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Pater Fritz Köster
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Brennende Fragen zu Religion, Glaube, Kirche(n) (4):
Die Liebe, das "Kerngeschäft" der Gläubigen.

Januar 2013

Es mag der Predigt Jesu damals ähnlich ergangen sein wie den Predigten heute. Die Leute hören einer guten Predigt gerne freiwillig zu und kommentieren sie: der eine oder andere Prediger hätte ruhig noch länger sprechen können; ein anderer hätte viel früher aufhören sollen... Wie auch immer die Predigt als gut oder langweilig empfunden wird – inhaltlich haben am Ende die Zuhörer das meiste vergessen nach dem Motto: in das eine Ohr hinein und aus dem anderen heraus. Nur ein Eindruck, ein Bruchteil des Gesagten bleibt in Erinnerung.

So muß es auch vor 2000 Jahren bei den Jüngern und Anhängern Jesu gewesen sein. Sie haben Jesus aufmerksam zugehört; es blieben keine Monologe; viel wurde über das Gesagte miteinander gesprochen. Aber hatten die Anhänger Jesu alles verstanden? Hatten sie nicht schon bald Vieles vergessen, wie die Erfahrung es ausdrückt: In das eine Ohr herein, durch das andere wieder hinaus? So muß bei ihnen das Problem drängend geworden sein: Was ist denn eigentlich wichtig; was müssen wir uns unbedingt merken; was ist unverzichtbar? - Sie fragen also Jesus: welches ist das wichtigste Gebot? Die Antwort: Du sollst Gott lieben mit deinem ganzen Herzen, deiner ganzen Seele, deinem ganze Denken, deiner ganzen Kraft (Mk 12.28b – 34). Das zweite Gebot ist dem ersten gleich: du sollst deinen Nächsten lieben...

Wie soll das gehen: mit deiner ganzen Kraft, mit deinem ganzen Denken? Wenn z.B. am Sonntagmorgen der Gottesdienst zu Ende ist, sind wir mit unseren Gedanken schnell wieder woanders, überall und nirgends: beim Frühschoppen oder Mittagessen; bei der Sportschau oder beim nächsten Spielfilm; bei der Freizeitgestaltung mit Freunden und Bekannten... Früher war es noch üblich, beim Frühschoppen oder am Mittagstisch über den Gottesdienst bzw. die Predigt gemeinsam zu sprechen (vielleicht auch nur um zu schimpfen); heute ist diese Möglichkeit schnell überwuchert von einer Fülle von Veranstaltungen und Aktivitäten, von denen man Vieles nicht versäumen möchte.

Das "mit deiner ganzen Kraft" lässt sich also kaum durchhalten. Dennoch gibt Jesus eine Antwort auf die Frage: Liebe..."wie dich selbst"! Die Liebe zu dir selbst wird Maßstab für alles andere. Worin besteht aber "die Liebe zu dir selbst"? Im Normalfall will jeder Mensch ernst genommen werden; er will geachtet sein und respektiert werden; er braucht Hilfe und Beistand da, wo er sich nicht selbst helfen kann; er will ein menschenwürdiges Leben; er will nicht belogen und bestohlen werden; er will, dass man ihm nach Versagensgeschichten eine neue Chance gibt...

Das "den anderen lieben wie dich selbst" macht es nötig, über den eigenen Schatten zu springen. Das Ernstnehmen des Du auf dem Weg des Ich ist ein sehr weiter Weg, wie der Abstand zwischen Erde und Mond. Wir wissen, was wir selbst wollen; den anderen verstehen wir lange nicht. Aber der andere ist wie Du! Er hat mehr oder weniger dieselben Bedürfnisse, Sorgen, Ängste... Deshalb: achte auf dich selbst, damit du den anderen verstehen und lieben kannst! Wer die Brücke zu schlagen fähig ist zwischen der Ich-Liebe und der Liebe zum Du, trägt zum Werden der neuen Gemeinschaft bei, zum Frieden und zur Gerechtigkeit unter Menschen und Völkern. Sie schafft Räume und Zeiten, in denen Gott mitten unter uns sein kann und will. Die gelungene Liebe zum Nächsten ist das "Beweismaterial" der Liebe zu Gott.

Liebe mit deiner ganzen Kraft; mit deinem ganzen Denken! Damit ist wohl nicht gemeint, dass man immer nur an Gott und den Nächsten denken muß. Sondern gemeint ist: die Gottes- und Nächstenliebe müssen in Fleisch und Blut übergehen; sie müssen wie ein Kleid sein, an das man nicht ständig denkt, welches aber immer da ist. Die Liebe ist für alle Gläubigen und für alle Menschen unverzichtbar; ohne die Liebe ist alles nichts.

Wenn heute vom "Kerngeschäft" des Glaubens gesprochen wird, ist meistens von den Sakramenten die Rede, besonders von der Eucharistie, von Wallfahrten, von Studienreisen "in den Spuren des hl. Paulus", vom Lesen und Diskutieren theologischer Bücher und Inhalte... Vieles hört sich missverständlich nach einer "Buchstabenreligion" an, nach einer Religion mit vielen Pflichten und Äußerlichkeiten. Der hl. Paulus würde sagen: Ohne die Liebe ist alles, was bei der "Neuevangelisierung" angestrebt wird, nichts wert! Es müsste deshalb statt "Jahr des Glaubens" heißen: "Jahr der Einübung in die Liebe", wo überall sie nötig ist: in Ehe und Familie, im Beruf, in den Büros und Schulen, bei der Kindererziehung, im ökumenischen Gespräch, im Zusammenleben der Christen in den Gemeinden, im Vatikan... In all diesen Lebensbereichen muß die Liebe eingeübt werden, statt sich vorzulügen, man wisse schon, worum es geht. De facto mausern sich auch praktizierende Christen, bis in die höchsten Ränge hinein, als "Versager" in der Liebe. Sie werden mit Konflikten und Problemen in Ehe, Familie, Beruf, Glaubensgesprächen... nicht besser fertig als die "Heiden" und Nicht-Getauften.. -

Vielleicht besteht das größte Problem in der "Krise des Glaubens und der Kirche" darin, dass Jahrhunderte lang ein kognitives Glaubensverständnis verkündet wurde. Glaube spielt sich im Kopf ab; hat mit theologischen Kenntnissen etwas zu tun; mit dem Erlernen des Katechismus! Dagegen finden sozial und caritativ ausgerichtete Werke bis heute nicht nur höchste Anerkennung, sondern auch Nachahmung in der Gesellschaft. Wenn das Christentum wieder zu seinem "Kerngeschäft" zurückkehrt, verbündet es sich mit dem Anliegen aller Menschen. Denn ohne die Liebe ist alles nichts!

Man stelle sich vor: im Laufe der Jahrhunderte wäre die Liebe das tragende Prinzip allen kirchlichen Handelns gewesen, statt die behaupteten "ewigen Wahrheiten"; statt das übermäßige Betreiben der "implantatio ecclesiae" (die Einpflanzung der Kirche in ihrer mittelalterlich-abendländischen Gestalt in fremde Länder und Kulturen!). Die Missionierung der Germanen, der lateinamerikanischen Länder, Indiens und Chinas... wäre weniger "mit Feuer und Schwert" erfolgt; es hätte wohl kaum Religionskriege oder den "Kampf der Kulturen" gegeben z. B. nach Luther, der nichts anderes wollte als mit den Missständen in der Kirche aufzuräumen, bei gleichzeitiger Besinnung auf die Denk- und Lebensweise Jesu, wie die Schrift sie bekundet. Der große Reform-Papst JOHANNES XXIII. würde nicht ins Abseits gerückt, dem es darum ging, das elementare Urgestein der Jesus-Botschaft wieder ins Bewusstsein zu heben, statt dem traditionellen Klüngel in Kirche und Vatikan fromm zu huldigen.

Bis in die Gegenwart hinein besteht der Kampf zwischen einer "verwalteten Religion" der Gesetzes- und Glaubenshüter und einer vom Geist Gottes inspirierten Religion, die sich in Ungewissheit und Wagnis immer wieder auf die Frage einlassen muß: Was willst du, Herr, der du die "Zeichen der Zeit" bestimmst, was wir tun sollen?

Wird die Liebe, die Praxis und Einübung in die Liebe, wieder das "Kerngeschäft" des Glaubens? Es bleibt nur zu hoffen. Wahrscheinlich kann die "Krise der Kirche und des Glaubens", die "Gotteskrise"... nur auf dem Wege des "Kerngeschäftes" überwunden werden. Zugleich trifft es in das Herz aller Menschen, denen die Liebe das Höchste ist.

 


Letzte SeitenÄnderung: 16.01.2013.
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