Gratis Info-Brief
Sie möchten regelmäßig über neue Beiträge auf meiner Webseite informiert werden?
Dann abonnieren Sie einfach meinen
Info-Brief...
|
|
Brennende Fragen zu Religion, Glaube,
Kirche(n) (9):
Gift für die Religion: Die "Doppelte Moral".
Juli 2013
Mahatma Gandhi, ein Inder und Hindu-Gläubiger, nach dem 2. Weltkrieg
weltweit bekannt geworden durch seinen gewaltlosen Widerstand gegen die
englische Besatzungsmacht, hat sich sehr für das Christentum interessiert.
Er hat die Schriften des Alten bzw. Neuen Testamentes vielleicht eingehender
studiert als mancher Getaufte. Dennoch ist er nie Christ geworden, obwohl er
zu Christen immer wieder Kontakt hatte. Er hat die Christen einmal mit
Steinen verglichen, die, in den Fluss geworfen, vom Wasser umspült sind, in
die das Wasser aber nicht einzudringen vermag. Äußerlich also "christlich",
im Inneren davon unberührt.
Das Bild vom "Innen" und "Außen" ist dem Evangelium nicht fern. Der
Evangelist Mathäus legt Jesus schwere Vorwürfe gegen die Pharisäer und
Schriftgelehrten in den Mund: "Sie reden nur, tun selbst aber nicht, was sie
sagen" (auch zum FF. Math.23). – Sie legen den Menschen schwere Lasten auf,
"wollen selbst aber keinen Finger rühren". – Und wenn sie mal etwas tun, tun
sie es nur, "damit die Menschen sie sehen". – "Bei jedem Festmahl möchten
sie den Ehrenplatz und in der Synagoge die vordersten Sitze haben; auf den
Straßen und Plätzen lassen sie sich gern grüßen und von den Leuten Rabbi
(Meister) nennen". – "Ihr Heuchler... Ihr seid wie Gräber, die außen weiß
angestrichen sind und schön aussehen; innen aber sind sie voll Knochen,
Schmutz und Verwesung". – "Blinde Führer seid Ihr...". -
Man kann sich kaum vorstellen, dass Jesus solche harten Urteile im Mund
geführt haben könnte. Aber der Evangelist legt großen Wert darauf, dass das
alles mit dem Leben und Tun Jesu in Einklang steht. Offensichtlich soll
hiermit betont werden, dass es allgemein mit uns Menschen etwas zu tun hat:
mit Bereichen und Schichten des Unglaubens im Menschen trotz
Glaubensbekenntnis. Demnach hat Vieles, was wir tun und treiben, mit dem
Glauben, mit der Botschaft Jesu nichts zu tun! Es scheint sogar unvereinbar
mit dem Glauben.
Zunächst scheint die Tatsache angebracht, dass die Pharisäer und
Schriftgelehrten nicht so schlimm waren, wie sie dargestellt werden. Sie
gehörten zur religiösen und politischen Elite der damaligen Zeit. Ihr
vehementes Anliegen war es, dass das Gesetz des Mose mit allen
Einzelbestimmungen eingehalten und befolgt wurde. Ihnen ging es um den
Erhalt des Glaubens, der auch damals genügend gefährdet schien und in den
Alltäglichkeiten des Lebens unterzugehen drohte. Andererseits zeigten sich
bei ihnen Verhaltensweisen wie Macht, Überlegenheit, Arroganz, egoistische
Ambitionen, die mit dem Mantel des Religiösen überdeckt waren. Sie erweckten
den Eindruck des Glaubens, lebten zugleich Bereiche des Unglaubens und des
"Heidentums".
Das Urteil des Mathäus über sie scheint übermäßig übertrieben. Ihre guten
Absichten waren von Fehlern und Schwächen überdeckt, die jedem Menschen zum
Vorwurf gemacht werden können. Dennoch soll mit den Übertreibungen zum
Ausdruck gebracht werden, dass es Anteile auch bei religiösen Menschen gibt,
die mit dem Glauben unvereinbar sind, die die "frohe Botschaft" verhindern.
Das Gefährliche dabei ist, dass es die Betroffenen selbst nicht merken,
nicht wahrhaben wollen. Zu sehr sind sie im Guten verhärtet, was Thomas von
Aquin schon als schwere Sünde verstanden hat, weil gegen das Wirken des
heiligen Geistes.
In den Jahren nach meiner Afrikazeit, als ich noch in München war
(1972-1988), habe ich gelegentlich Scharen von Studenten der nahe gelegenen
Universität in der Nähe der katholischen Akademie beobachtet. In den Straßen
um die Akademie herum konnte man die größten, die teuersten, die neuesten
und aufwendigsten Autos besichtigen, die gerade fabrikneu auf dem Markt
waren. Es waren die Limousinen der deutschen Bischöfe, die sich zur
Jahrestagung in der Akademie versammelt hatten. Mein Eindruck war: hier wird
von den Hütern des Glaubens lautstark, ohne Worte, der Unglaube verkündet!
Hier wird deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die Anforderungen des
Evangeliums nicht besonders ernst zu nehmen sind! Die Bemerkungen der
Studenten bestätigten meinen Eindruck. Von der reichen Kirche, die das Recht
verwirkt hat, die Botschaft des armen Mannes aus Nazaret glaubhaft zu
verkünden; vom aufwendigen Leben im Namen der Religion; von der Macht, dem
Dünkel, dem Prestige, der Arroganz und dem Reichtum ihrer Vertreter, denen
man – wie vielen Politikern - lieber nicht trauen sollte... Ihnen gehe es
auch um Gott, mehr aber noch um ihr Prestige, um ihr Ansehen und ihre
Würdigkeit.
Auch das mag alles übertrieben sein. Bei bestimmtem Eindrücken kommen solche
und ähnliche Übertreibungen leicht zustande. Hinzu kommt, dass die
emanzipierte Welt mit ihren Medien und Möglichkeiten heute vermehrt dazu
neigt, den Lebensstil gerade der religiös und moralisch Verantwortlichen in
besonderer Weise unter die Lupe zu nehmen. Der sprichwörtlich gewordene
Luxus des Bischofs von Limburg; die Palais- und Residenzbetriebsamkeit des
Kardinals von München; die Schiebereien und Seilschaften der hohen Herren in
der Kurie... sind für die Presseleute zu einem "gefundenen Fressen"
geworden. Deshalb sind sie nicht immer nur "böse und unchristlich". Oft
drücken sie aus, was die Welt zu Recht erwartet: "Früchte des Glaubens"
statt des Unglaubens bei denen, die den Namen Gottes dauernd im Munde
führen, die an die "zukünftige Welt" als das Wichtigste zu glauben lehren.
Der Evangelist Mathäus hat in seiner Zeit bereits das Missverhältnis
zwischen Innen und Außen, zwischen Anspruch und Wirklichkeit zur Sprache
gebracht. Heute stehen ähnliche Missverhältnisse am Pranger, wenn man bereit
ist, das "bürgerliche Christentum" mit seinem "Wohnzimmerglauben" näher zu
durchleuchten oder der "frohen Botschaft" das Anstrengende bzw. das Kreuz zu
nehmen, ohne die das eigentlich Tragisch-Menschliche und Christliche nicht
zum Tragen kommt.
In der Jetztzeit der gegenwärtigen Krise scheint es ein Zeichen der
Vorsehung Gottes zu sein, dass ein Papst mit dem Namen Franziskus seine
Finger auf die Wunden der kranken Kirche legt. Nach dem Beispiel des
Franziskus aus dem 13. Jahrhundert, der seinem Vater Geld, Reichtum und Erbe
vor die Füße warf, weil für ihn unvereinbar mit der Nachfolge Christi, hat
er es nach seiner Wahl zum Papst abgelehnt, sich in einer Staatskarosserie
chauffieren zu lassen. Er ist nicht in den "Vatikanischen Palast"
eingezogen, sondern in das Gästehaus des Vatikans. Am Gründonnerstag hat er
nicht ehrenwerten Bürgern und verdienten Zeitgenossen die Füße gewaschen,
sondern Frauen und Männern im Gefängnis, also Gescheiterten, Bestraften und
Ausgestoßenen. Während eines aufwendig angelegten großen Konzertes zum "Jahr
des Glaubens" ist sein Stuhl leer geblieben. Der leere Stuhl bot einen
seltsamen Eindruck mitten in den geschlossenen Reihen der auserwählten
Herrschaften mit ihren roten und violetten Festtagsgewändern. Dazu das Bild
mit den unzähligen Klerikern und Nonnen, die die Konzertaula bevölkerten...
Was Papst Franziskus auch immer noch machen wird – mit dem "leeren Stuhl"
wie mit anderen Verhaltensweisen hat er Zeichen gesetzt in Richtung einer
Kirche, die es mit der Nachfolge Christ ernst meint.
Franziskus, der von "Events" und religiösen Massenveranstaltungen nicht viel
hält, spricht von der "egozentrischen und mondänen Kirche", die schon
deshalb "krank" ist, weil sie für sich selbst lebt und um sich selbst
kreist. Er prangert ihren "theologischen Narzismus" und ihre "klerikale
Eitelkeit" an, der der "Geruch der Schafe" abhanden gekommen ist. In
"spiritueller Verrücktheit" sei die "Entschlackung des Vatikanischen
Zeremoniells" und der "Rückzug" der barocken Prachtentfaltung nötig. Er
warnt vor kirchlichem "Karrierismus" ebenso, wie er das bequeme
"Wohnzimmerchristentum" kritisiert. Für ihn geht es nicht darum, den
heutigen Menschen ein "Wohlfühlchristentum" zu verkünden, sondern eine nicht
bequeme Botschaft, die die vielen zu bewältigenden Aufgaben des Einzelnen
wie auch die der Welt im Blick behält. Es geht um die Bereitschaft der
Christen zu heilen, was heillos ist; aufzurichten, was im Argen liegt; zu
erlösen, was unerlöst ist... Der Mensch und die Welt machen in ihrem
Ist-Zustand die Mobilisierung aller Kräfte des Guten erforderlich. So kann
der Papst Gläubige im Anschluss an einen Gottesdienst mit den Worten
entlassen: "Verkündet das Evangelium; wenn es sein muss: auch mit Worten!".
-
An erster Stelle also mit Taten! Im Tun dessen, was wahr, gut und heilsam
ist, werden Verbalismen überflüssig und Sonntagsreden, trotz aller
Feierlichkeit, hohl und leer. Im Tun der Wahrheit kommt der Mensch zum Licht
(Joh 3.21). Zwar geht das Denken und Beurteilen einer Sache dem Tun voraus.
Aber das Tun bewirkt neue Impulse zum Denken, motiviert oder demotiviert. Im
Tun erfährt der Handelnde seine eigene Würde; er lernt sich selbst kennen:
seine beschämenden Schwächen, seine wachsenden Kräfte und Fähigkeiten. Er
lernt realistisch einzuschätzen, was er selbst wert ist. Es fällt auf ihn
zurück, was er vor anderen gewirkt hat.
Im "Tun der Wahrheit" findet ein Zusammenspiel statt zwischen göttlichem und
menschlichem Wirken. Der Widerspruch wird überwunden zwischen Innen und
Außen, zwischen Rede und Gegenrede, zwischen Zeitlichem und Ewigem, zwischen
Profanem und Sakralem. Indem der Mensch geistige und materielle Güter zu
teilen, mitzuteilen und zu kommunizieren vermag, fängt er an zu besitzen,
"als wäre er nicht Eigentümer". Weil die Gestalt dieser Welt vergeht, "macht
er sie sich zunutze, als nutze er sie nicht" (1 Kor 7.28-31). Im
Bewusstsein, "dass Fleisch und Blut das Reich Gottes nicht erben" (1 Kor
15.50), bleibt der Gläubige zurück, "der nichts hat und doch alles besitzt"
(2 Kor 6.10). Im Mut zu Taten hat das Ewig-Bleibende schon seinen Anfang
genommen.
Im christlichen Leben geht es also nicht einfach um das Einhalten von
Geboten und Vorschriften, sondern darum, dass wir uns in den Erfahrungen des
Lebens hinabfallen lassen, durch alle Stufen des Seins, bis auf den Grund
der Dinge. Auf dem Grund aller Dinge – so lehren es die Mystiker – wohnt
Gott. Da findet auch der Mensch sein Zuhause und den Zugang zu seinem
eigenen Wesen.
|