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Brennende Fragen zu Religion, Glaube,
Kirche(n) (3):
"Jahr des Glaubens". Glaubhaft ist nur das "Tun der Wahrheit" (Joh
3.21).
November 2012
Am 11. Oktober 2012 hat Papst Benedikt das "Jahr des Glaubens" eröffnet.
Am 24. November 2013 soll es beendet sein. Es geht um die Erneuerung und
Vertiefung des religiösen Lebens, um Gott und die Kirche – als
Voraussetzungen für die "Neuevangelisierung" Europas und Amerikas. Denn die
"säkularisierten Menschen" sind dabei, ihren Glaubens und ihre religiösen
Wurzeln zu verlieren, statt dessen dem Islam oder "Freikirchen" freien
Zutritt zu gestatten, die sich von der "Mutter Kirche" abgesetzt haben und
eigene Wege gehen.
Wenn es um den Glauben geht, haben wir Christen spätestens seit dem 4.Jh.
das "Glaubensbekenntnis der Kirche". Es wird bei vielerlei Anlässen gebetet.
Darin ist von "Gott dem Allmächtigen" die Rede, dem "Schöpfer des Himmels
und der Erde", von Jesus Christus und seiner Mutter Maria, von seinem Leiden
und seiner Auferstehung, von der "heiligen katholischen Kirche" und der
"Gemeinschaft der Heiligen", die an die Auferstehung der Toten und das
"ewige Leben" glaubt.
Eigentlich ist damit alles gesagt. Es scheint klar, an wen und an was es zu
glauben gilt. Zudem hat der Papst für das Jahr des Glaubens noch einige
"Empfehlungen" ausgesprochen. Dazu gehören die "Kontinuität zur Tradition"
und die "sichere Leitung des Lehramtes", die "Kenntnis der Glaubensinhalte"
und die "persönliche Zustimmung dazu"; der "Katechismus der katholischen
Kirche als wertvolles und unentbehrliches Hilfsmittel… zu einer
systematischen Kenntnis der Glaubensinhalte", die den Gläubigen Sicherheit
geben…
Um den Glauben zu stärken, werden Pilgerfahrten nach Rom vorgeschlagen, die
Teilnahme an Weltjugendtreffen und an Symposien. Ebenso sollen die Lehren
des 2. Vatikanischen Konzils, die Homilien, Katechesen und Ansprachen des
Papstes mit großer Bereitschaft aufgenommen und ins Gespräch gebracht,
Ablässe gewonnen werden.
Bei solchen und ähnlichen Anregungen fühlt man sich in die "gute alte Zeit"
zurückversetzt, in der die Katholiken zu jeder Zeit bereit waren, auf die
Lehre der Nachfolger Petri zu hören. Das soll auch heute wieder das
Heilmittel sein. Dabei wird, in der Zeit der Krise, die Zugehörigkeit zur
Kirche und ihrer Lehre betont. Zugleich wird ein Gegengewicht gegen die
wachsende "Individualisierung" geschaffen. Denn diese zeitigt ihre Früchte:
die wachsende Mehrheit der Menschen ist wenig disponiert, sich einem
"Großkonzern" willig anzuschließen bzw. sich ihm ein- und unterzuordnen.
Weil dies in Zukunft kaum gelingen wird, wären für das "gläubige Volk", wenn
es gläubig bleiben oder werden soll, andere Akzente nötig: das Ernstnehmen
der einzelnen Persönlichkeit mit ihren eigenen Gedanken und Erfahrungen;
"Kleinkirchen", in denen die Einzelnen das religiöse Sprechen lernen und die
Unterscheidung von "wichtig" und "unwichtig"; der "sensus fidelium" und die
"vox populi"; die Laien als aktive Mitarbeiter im Glauben, die mit
wachsender Mehrheit schon lange die Aufwertung des "Volkes Gottes"
verlangen; einschließlich die Frauen, die weltweit sehr weit gehen, indem
sie die gleichberechtigte Zulassung zu Ämtern verlangen…
Biblische Gedanken vom "heiligen Volk", der "königlichen Priesterschaft" (1
Petr 2.9) sind tief ins Bewusstsein eingedrungen. Diese dürfen nicht einfach
schöne Worte ohne Konsequenz bleiben; sie gehören zum göttlichen Auftrag,
den es zu verwirklichen gilt. Überhaupt geht es um die Fortsetzung der Worte
und Taten Jesu, um die Wiederentdeckung seiner Denk- und Handlungsweise.
Diese haben wenig mit Dogmatik und Kirchrecht zu tun, auch nicht mit kluger
Philosophie und Theologie, sondern mit Bekehrung und Umkehr zu neuem Denken
und zu neuer Gemeinschaft.
Die "Zeitenwende", von der heute vielfach die Rede ist, zeigt sich u. a.
darin, dass die Gläubigen keine passiven Empfänger oberhirtlicher
Belehrungen mehr sein wollen. Sie wollen keine "kleinen Theologen" sein – im
Schlepptau der großen. Sie wollen zunächst sie selber sein. Durch die vielen
guten kirchlichen "Angebote" wird der Konflikt zwischen der "Amtskirche" und
den Gläubigen nicht entschärft. Je mündiger und gebildeter die Christen
werden, desto größer scheint die Distanz zur offiziellen Kirche zu werden.
Sind die Gläubigen andere als früher geworden?
Bei allen offiziellen Argumenten, die Kirche sei "nicht demokratisch" und
über den Glauben könne man "nicht abstimmen", stellen sich – im Umbruch der
Zeit – die Fragen: geht es überhaupt um eine "wahre und kluge Lehre", die
kaum verstanden und als wichtig angesehen wird? Geht es um unverrückbare,
akademisch klug durchdachte "Wahrheiten"? Geht es um ein kognitives
Glaubensverständnis, welches sich im Kopf abspielt, aber wenig im Leben?
Geht es um ein "übernatürliches Religionsverständnis", das die Sorgen, Nöte
und Hoffnungen der Menschen kaum kennt, das die "irdischen Dinge" als zweit-
und drittrangig ansieht?
Bei solchen Fragestellungen bleiben die Laien – falls es zu einem "Dialog"
kommt – immer nur "Laien". Mit theologischen Fachleuten können sie kaum
mithalten. Deshalb kann "Dialog" immer nur gelingen auf der Ebene des
"normalen Lebens". Beispielhaft ist die Bibel. Sie stellt uns menschliche
Situationen vor Augen, in denen es um die Fragen geht: wie verhalten wir
Christen uns? Wie bleibt die Liebe gewahrt? Wie beweisen unsere
Reaktionsweisen, dass es uns mit der "Nachfolge Christi" ernst ist? In
Lebenssituationen sich wie Christus benehmen und bewähren – darin steckt ein
Glaubensverständnis anderer Art: ich glaube, dass das, was ich denke und
tue, dem Willen Gottes entspricht und dem Heil der Welt dienlich ist.
Im "Jahr des Glaubens" kann es sich nicht um die "gläubige Wiederholung" von
Sätzen und religiösen Übungen handeln. Das ist hinreichend oft geschehen.
Wenn früher die Christen beteten "Ich glaube", fühlten sie sich als Teil
einer mehr oder weniger intakten Kirchengemeinschaft; heute fühlen sie sich
auf sich selbst gestellt. Im Zeitalter der Subjektwerdung ist sich der
Mensch selbst zur Frage, zum Problem geworden. Die Menschen besinnen sich
auf sich selbst. Sie brauchen keine Kirche, die sie "dort abholt, wo sie
gerade stehen". Sie haben ihre eigenen Gedanken und Erfahrungen, können
selbst zur Sprache bringen, was sie betrifft. So muß auch das
Glaubensbekenntnis eine neue, für alle verständliche Sprache finden.
Diese ist nicht bestimmt von dogmatischen Lehrsätzen, sondern von dem
Willen, die Werte und "Tugenden" des Evangeliums zum Tragen kommen zu
lassen. Sie müssen sich im Leben glaubhaft bewähren. Es geht um den steilen
Weg des "Tuns": An den Früchten sollen die Christen wieder erkannt werden,
an der Praxis der Liebe und der neuen Gemeinschaft. Es geht also weniger um
das Jenseitige, sondern um das Diesseitige des Alltags und um die Frage, wie
man in dieser unserer schnöden Diesseitigkeit noch an etwas Anderes glauben
und hoffen kann. Nur wer den Menschen in seiner Vielschichtigkeit zu
begreifen und zu akzeptieren versucht, vermag eine Türe zu öffnen zu dem
unbekannten Gott. Wenn es früher gerne hieß: "Nur wer Gott kennt, kennt den
Menschen", muß es heute umgekehrt heißen: "Nur wer den Menschen kennt,
vermag eine Hoffnung und Ahnung zu wecken für die Anwesenheit Gottes im
Leben".
Zum "Glaubensbekenntnis für Individualisten" scheinen drei Ansatzpunkte
entscheidend zu sein. Sie sollen das Bisherige nicht aufheben, sondern
ergänzen und glaubhaft machen fürs Leben. Zudem muß es – im Zeitalter der
Vermassung und Entpersönlichung – vom Grundsatz ausgehen, dass ein Mensch
nur an Gott glauben kann, wenn er es lernt, an sich selbst zu glauben:
- Ich glaube an Gott, der mich in diese seine Schöpfung gestellt hat,
damit ich als deren "Teil" zu einem lebendigen Menschen werde, der alles
tut, um es der Natur gleich zu tun. Diese ist schön, vielgestaltig,
kreativ, bunt, vielfarbig… Für die Getauften aller Kirchen und
Konfessionen bedeutet gottgemäße "Vielfalt" alles andere als dogmatische
Eintönigkeit: beim Aufbau von geschwisterlichen Gemeinschaften, bei der
Frage nach der Gleichberechtigung der Frauen, bei der freien Wahl der
Priester zwischen zölibatärer und nichtzölibatärer Lebensform, bei der
Bewertung des Körpers und der Sexualität, bei der Versöhnungsbereitschaft
mit "Querdenkern", mit wiederverheirateten Geschiedenen und Priestern ohne
Amt…
Wo auch immer sich Christen in Gemeinschaften, in "Klein-" oder
"Großkirchen" zusammentun – niemals darf es einengende Gesetze und
Vorschriften geben, die die persönliche Entfaltung und Freiheit des
Menschen verhindern. Das Motto: "Du bist nichts, die Kirche ist alles" hat
im christlichen Selbstverständnis keinen Platz, eher dessen Gegenteil: Du
als Einzelner bist alles, die Kirche ist nur Mittel zum Zweck.
- Ich glaube, dass mir Gott Gaben und Fähigkeiten gegeben hat, die es
immer wieder zu aktivieren gilt, statt sie unauffällig in Trägheit und
Müdigkeit "verrosten" zu lassen. Ein Beispiel ist der Blinde, der sich von
Jesus das Wieder-sehen-können erbittet (vgl. Mk 10.46-52). Jesus betätigt
sich ihm gegenüber nicht als Optiker oder Augenarzt. Die "Blindheit"
betrifft jeden Menschen, der Augen hat und Vieles nicht sieht; der Ohren
hat und Vieles nicht hört, obwohl das Sehen und Hören für ihn zu einer
"Zeit der Gnade" hätte werden können, also heilsam für ihn selbst wie für
andere. Paulus spricht von vielen "Gnadengaben": die Gabe der Weisheit und
des Lehrens, der Glaubenskraft, des Heilens, des prophetischen Redens, des
Unterscheidens der Geister… (vgl. 1 Kor 12.1-11). Alle diese und andere
von Gott gegebenen Gaben nützen nichts, wenn sie nicht als "Motoren"
gebraucht werden, die dem wachsenden persönlichen Leben dienen, zugleich
dem Vorwärtsschreiten des Evangeliums in die Zukunft der Christenheit und
der Welt.
- Ich glaube an den Einen Geist Gottes, der alles belebt und zur
Vollendung treibt; der aber auch auf krummen Zeilen Gerades zu schreiben
vermag. Das gibt Mut zu eigenen Entscheidungen und zu unkonventioneller
Lebensgestaltung, die keine Angst hat vor persönlicher Verantwortung. Es
ist der Geist, der die Menschheit wie auch Menschen guten Willens im Guten
schöpferisch vorantreibt – unabhängig von denen, die das einmal als wahr
Erkannte in "unverrückbare Wahrheiten" und Dogmen einzumauern bestrebt
sind. Es ist der Geist der Liebe und "neuen Gerechtigkeit", der dem
Menschen Beistand leistet zum wahren, gottgemäßen Leben.
- Ich glaube, dass es nicht nur die "Eine wahre Kirche" gibt mit ihren
vielen menschlich ersonnenen Vorschriften und Verboten, sondern die
vielen, in denen sich Getaufte zur Nachfolge Christi zusammenfinden. Sie
alle zusammen sind "Kirche". Die Tatsache, dass sie unterschiedliche Wege
gehen und alternative Glaubenspraktiken entwickeln, ist kein Indiz für
"Uneinigkeit". "Uneinig" und zerstritten werden sie, sobald die
Verständigung fehlt, die Verpflichtung zum Heilshandeln an der Welt und an
den zu erlösenden Menschen.
Christen in Gemeinsamkeit müssen Zeugnis geben für Gottes erlösende Taten.
Wo Kirchen und Konfessionen sich ernsthaft zu erlösenden Taten zusammentun,
da entsteht "Einheit" als eine dauernde, lebenslange und niemals endende
Aufgabe. Glaube und "Ökumene" sind keine Papiertiger, die unter Obrigkeiten,
ob Freund oder Feind, ausgehandelt werden. Sie sind werdende und wachsende
Prozesse, die sich den Aufgaben des Lebens stellen. Das Begreifen einer
gemeinsamen Aufgabe gegenüber der Welt und den Menschen - das "Tun der
Wahrheit"! - stärkt den gemeinsamen Glauben, dass der Weizen des Reiches
Gottes wächst. Sie geben dem "Unkraut", welches die Welt zu überwuchern
droht, keine Chance. Nicht der Glaube großer theologischer Entwürfe ist
gefordert, sondern ein Glaube, der so klein ist wie ein Senfkorn. Nichts ist
mit ihm unmöglich (Mt 17.19-21).
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