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Brennende Fragen zu Religion, Glaube,
Kirche(n) (6):
Uns bleiben Wüstenwege nicht erspart.
März 2013
Der Evangelist Mathäus (4.1-11) berichtet darüber, dass Jesus eines Tages
vom "Geist Gottes" in die Wüste geführt wurde. Die Wüste: ein unwohnlicher
Kontinent, in dem es bis heute schwer zu leben möglich ist: die große Hitze
am Tag und die Kälte in der Nacht, die unendliche Sandwüste und die
Sandstürme, die große Wasserknappheit und die wilden Tiere... In der Wüste
sein: einen halben Tag lang, mag für Touristen ein großartiges Erlebnis
sein; für Wüstenbewohner ist die Wüste schwer zu ertragen. Trotzdem wird
Jesus in die Wüste geführt – sogar vom "Geist Gottes".
Warum? Wie es immer schon war: wenn Menschen auf der Suche sind nach dem
Sinn ihres Lebens, brauchen sie Ruhe, ziehen sich in die Einsamkeit, in die
Stille und Weltferne zurück – wohl geleitet durch die Erfahrung, dass
niemand ihnen Antwort auf ihr Persönliches zu geben vermag. Deshalb müssen
sie allein sein, bei sich Einkehr halten, um Antworten zu finden auf die
Fragen, die ihr persönliches Leben betreffen.
Offensichtlich musste sich auch Jesus Klarheit verschaffen über seinen Weg,
über seine Rolle und seine Aufgabe in der Welt, die nur ihm und niemand
anderem von Gott zugedacht ist. Er musste über sich selbst im Klaren sein,
über seinen ihm allein zukommenden Auftrag von dem, der dazu Kräfte und
Fähigkeiten, ein persönliches Gewissen und eine einmalige Persönlichkeit zu
geben vermag – alles Voraussetzungen, um das Leben vor sich selbst wie vor
Gott verantwortlich zu gestalten. Heute, im Nachhinein, wissen über 2
Milliarden Christen in der Welt, dass Jesus ein großer Religionsgründer
geworden ist – der Initiator einer religiösen Bewegung, die Länder und
Kontinente erfasste und Menschen zu schöpferischem Kulturhandeln ermutigte.
Wo ein Mensch in sich selbst geht und bemüht ist, eine freie und auf Gott
bezogene Persönlichkeit zu werden, um etwas Gutes zustande zu bringen, ist
der Teufel immer auch dabei. Er verführt Jesus in der Wüste, wohl mit der
Absicht, Jesus zu verunsichern: Warum tust Du Dir die Wüste an? Du könntest
es viel besser haben, wenn Du aus Steinen Brot machen würdest statt zu
hungern; wenn Du Dich von der Zinne des Tempels herabstürzen würdest und so
die Engel zu spüren bekämest, die Dich auf Händen tragen; wenn Du die Worte
des Teufels befolgen würdest und so an der Pracht und Herrlichkeit der Welt
teilhaben würdest, zudem ausgestattet mit höchster Autorität...
Jesus geht auf die Versuchungen des Teufels nicht ein. Er bleibt dabei: im
Gebet und Gespräch mit seinem Vater im Himmel will er Klarheit für seinen
Beruf, für seine Berufung und Sendung zum Heil der Welt.
Die Versuchungen Jesu in der Wüste sind beispielhaft für unsere Lebenswege.
Auch wir müssen oft durch die Wüste gehen, wenn Eltern eines ihrer geliebten
Kinder durch Krankheit und Tod verlieren; wenn der Mann stirbt und seine
Frau zurücklässt, mit der er Jahrzehnte lang verheiratet war; wenn
Lebenskrisen, Enttäuschungen beim Menschen schwere persönliche Verwundungen
hinterlassen; wenn der Mensch in Depressionen und unsägliche Trauer
verfällt; wenn Menschen in Hunger und Armut keine Chance haben, zur eigenen
Entwicklung und Würde zu finden...
Wir in unseren Breiten sprechen in ausweglosen Lebenssituationen zwar nicht
von "Wüste"; aber der unmittelbar Betroffene bei Krankheit und Tod muß doch
"Wüstenwege" gehen, die oft für lange Zeit Traurigkeit, Einsamkeit,
Verzweiflung... heißen. Andere können dann nur von außen Hilfe leisten. Die
eigentlich Betroffenen müssen die Wüstenwege allein durchstehen,
durchhalten. Wie kann Gott das Leid und Elend in der Welt zulassen? Gibt es
überhaupt einen gnädigen Gott?
Solche Klagen sind immer wieder zu hören. Für viele werden sie der Anfang
zum Atheismus, zur Gottlosigkeit. Von anderen ist auch immer wieder zu
hören: in schweren Krisen habe ich mehr zu Gott gefunden; ich habe
angefangen zu beten; ich bin auf Gedanken gekommen, die ich vorher niemals
hatte; früher Wesentliches ist zweitrangig geworden; ich komme mir reifer
vor, klarer in der Frage nach dem Sinn des Lebens. Offensichtlich muß der
Mensch Vieles im Leben durchhalten, um zu wissen, worauf es ankommt. In
seiner Hinfälligkeit wächst die Erwartung auf etwas Ewiges, Endgültiges...
Die Wüste ist hart, aber fruchtbar.
Auch die herkömmliche Kirche muß gegenwärtig Wüstenwege und Leer-Pfade
gehen. Der Papst ist zurückgetreten; auf den Nachfolger werden – bei dem
"Problemstau" seit Jahren - nicht allzu große Hoffungen gesetzt; die
Bischöfe werden als unfähig eingeschätzt, das oft feierlich verkündete
Prinzip der "Subsidiarität" selbst zu befolgen und durchzusetzen; sie
gelten, wo es um die eigene Verantwortung geht, als ängstlich, lahm,
zerstritten und ohnmächtig zu eigenen Entscheidungen. Auch hier stellt sich
die Frage: Was hat Gott vor, wenn er solche Wüstenwege zulässt? Will er
einen "Läuterungsprozess" der Selbstreinigung und Besinnung auf das, was
Jesus wirklich gewollt und gesagt hat? Mehr Gott als den Menschen gehorchen?
Wenn nicht alles täuscht, läutet Gott mit allem, was in den letzten
Jahrzehnten kaputt gegangen ist, eine neue Epoche ein: das Ende der
Obrigkeiten und Hierarchien, der Excellenzen und Hochwürden, der "heiligen
Väter"... Er mutet der großen Mehrheit der Gläubigen die ernüchternde,
bisher verdrängte Tatsache zu, dass alle in der Kirche nur Menschen sind,
nichts als fehlbare Menschen. Mit solcher Einsicht wäre eine neue Epoche
angesagt: Ihr sollt euch auf Erden nicht Rabbi, Vater, Lehrer... nennen
lassen, "denn nur einer ist euer Meister, ihr alle aber seid Brüder" (und
Schwestern) (Mt 23. 8-11).
Wenn gegenwärtig viel von "Basisgemeinden", Klein- und Hauskirchen
gesprochen wird, fängt die Uneinigkeit unter Christen schon an. Die einen
sehen in ihnen ein "Zurück" zu den Quellen der ersten christlichen
Jahrhunderte; eine Chance für die Zukunft des Glaubens; ein Zusammenrücken
aller Gutwilligen. Andere sehen sich in ihrer Vorrangstellung als Geistliche
und Geweihte bedroht; fühlen sich in ihren geistlichen Ämtern, Privilegien
und Weisungsansprüchen gegenüber dem Volk infrage gestellt. Welche
Gruppierung wird zum Zuge kommen? Allen steht noch ein langer Kreuz- bzw.
Wüstenweg bevor. Im Gebet: "Herr, was sollen wir tun?" kann wohl allein das
Licht, die nötige Erleuchtung, die Gabe des hl. Geistes geschenkt werden;
weniger im Befolgen dessen, was "von oben" verordnet wird; also von denen,
die sich einbilden, mehr "oben" zu sein als andere.
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