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Pater Fritz Köster
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Brennende Fragen zu Religion, Glaube, Kirche(n) (5):
Gottes Wirkfelder sind Kirche und Welt.

Februar 2013

"Gott ruft sein Volk zusammen" (GL 640) , ein Lied, welches in Gottesdiensten gerne gesungen wird. Wer gehört eigentlich dazu? Wer ist "Volk Gottes"? Israel im Alten Testament hat sich selbst als das "auserwählte Volk Gottes" verstanden. In der christlichen Zeit wurde von vielen Theologen die Kirche als "neues Volk Gottes" charakterisiert. Zu ihnen gehörte und gehört Josef Ratzinger, der heutige Papst. Andere sagen, die römisch-katholische Kirche sei eher - wenn man ihre Strukturen, ihre Ansprüche, ihre äußeren Insignien betrachtet – die Fortsetzung des römischen Imperiums mit seinem Anspruch auf Welteroberung und Herrschaft über Menschen. Allerdings mit einem christlichen Gewand.

Wie "christlich" bzw. wie evangeliumsgemäß dieses Gewand ist – darüber wird heute, wie fast nie zuvor, weltweit kontrovers gestritten. Man braucht sich nur die Gestalt des hl. Franziskus (1181-1226) und die des damals mächtig regierenden Papstes Innozenz III. (1198-1216) anzuschauen; oder heute die Vertreter der "Kirche der Armen" und die der feudalistisch Reichen, des wohlhabenden Bürgertums – man bekommt eine Vorstellung davon, wie gegensätzlich und kontrovers die christliche Geschichte bisher verlaufen ist; wie unterschiedlichste Denk- und Lebensweisen entstanden.

Das Christentum ist sehr vielfarbig, vielgestaltig und alles andere als einheitlich-langweilig. Die Verfasser des Glaubensbekenntnisses und der "Lehre der Kirche" mögen aus der Botschaft Jesu eine große "Einheitlichkeit" gemacht haben – um der "Einheit der Kirche willen - ; aber wo es um die Uranliegen Jesu geht: die Praxis der Liebe, der Gerechtigkeit, Gewissensfreiheit und personalen Verantwortung, ist "Einheitlichkeit" in der Lehre für das Finden der Spuren Gottes im Leben eher hinderlich. Es wird zu sehr über "objektive Wahrheiten" gegrübelt. Über das wahre, gottgemäße Leben, über christliche Verhaltensweisen in konkreten Lebenssituationen macht man sich weniger Sorgen.

Dennoch: Forderungen wie Liebe, Gerechtigkeit, Freiheit müssen gelernt und eingeübt werden, wie es den Fähigkeiten des Einzelnen bzw. einzelner Gruppen entspricht. Vom Evangelium her muß sich christliches Leben in Vielfalt und als schöpferische Kraft erweisen. Je dogmatisch festgelegter es erscheint, desto mehr steht es im Verdacht der Vereinnahmung Gottes und der Menschen. Irgendwann kommt dann der Augenblick, in dem sich religiös engagierte Menschen außerhalb der Kirch(n) besser aufgehoben fühlen als in ihnen. Sie werden religiöse Nomaden oder schaffen andere Behausungen, neue Schläuche für neuen Wein. Auch Gott wird als größer empfunden als alle Kirchen zusammen.

In der Welt, die Gottes Schöpfung ist und bleibt, ist viel "Christliches" gewachsen, was nicht mehr Kirche, "Institution" sein will. Ohne es zu wissen oder explizit zu wollen, gibt es viele Menschen, die durch ihr Leben und Tun in der Nachfolge Jesu stehen. Sie tun Gutes im Sinne des Evangeliums.

Für die Kirche wird es deshalb immer schwieriger zu behaupten, dass es außerhalb der Kirche kein Heil gibt. Erfahrungen aus Vergangenheit und Gegenwart haben gezeigt, dass die "heilige katholische Kirche" wahrscheinlich aus ebenso vielen Sündern besteht wie die "sündige Welt". Wo ist der Weizen, wo das Unkraut? Angesichts des Ist-Zustandes der Kirche und der Welt gibt es Viele, die behaupten, Gott stehe bedingungslos auf ihrer Seite. Wer das Wahre, Gute und unfehlbar Richtige für sich beansprucht, läuft Gefahr, das zu verlieren, was er sich auf die Fahne geschrieben hat. Oder er kommt in die Situation der gläubigen Juden, die Jesus aus der Stadt hinaustrieben, um ihn den Abhang des Berges hinabzustürzen. Er hatte gesagt, dass das Heil auch zu denen kommen kann, die nicht zu den "Gläubigen" gehören (vgl. Lk 4.21-30).

In der Weihnachtszeit 2012 war in den Zeitungen zu lesen, dass es in Deutschland 560.000 eingetragene Vereine gibt, die sich für Gerechtigkeit und Frieden, für die Bekämpfung der Armut einsetzen. Ebenso 13.000 Stiftungen. – Jeder Haushalt kann ein Lied davon singen, wenn Bettelbriefe zu bestimmten Jahreszeiten ins Haus flattern. Die positiv darauf reagieren, weil sie Gutes tun wollen, können nur bangen und hoffen, dass alles seine Richtigkeit behält und dass alles Gespendete dort ankommt, wofür es bestimmt war.

Niemand kann es mit Sicherheit feststellen. Dennoch ist die Zahl derer erstaunlich hoch, die sich im Sinne gerechter Lebensverhältnisse mit aller Kraft einsetzen. Es geht immer um das Zusammenleben der Menschen und Völker, um die Beziehung untereinander, um Versöhnung und Verständnis füreinander, um den Erhalt menschlicher/christlicher Werte und um die Rettung der Welt. Die Grenzen zwischen denen, die sich Christen nennen und den "Andersgläubigen", den Moslems, Buddhisten, Hinduisten... sind dabei kaum auszumachen. Überall gibt es den Weizen und das Unkraut, die Guten und die Bösen, die Engel und die Teufel (Mk 5.9: ihr Name ist Legion; denn sie sind viele).
Die heutige Krise der Kirche und ihrer Theologie haben bei Vielen den Blick wieder frei gelegt für die Tatsache, dass nicht die Kirche allein das Wirkfeld Gottes ist, sondern auch die Welt. Die Kirche muß ihre Existenzberechtigung immer wieder dadurch unter Beweis stellen, dass sie die Spuren Gottes in der Schöpfung und in der Lebensgeschichte von Menschen erkennt und angemessen die Forderungen des Evangeliums zur Sprache bringt. Gott hat seine Offenbarungen nicht in einen luftleeren Raum gesandt, sondern mitten in die zu heilende und zu erlösende Welt. Bevor also die Verkünder des Evangeliums "evangelisieren", sollten sie wissen, dass Gott vorher schon da ist.

Gemessen an den Taten und der caritativen Lebensweise ist zu vermuten, dass es an Zahl viel mehr Menschen gibt, die zum "Volk Gottes" gehören als die Kirchen sie zu zählen gewohnt sind. Vielleicht haben sich die Grundanliegen Jesu, wie sie in der Bergpredigt (Mt 5.1-16) bzw. in der Gerichtsrede Jesu (Mt 25.31-46) zusammengefasst werden, überall in der Welt herumgesprochen. Vielleicht sind sie aber auch nichts anderes als Kommentare zu dem, was in der "anima naturaliter christiana" bereits grundgelegt ist; denn Menschen haben "von Natur aus" das Bedürfnis nach Liebe, Gerechtigkeit, Gemeinschaft....Und nach dem Segen Gottes.

Die großen Schätze, die Gott in die Menschheit hineingelegt hat, gilt es auszugraben und zu bergen. Die "Neuevangelisierung" geht nicht ohne das Nachvollziehen des Wirkens Gottes in der Welt. Nur im Zusammenspiel des Göttlichen mit allem Menschlichen ist die Krise der Kirche und des Glaubens zu überwinden. Gott in allem Menschlichen zu erkennen und alles Menschliche in Gott verankert zu sehen, führt über konfessionelle Glaubensformeln weit hinaus. Der Blick führt hinaus in die Weite.

So wird es bei der "Endabrechnung" wohl kommen, dass viele Gerechte – aus allen Religionen und Weltanschauungen – die Fragen stellen: "Wann haben wir dich hungrig gesehen und dir zu essen gegeben, oder durstig und dir zu trinken gegeben..."? – Sie werden zu hören bekommen: "Was ihr für einen meiner geringsten Brüder (Schwestern) getan habt, das habt ihr mir getan" (Mt 25. 37-40).

 


Letzte SeitenÄnderung: 20.02.2013.
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