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Pater Fritz Köster
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Gedanken über ZeitenWende - WendeZeiten (VI):
Fasten und die neue Weltwirtschaftsordnung.

Januar 2005

Im Blick auf den rapiden Klimawandel mit seinen z.T. verheerenden Folgen ("Asienflut", Erdrutsche, Überflutungen...); ebenso im Blick auf die ganze soziale Systeme sprengende Kraft der Massenverarmung in vielen Ländern; im Blick auf die wachsende Gefahr des Terrorismus und steigender Gewaltanwendung rund um den Globus... wird der Ruf nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung immer lauter. Was haben alle diese genannten Bedrohungen mit dem Fasten zu tun? Im Folgenden geht es weniger um moderne Formen der Enthaltsamkeit wie: Magerfasten; Gesundheits- und Fitnessfasten; Frühlings- und Entschlackungsfasten; Wellness- und Heilfasten. Diese mögen so oder so ihre Gründe und ihre Berechtigung haben. Jenseits dieser Perspektiven gibt es von je her in allen Weltreligionen ein religiös motiviertes Fasten. Worin besteht es? Was beabsichtigt es? Kann es eine wirksame, vielleicht sogar unverzichtbare Hilfe sein, um zu einer neuen Weltwirtschaftsordnung zu finden und damit zum Frieden in der Welt?

1. Abenteurer des Ewigen.

Ich denke an ein Buch, welches Hermann Graf Keyserling (gest.1946) geschrieben hat. Es handelt sich um das "Reisetagebuch eines Philosophen". Als wohlhabender Europäer bereist er Indien und China. Was ihn besonders fasziniert, sind das Bild und das Auftreten eines indischen Heiligen. Dieser verbringt sein Leben in Fasten, Meditation, Ruhe, Stille und Schweigen – ohne das Bedürfnis zu haben zu reden, sich anderen mitzuteilen. Bei seiner fortschreitenden Verinnerlichung und Existenzvertiefung behält er sein Wissen für sich. Er lebt ein Buddha-Dasein. Auffallend ist sein hochintelligentes, wunderbar durchgeistigtes Gesicht...

Man kann das Buch vergleichen mit den Aufzeichnungen der Wanderschauspielerin Emmy Henning mit dem Titel: "Das Brandmal" (1920). Die Verfasserin betrachtet und zeichnet Heiligenfiguren, die im Kölner Dom zu sehen sind. Sie interpretiert das Leben der Heiligen wie z.B. das des hl. Antonius als eine Anfrage an den größten Teil der Menschheit, ob die meisten mit ihren täglichen Alltagsbeschäftigungen und Sorgen nicht dauernd abgelenkt sind und sich ablenken lassen von wirklich wesentlichen Dingen, letztlich von der Frage nach Gott? Muß man ein Heiliger sein? Muß man erst alt, schwach und zukunftslos werden, um Abstand zu nehmen von vielen Überflüssigkeiten, in denen das Leben gefangen ist? Wie lange braucht es, um Banales, Ordinäres, Triebhaftes, Instinkthaftes... ablegen zu können, um eine Ahnung von der Tatsache zu bekommen, dass es noch etwas unwandelbar Jenseitiges gibt?

Mit solchen Fragen wird schon eine Auskunft angedeutet über das, was die Größe und Bedeutung der Religionsstifter oder Beweger der Weltgeschichte ausmachen? Banal ausgedrückt, können solche Menschen verglichen werden mit Leuten, die einem Hobby huldigen; die jede freie Minute damit verbringen, ihrer Liebhaberei zu frönen. Nur handelt es sich bei ihnen nicht einfach um das Hobby des Angelns oder des Eisenbahn-Bauens. Gertrud v. le Fort nennt die Heiligen und großen Inspiratoren der Menschheit "wie Helden aus fremden Ländern". - E. Henning deutet ihre Zurückgezogenheit aus dem Trubel des Lebens in die Stille und Innerlichkeit hinein als eine Haltung "der Erwartung auf jemanden, ohne zu wissen auf wen?" Sie sind "stets auf der Lauer" nach etwas Unaussprechlichem und Unfassbarem". - Für Botho Strauß sind sie alles andere als "esoterische Spaziergänger" oder "diffuse Heilige", sondern Menschen "mit höchster Ahnung und Erfahrung des Heiligen".

Die einzige Furcht und Angst, die es für sie gibt: von wesentlichen Einsichten "über das, was die Welt im Innersten zusammenhält", abgelenkt zu werden. Sie ahnen die wirklichen Wege Gottes, die der Menschheit zum Heile dienen würden. Oft "abgewiesen durch die Zeiten", bringen sie dennoch den Mut und die Kraft auf, sie selber zu bleiben, anders zu sein als die meisten anderen. Laut einer indischen Geschichte über das Salz im Wasser sind sie auf den "Geschmack" nach einer Wirklichkeit gekommen, den die meisten nicht haben. Sie wollen und können ihn auch nicht haben, weil sie die Voraussetzungen nicht akzeptieren, die zum wirklich Wesentlichen führen. Sie müssten auf Distanz gehen zu den allen Menschen innewohnenden Neigungen. Diese heißen: Dinge sammeln, an Äußerlichkeiten festhalten, Besitztümer stapeln, nach immer mehr Macht und Einfluß streben, Eigentum horten und sich dabei in scheinbarer Sicherheit wiegen, den Wohlstand als das Wichtigste ansehen – ohne die Kraft zu entwickeln, sich im Loslassen zu üben...

Was die Großen der Geschichte wie Sokrates, Buddha, Johannes und Jesus ausgezeichnet hat und auszeichnet, ist ihr gläubiges und hoffendes Ahnen und Deuten des geheimnisvoll "ganz Anderen". Sie bleiben ihm hartnäckig auf der Spur und fordern ihre Anhänger auf, desgleichen zu tun. Sie sind wie Abenteurer des Ewigen, wie "Spürhunde" des Absoluten und Unvergänglichen. In eine andere Welt hineinreichend und sie ergründend, haben sie tiefe Einsichten gewonnen in die Rätsel der Dinge und des Lebens. Gegenüber ihren Zeitgenossen sind sie oft wie "Rufer in der Wüste", weil es den meisten zu anstrengend ist, sich auf Realitäten einzulassen, die nicht auf Anhieb in die Augen springen und nicht auf seichte Weise zu "haben" sind.

2. Religiöses Fasten: eine öffentliche Angelegenheit.

Wenn im asiatischen Denken die "Weltdistanz" geübt wird; wenn im Islam am "Ramadan" und im Christentum an der Fastenzeit festgehalten wird, handelt es sich nicht um eine "Therapie" bzw. "Selbstheilung", sondern um eine streng ritualisierte Pflicht. Diese ist nicht in die Beliebigkeit des Einzelnen gegeben, sondern hat öffentlichen Charakter. So ruft König Ahab ein öffentliches Fasten aus – als Demonstration von Trauer, Protest und Umkehr nach misslungenen Handelsgeschäften (1Kön 21).

Die heiligen Schriften sparen nicht mit Kritik am Fasten, wenn es nicht dazu führt, dass Menschen Unrechtsverhältnisse im Land zu ändern bereit sind. Der Prophet Jesaja entlarvt solche Formen des Fastens als "fromme Masken" (58.1-12). Denn "gottgefälliges Fasten" müsse den Unterjochten Erleichterung bringen, den Hungernden Speisung, den Gefangenen Befreiung...

Das Fasten ist nicht "gottgefällig", wenn es nicht zum Teilen der zum Leben notwendigen Güter und Kräfte führt. Die Versuchungen Jesu in der Wüste am Anfang seines öffentlichen Wirkens (Mt 4.1-11) sind bezeichnend und wegweisend. Seine Versuchungen durch den Teufel verlocken zur Sucht nach irdischen Mächten und Neigungen. Jesus weist sie in ihre Grenzen. Der Teufel versucht zu der obskuren Forderung, die gewonnene Macht öffentlich zu Schau zu stellen. Jesus weist ihn zurück. Durch die Art seines Reagierens auf menschliche Ambitionen wird der "Fall Adam", der viel Unheil in die Welt gebracht hat (Gen 3), neu verhandelt. Es findet eine Umkehrung dieses "Falles" statt im Sinne von: "wehret den Anfängen", findet zu einem neuen Verhalten!

Während seines späteren Wirkens weitet Jesus die Fastenregeln noch aus. Er praktiziert die Tischgemeinschaft mit den Armen und Entrechteten, mit den Zöllnern und Sündern (Mk 2.13-22). Den christlichen Gemeinden wird aufgetragen, "unauffällig zu fasten" – nicht wie die Heuchler und religiösen Zur-Schau-Steller. Aber das Fasten soll zu einem sozialen Engagement führen, zu Werken der Barmherzigkeit vor allem denen gegenüber, die der Hilfe und des Segens Gottes am meisten bedürfen. Kurt Marti spricht deshalb zu Recht von der Weltleidenschaft Gottes. Dem Anschein nach "Fromme" werden vor Gott erst gerecht, wenn sie ihren Mitmenschen und der gesamten kreatürlichen Mitwelt gegenüber gerecht zu sein versuchen.

Von Petrus Chrysologus (um 400 n.Chr.) stammt das Wort: "Das Leben des Fastens ist die Barmherzigkeit". Es geht also nicht nur um die Kunst des Loslassens und Teilens um eines höheren Gutes willen, wie es am Beispiel Abrahams gezeigt wird (Gen 12) oder am Verhalten des reichen Mannes gegenüber dem armen Lazarus (Lk 16.19-31). Die Suche nach der ganz anderen Wirklichkeit Gottes ermächtigt den Menschen auch, die Welt und das Leben mit offenen Augen und Ohren ganz anders wahrzunehmen als vorher, als er noch mit Blindheit geschlagen war. Die Umkehr beim Fasten macht fähig zu heilendem und erlösendem Handeln mitten in der unerlösten Welt. Der Mensch weiß sich auf eine neue Weise angerufen von Gott. Er wird Mitgestalter an seinem weltzugewandten Wirken – mit seiner persönlichen Begabung und Veranlagung. Sein aus anderer Sicht angesprochenes Leben kommt zu einer neugearteten Sinnhaftigkeit und Fülle, indem es in Gemeinschaft mit Gott sein Denken und Handeln auf das Wohl anderer und letztlich der gesamten Menschheit ausweitet.

Das religiöse Fasten kommt erst zu seinem Sinn und Ziel, wenn die persönliche Dynamik des Menschen ihren Gleichklang und ihre Übereinstimmung findet mit der dynamisch-schöpferischen "Weltleidenschaft Gottes". Im Tun der Wahrheit erfüllt sich das Leben des Menschen. Er entdeckt und findet sich selbst – in seiner jeweils "besonderen Gnadengabe von Gott" (1Kor 7.7).

3. Das UnWort des Jahres 2004 heißt: "Humankapital".

In den Zeitungen zur Jahreswende war zu lesen, dass die Deutschen mehrheitlich das UnWort des Jahres 2004 entdeckt haben. Es heißt: Humankapital. Für die Menschheit würde es einen riesengroßen Fortschritt bedeuten, wenn eine wachsende Mehrheit begreifen und sich dagegen wehren würde, dass eine Unzahl von Menschen zum "Humankapital" degradiert wird. In einer wirtschaftlich geplanten und ausgebeuteten Welt werden sie immer mehr "nur noch ökumenisch interessante Größen". Sie werden als bloße Arbeitskräfte in den Betrieben angesehen und entsprechend behandelt – irgendwann so oder so "ausgespieen", sobald ihre produktiven Arbeitskräfte schwinden und durch neue profitablere ersetzbar werden.

Das Wort Humankapital ist Ergebnis einer wechselseitigen Wirkung. Da sind die Ausbeuter. Sie merken sehr schnell, wie Menschen sich leichtfertig ausbeuten und manipulieren lassen. Da sind die Ausgebeuteten. Die schleichende Weise, die ihre Rechtlosigkeit immer weiter vorantreibt, nehmen sie nicht oder kaum wahr. Das umso weniger, je gedankenloser sie bleiben und je weniger sie zur Besinnung kommen.

Im Christentum wurde auf weiten Strecken nicht nur das Fasten gefördert und gefordert, sondern auch die Fastnacht vor diesem Fasten. Im biblischen Denken heißt Narrheit Geistesblindheit, Gottesleugnung, Selbstleugnung, menschliche Unvollkommenheit und Unzulänglichkeit im Bund mit dem Teufel und teuflischen Mächten – Realitäten, die in Masken, Hexen-Kostümierungen, klingenden Schellen und Eselsohren ihren Ausdruck finden. Die Narrenzeit, bis zum Äußersten ausgekostet, soll die Erfahrung des menschlichen Ungenügens vermitteln und die Sehnsucht nach "Umkehr" wecken.

Hier schließt sich der Kreis zwischen dem Wort Fastenzeit und dem UnWort Humankapital. Beide sind in der Lage, die Menschheit zur Besinnung und Umkehr zu bringen. Sie vermögen Kräfte in Menschen zu wecken, die nicht mehr nur "rein menschlich" sind, sondern die sich aus einer neuen Sicht des Lebens und der Dinge herleiten. Sie vermögen zu der Erkenntnis verleiten, dass Menschen – das angeboren Instinkthafte durchbrechend – immer nur menschlich werden, wenn sie sich eines höheren Auftrags und einer würdigeren Beauftragung bewusst werden. Findet dieser Bewußtseinsprozeß nicht statt – weder in der breiteren Öffentlichkeit noch in der politischen und religiösen Führungsschicht - , bleibt die Forderung nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung den Sonntagsrednern vorbehalten. In Wirklichkeit wird es sie nicht geben. Aber auch keinen Frieden auf Erden.
 

 


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