfach die Rede ist, zeigt sich u. a. darin, dass die Gläubigen keine passiven Empfänger oberhirtlicher Belehrungen mehr sein wollen. Sie wollen keine "kleinen Theologen" sein – im Schlepptau der großen. Sie wollen zunächst sie selber sein. Durch die vielen guten kirchlichen "Angebote" wird der Konflikt zwischen der "Amtskirche" und den Gläubigen nicht entschärft. Je mündiger und gebildeter die Christen werden, desto größer scheint die Distanz zur offiziellen Kirche zu werden. Sind die Gläubigen andere als früher geworden?

Bei allen offiziellen Argumenten, die Kirche sei "nicht demokratisch" und über den Glauben könne man "nicht abstimmen", stellen sich – im Umbruch der Zeit – die Fragen: geht es überhaupt um eine "wahre und kluge Lehre", die kaum verstanden und als wichtig angesehen wird? Geht es um unverrückbare, akademisch klug durchdachte "Wahrheiten"? Geht es um ein kognitives Glaubensverständnis, welches sich im Kopf abspielt, aber wenig im Leben? Geht es um ein "übernatürliches Religionsverständnis", das die Sorgen, Nöte und Hoffnungen der Menschen kaum kennt, das die "irdischen Dinge" als zweit- und drittrangig ansieht?

Bei solchen Fragestellungen bleiben die Laien – falls es zu einem "Dialog" kommt – immer nur "Laien". Mit theologischen Fachleuten können sie kaum mithalten. Deshalb kann "Dialog" immer nur gelingen auf der Ebene des "normalen Lebens". Beispielhaft ist die Bibel. Sie stellt uns menschliche Situationen vor Augen, in denen es um die Fragen geht: wie verhalten wir Christen uns? Wie bleibt die Liebe gewahrt? Wie beweisen unsere Reaktionsweisen, dass es uns mit der "Nachfolge Christi" ernst ist? In Lebenssituationen sich wie Christus benehmen und bewähren – darin steckt ein Glaubensverständnis anderer Art: ich glaube, dass das, was ich denke und tue, dem Willen Gottes entspricht und dem Heil der Welt dienlich ist.

Im "Jahr des Glaubens" kann es sich nicht um die "gläubige Wiederholung" von Sätzen und religiösen Übungen handeln. Das ist hinreichend oft geschehen. Wenn früher die Christen beteten "Ich glaube", fühlten sie sich als Teil einer mehr oder weniger intakten Kirchengemeinschaft; heute fühlen sie sich auf sich selbst gestellt. Im Zeitalter der Subjektwerdung ist sich der Mensch selbst zur Frage, zum Problem geworden. Die Menschen besinnen sich auf sich selbst. Sie brauchen keine Kirche, die sie "dort abholt, wo sie gerade stehen". Sie haben ihre eigenen Gedanken und Erfahrungen, können selbst zur Sprache bringen, was sie betrifft. So muß auch das Glaubensbekenntnis eine neue, für alle verständliche Sprache finden.

Diese ist nicht bestimmt von dogmatischen Lehrsätzen, sondern von dem Willen, die Werte und "Tugenden" des Evangeliums zum Tragen kommen zu lassen. Sie müssen sich im Leben glaubhaft bewähren. Es geht um den steilen Weg des "Tuns": An den Früchten sollen die Christen wieder erkannt werden, an der Praxis der Liebe und der neuen Gemeinschaft. Es geht also weniger um das Jenseitige, sondern um das Diesseitige des Alltags und um die Frage, wie man in dieser unserer schnöden Diesseitigkeit noch an etwas Anderes glauben und hoffen kann. Nur wer den Menschen in seiner Vielschichtigkeit zu begreifen und zu akzeptieren versucht, vermag eine Türe zu öffnen zu dem unbekannten Gott. Wenn es früher gerne hieß: "Nur wer Gott kennt, kennt den Menschen", muß es heute umgekehrt heißen: "Nur wer den Menschen kennt, vermag eine Hoffnung und Ahnung zu wecken für die Anwesenheit Gottes im Leben".

Zum "Glaubensbekenntnis für Individualisten" scheinen drei Ansatzpunkte entscheidend zu sein. Sie sollen das Bisherige nicht aufheben, sondern ergänzen und glaubhaft machen fürs Leben. Zudem muß es – im Zeitalter der Vermassung und Entpersönlichung – vom Grundsatz ausgehen, dass ein Mensch nur an Gott glauben kann, wenn er es lernt, an sich selbst zu glauben:

  1. Ich glaube an Gott, der mich in diese seine Schöpfung gestellt hat, damit ich als deren "Teil" zu einem lebendigen Menschen werde, der alles tut, um es der Natur gleich zu tun. Diese ist schön, vielgestaltig, kreativ, bunt, vielfarbig… Für die Getauften aller Kirchen und Konfessionen bedeutet gottgemäße "Vielfalt" alles andere als dogmatische Eintönigkeit: beim Aufbau von geschwisterlichen Gemeinschaften, bei der Frage nach der Gleichberechtigung der Frauen, bei der freien Wahl der Priester zwischen zölibatärer und nichtzölibatärer Lebensform, bei der Bewertung des Körpers und der Sexualität, bei der Versöhnungsbereitschaft mit "Querdenkern", mit wiederverheirateten Geschiedenen und Priestern ohne Amt…
    Wo auch immer sich Christen in Gemeinschaften, in "Klein-" oder "Großkirchen" zusammentun – niemals darf es einengende Gesetze und Vorschriften geben, die die persönliche Entfaltung und Freiheit des Menschen verhindern. Das Motto: "Du bist nichts, die Kirche ist alles" hat im christlichen Selbstverständnis keinen Platz, eher dessen Gegenteil: Du als Einzelner bist alles, die Kirche ist nur Mittel zum Zweck.
  2. Ich glaube, dass mir Gott Gaben und Fähigkeiten gegeben hat, die es immer wieder zu aktivieren gilt, statt sie unauffällig in Trägheit und Müdigkeit "verrosten" zu lassen. Ein Beispiel ist der Blinde, der sich von Jesus das Wieder-sehen-können erbittet (vgl. Mk 10.46-52). Jesus betätigt sich ihm gegenüber nicht als Optiker oder Augenarzt. Die "Blindheit" betrifft jeden Menschen, der Augen hat und Vieles nicht sieht; der Ohren hat und Vieles nicht hört, obwohl das Sehen und Hören für ihn zu einer "Zeit der Gnade" hätte werden können, also heilsam für ihn selbst wie für andere. Paulus spricht von vielen "Gnadengaben": die Gabe der Weisheit und des Lehrens, der Glaubenskraft, des Heilens, des prophetischen Redens, des Unterscheidens der Geister… (vgl. 1 Kor 12.1-11). Alle diese und andere von Gott gegebenen Gaben nützen nichts, wenn sie nicht als "Motoren" gebraucht werden, die dem wachsenden persönlichen Leben dienen, zugleich dem Vorwärtsschreiten des Evangeliums in die Zukunft der Christenheit und der Welt.
  3. Ich glaube an den Einen Geist Gottes, der alles belebt und zur Vollendung treibt; der aber auch auf krummen Zeilen Gerades zu schreiben vermag. Das gibt Mut zu eigenen Entscheidungen und zu unkonventioneller Lebensgestaltung, die keine Angst hat vor persönlicher Verantwortung. Es ist der Geist, der die Menschheit wie auch Menschen guten Willens im Guten schöpferisch vorantreibt – unabhängig von denen, die das einmal als wahr Erkannte in "unverrückbare Wahrheiten" und Dogmen einzumauern bestrebt sind. Es ist der Geist der Liebe und "neuen Gerechtigkeit", der dem Menschen Beistand leistet zum wahren, gottgemäßen Leben.
  4. Ich glaube, dass es nicht nur die "Eine wahre Kirche" gibt mit ihren vielen menschlich ersonnenen Vorschriften und Verboten, sondern die vielen, in denen sich Getaufte zur Nachfolge Christi zusammenfinden. Sie alle zusammen sind "Kirche". Die Tatsache, dass sie unterschiedliche Wege gehen und alternative Glaubenspraktiken entwickeln, ist kein Indiz für "Uneinigkeit". "Uneinig" und zerstritten werden sie, sobald die Verständigung fehlt, die Verpflichtung zum Heilshandeln an der Welt und an den zu erlösenden Menschen.

Christen in Gemeinsamkeit müssen Zeugnis geben für Gottes erlösende Taten. Wo Kirchen und Konfessionen sich ernsthaft zu erlösenden Taten zusammentun, da entsteht "Einheit" als eine dauernde, lebenslange und niemals endende Aufgabe. Glaube und "Ökumene" sind keine Papiertiger, die unter Obrigkeiten, ob Freund oder Feind, ausgehandelt werden. Sie sind werdende und wachsende Prozesse, die sich den Aufgaben des Lebens stellen. Das Begreifen einer gemeinsamen Aufgabe gegenüber der Welt und den Menschen - das "Tun der Wahrheit"! - stärkt den gemeinsamen Glauben, dass der Weizen des Reiches Gottes wächst. Sie geben dem "Unkraut", welches die Welt zu überwuchern droht, keine Chance. Nicht der Glaube großer theologischer Entwürfe ist gefordert, sondern ein Glaube, der so klein ist wie ein Senfkorn. Nichts ist mit ihm unmöglich (Mt 17.19-21).

 


Letzte SeitenÄnderung: 16.01.2013.
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