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Brennende Fragen zu Religion, Glaube,
Kirche(n) (4):
Die Liebe, das "Kerngeschäft" der Gläubigen.
Januar 2013
Es mag der Predigt Jesu damals ähnlich ergangen sein wie den Predigten
heute. Die Leute hören einer guten Predigt gerne freiwillig zu und
kommentieren sie: der eine oder andere Prediger hätte ruhig noch länger
sprechen können; ein anderer hätte viel früher aufhören sollen... Wie auch
immer die Predigt als gut oder langweilig empfunden wird – inhaltlich haben
am Ende die Zuhörer das meiste vergessen nach dem Motto: in das eine Ohr
hinein und aus dem anderen heraus. Nur ein Eindruck, ein Bruchteil des
Gesagten bleibt in Erinnerung.
So muß es auch vor 2000 Jahren bei den Jüngern und Anhängern Jesu gewesen
sein. Sie haben Jesus aufmerksam zugehört; es blieben keine Monologe; viel
wurde über das Gesagte miteinander gesprochen. Aber hatten die Anhänger Jesu
alles verstanden? Hatten sie nicht schon bald Vieles vergessen, wie die
Erfahrung es ausdrückt: In das eine Ohr herein, durch das andere wieder
hinaus? So muß bei ihnen das Problem drängend geworden sein: Was ist denn
eigentlich wichtig; was müssen wir uns unbedingt merken; was ist
unverzichtbar? - Sie fragen also Jesus: welches ist das wichtigste Gebot?
Die Antwort: Du sollst Gott lieben mit deinem ganzen Herzen, deiner ganzen
Seele, deinem ganze Denken, deiner ganzen Kraft (Mk 12.28b – 34). Das zweite
Gebot ist dem ersten gleich: du sollst deinen Nächsten lieben...
Wie soll das gehen: mit deiner ganzen Kraft, mit deinem ganzen Denken? Wenn
z.B. am Sonntagmorgen der Gottesdienst zu Ende ist, sind wir mit unseren
Gedanken schnell wieder woanders, überall und nirgends: beim Frühschoppen
oder Mittagessen; bei der Sportschau oder beim nächsten Spielfilm; bei der
Freizeitgestaltung mit Freunden und Bekannten... Früher war es noch üblich,
beim Frühschoppen oder am Mittagstisch über den Gottesdienst bzw. die
Predigt gemeinsam zu sprechen (vielleicht auch nur um zu schimpfen); heute
ist diese Möglichkeit schnell überwuchert von einer Fülle von
Veranstaltungen und Aktivitäten, von denen man Vieles nicht versäumen
möchte.
Das "mit deiner ganzen Kraft" lässt sich also kaum durchhalten. Dennoch gibt
Jesus eine Antwort auf die Frage: Liebe..."wie dich selbst"! Die Liebe zu
dir selbst wird Maßstab für alles andere. Worin besteht aber "die Liebe zu
dir selbst"? Im Normalfall will jeder Mensch ernst genommen werden; er will
geachtet sein und respektiert werden; er braucht Hilfe und Beistand da, wo
er sich nicht selbst helfen kann; er will ein menschenwürdiges Leben; er
will nicht belogen und bestohlen werden; er will, dass man ihm nach
Versagensgeschichten eine neue Chance gibt...
Das "den anderen lieben wie dich selbst" macht es nötig, über den eigenen
Schatten zu springen. Das Ernstnehmen des Du auf dem Weg des Ich ist ein
sehr weiter Weg, wie der Abstand zwischen Erde und Mond. Wir wissen, was wir
selbst wollen; den anderen verstehen wir lange nicht. Aber der andere ist
wie Du! Er hat mehr oder weniger dieselben Bedürfnisse, Sorgen, Ängste...
Deshalb: achte auf dich selbst, damit du den anderen verstehen und lieben
kannst! Wer die Brücke zu schlagen fähig ist zwischen der Ich-Liebe und der
Liebe zum Du, trägt zum Werden der neuen Gemeinschaft bei, zum Frieden und
zur Gerechtigkeit unter Menschen und Völkern. Sie schafft Räume und Zeiten,
in denen Gott mitten unter uns sein kann und will. Die gelungene Liebe zum
Nächsten ist das "Beweismaterial" der Liebe zu Gott.
Liebe mit deiner ganzen Kraft; mit deinem ganzen Denken! Damit ist wohl
nicht gemeint, dass man immer nur an Gott und den Nächsten denken muß.
Sondern gemeint ist: die Gottes- und Nächstenliebe müssen in Fleisch und
Blut übergehen; sie müssen wie ein Kleid sein, an das man nicht ständig
denkt, welches aber immer da ist. Die Liebe ist für alle Gläubigen und für
alle Menschen unverzichtbar; ohne die Liebe ist alles nichts.
Wenn heute vom "Kerngeschäft" des Glaubens gesprochen wird, ist meistens von
den Sakramenten die Rede, besonders von der Eucharistie, von Wallfahrten,
von Studienreisen "in den Spuren des hl. Paulus", vom Lesen und Diskutieren
theologischer Bücher und Inhalte... Vieles hört sich missverständlich nach
einer "Buchstabenreligion" an, nach einer Religion mit vielen Pflichten und
Äußerlichkeiten. Der hl. Paulus würde sagen: Ohne die Liebe ist alles, was
bei der "Neuevangelisierung" angestrebt wird, nichts wert! Es müsste deshalb
statt "Jahr des Glaubens" heißen: "Jahr der Einübung in die Liebe", wo
überall sie nötig ist: in Ehe und Familie, im Beruf, in den Büros und
Schulen, bei der Kindererziehung, im ökumenischen Gespräch, im Zusammenleben
der Christen in den Gemeinden, im Vatikan... In all diesen Lebensbereichen
muß die Liebe eingeübt werden, statt sich vorzulügen, man wisse schon, worum
es geht. De facto mausern sich auch praktizierende Christen, bis in die
höchsten Ränge hinein, als "Versager" in der Liebe. Sie werden mit
Konflikten und Problemen in Ehe, Familie, Beruf, Glaubensgesprächen... nicht
besser fertig als die "Heiden" und Nicht-Getauften.. -
Vielleicht besteht das größte Problem in der "Krise des Glaubens und der
Kirche" darin, dass Jahrhunderte lang ein kognitives Glaubensverständnis
verkündet wurde. Glaube spielt sich im Kopf ab; hat mit theologischen
Kenntnissen etwas zu tun; mit dem Erlernen des Katechismus! Dagegen finden
sozial und caritativ ausgerichtete Werke bis heute nicht nur höchste
Anerkennung, sondern auch Nachahmung in der Gesellschaft. Wenn das
Christentum wieder zu seinem "Kerngeschäft" zurückkehrt, verbündet es sich
mit dem Anliegen aller Menschen. Denn ohne die Liebe ist alles nichts!
Man stelle sich vor: im Laufe der Jahrhunderte wäre die Liebe das tragende
Prinzip allen kirchlichen Handelns gewesen, statt die behaupteten "ewigen
Wahrheiten"; statt das übermäßige Betreiben der "implantatio ecclesiae" (die
Einpflanzung der Kirche in ihrer mittelalterlich-abendländischen Gestalt in
fremde Länder und Kulturen!). Die Missionierung der Germanen, der
lateinamerikanischen Länder, Indiens und Chinas... wäre weniger "mit Feuer
und Schwert" erfolgt; es hätte wohl kaum Religionskriege oder den "Kampf der
Kulturen" gegeben z. B. nach Luther, der nichts anderes wollte als mit den
Missständen in der Kirche aufzuräumen, bei gleichzeitiger Besinnung auf die
Denk- und Lebensweise Jesu, wie die Schrift sie bekundet. Der große
Reform-Papst JOHANNES XXIII. würde nicht ins Abseits gerückt, dem es darum
ging, das elementare Urgestein der Jesus-Botschaft wieder ins Bewusstsein zu
heben, statt dem traditionellen Klüngel in Kirche und Vatikan fromm zu
huldigen.
Bis in die Gegenwart hinein besteht der Kampf zwischen einer "verwalteten
Religion" der Gesetzes- und Glaubenshüter und einer vom Geist Gottes
inspirierten Religion, die sich in Ungewissheit und Wagnis immer wieder auf
die Frage einlassen muß: Was willst du, Herr, der du die "Zeichen der Zeit"
bestimmst, was wir tun sollen?
Wird die Liebe, die Praxis und Einübung in die Liebe, wieder das
"Kerngeschäft" des Glaubens? Es bleibt nur zu hoffen. Wahrscheinlich kann
die "Krise der Kirche und des Glaubens", die "Gotteskrise"... nur auf dem
Wege des "Kerngeschäftes" überwunden werden. Zugleich trifft es in das Herz
aller Menschen, denen die Liebe das Höchste ist.
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