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Unglaublich, was Christen glauben (I).
Dezember 2003
Eine in früheren Jahrhunderten
verständliche und gängige christlich-religiöse Sprach- und
Symbolwelt gerät immer mehr in die Bedeutungslosigkeit. Das
herkömmliche Reden über Gott und die Welt erweckt heute bereits
bei jedem Schulkind und Jugendlichen Verständnislosigkeit und
Ablehnung, sofern diese auch nur ansatzweise natur- bzw.
humanwissenschaftlich "infiziert" sind. Bei aller "religiösen
Unterweisung" wächst die Kluft zwischen Erlerntem und Erlebtem.
In der Schule wird diese Kluft geradezu programmatisch
vorangetrieben durch das Nebeneinander von
naturwissenschaftlichen Fächern und Religionsunterricht. Das
Christentum gerät in der Jugendzeit bereits ins Abseits:
"Fortsetzung" in Familie und Beruf. Muß es sich selbst aufgeben?
Oder muß es seine "Substanz" in eine neue Sprache gießen, im
Horizont heutigen Weltverständnisses neu buchstabieren? In den
folgenden Beiträgen I. ff soll über zentrale Aussagen des
Glaubensbekenntnisses nachgedacht werden.
I. Der "allmächtige Vater".
So steht es jedenfalls im 1. Artikel des Glaubensbekenntnisses. Dabei kann
man spontan fragen: warum gerade diese Aussage? Hätte man im 4. Jahrhundert
nicht ehrlicher und biblischer schreiben sollen: ich glaube an Gott, der die
Liebe ist? Warum fehlt diese Aussage? Vielleicht hätte sie bei Menschen
aller Jahrhunderte die Vorstellung wach gerufen , daß auch wir Menschen -
"Ebenbilder Gottes" - auf Liebe hin angelegt sind. Vielleicht wäre die
Geschichte der Kirche anders verlaufen. Es hätte keine Kreuzzüge und
Religionskriege gegeben, kein Inquisitionen und Ketzerverbrennungen, keine
Diskriminierung von Frauen und religiös Andersdenkenden. In allen Dingen
wäre nach der Praxis der Liebe gefragt worden...
Der Schweizer Dichter und Schriftsteller Kurt Marti sieht es ähnlich,
wenn er schreibt: "Mir ist kein Glaubensbekenntnis einer christlichen
Konfession bekannt, dessen Haupt- und Zentralsatz heißt: Gott ist Liebe (1
Joh. 4.8). Dementsprechend sieht die Kirchen- und Konfessionsgeschichte
aus".
Zu einer solchen Aussage, die zu den unverzichtbarsten gehört, ist es also
nicht gekommen. Warum gerade der "allmächtige Vater"? Man könnte darin -
ohne daß es ausgesprochen wird - ein politisches Motiv vermuten. Bei
den ersten Konzilien spielten die Politiker und Militärs eine einflußreiche
Rolle. Die Kirche war damals dabei, sich als "Staatskirche" zu etablieren
und Einfluß zu gewinnen. Hinzu kam die politisch-religiöse Ambition, das
damals noch heidnische Europa mit den vielen Göttern und Kultstätten zu
erobern und zu christianisieren. Um solche Götter vom Thron stoßen zu
können, bedurfte es eines "allmächtigen Gottes", der über allen anderen
stand und triumphierte.
Für die Missionierung der Völker war die Allmacht Gottes genau das
richtige Motiv, um Menschen auf seine Seite zu ziehen - was umso mehr
gelang, als mit militärischer Überlegenheit nachgeholfen werden konnte.
Symbole der Allmacht wurden darauf hin geschaffen: Kirchen, Kathedralen,
Klöster... Bis in die christliche Missionsarbeit der Jetztzeit wird diese
Tradition fortgesetzt. In Afrika und Lateinamerika - mitten in Busch und
Urwald - sind solche Symbole zu sehen. Die Moslems machen es bis heute den
Christen nach: in den Ländern ihres Einflußbereiches und in den
Lebenszentren "ihrer Welt" müssen die Moscheen die größten, schönsten und
überragendsten sein.
Im Glaubensbekenntnis der Christen wird über solche Motivation nicht
gesprochen. Ein anderer Grund wird angegeben: Schöpfer des Himmels und
der Erde. Naturverbundene Menschen und Völker schauen auf das, was sie
in ihrem unmittelbaren Umfeld als lebenswichtig ansehen; was die Natur
bietet und darstellt. Alles zusammen genommen und jedes Detail werden dabei
gewaltig und groß: der Aufgang und Niedergang der Sonne; die Gezeiten von
Ebbe und Flut; die Pracht der leuchtenden Sterne; das Gezwitscher der Vögel
und das Brüllen der wilden Tiere; das Gedeihen der Früchte des Feldes; der
Wechsel der Jahreszeiten...
Bereits das Alte Testament, auf den ersten Seiten des Buches Genesis, macht
sich Gedanken darüber: Gott, der Schöpfer ist es, der alles geschaffen hat!
Denn alles Geschaffene muß eine Erst-Ursache haben. Wer könnte es anders
sein als der "allmächtige Gott"? So schildert das AT - aus der Sicht der
damaligen Zeit - das Schöpfungswerk innerhalb von acht Tagen. Als Gipfel
dieser Schöpfung wird der Mensch genannt: Adam und Eva als "Ebenbilder
Gottes", als von Gott Begabte, Gesegnete, mit göttlichen Gaben und
Fähigkeiten Ausgestattete.
Bei solchen Aussagen melden sich heute massive Zweifel an. Vielleicht
hat es sie latent schon immer gegeben. Aber heute melden sich vermehrt die
Stimmen zu Wort, die freimütig und angstlos ihre Fragen stellen und Zweifel
anmelden. Die einen beziehen sich auf die Begriffe "Schöpfer und
Schöpfung". Darf man sie überhaupt noch in den Mund nehmen?
Für die Naturwissenschaft und für ganze heranwachsende Generationen sind
Urknall und Evolution unverrückbare Bestandteile ihres Vokabulars
geworden. Was "am Anfang" geschehen ist, passierte nicht durch die Hand
eines Schöpfers in acht Tagen, sondern in unvorstellbar langen Zeiträumen.
Von Milliarden von Lichtjahren ist da die Rede. Ebenso vom Ur-Chaos statt
von einem ursprünglichen Paradies; von der evolutiven Selbstorganisation des
Lebens statt von einer Schöpferhand; von der Ungewißheit in der Frage nach
Zeit und Ort des Auftauchens der ersten Menschen statt von einem einzigen
"idealen Menschenpaar".
Die Vorstellung "der Alten" und die Aussagen der Bibel sind also
offensichtlich längst überholt. Sie schaffen bei jüngeren und
aufgeschlossenen Menschen ein inhaltliches Vakuum, das umso größer wird, je
mehr solche Bilder und Vorstellungen weiter verbreitet werden.
Die andere Stoßrichtung der Zweifel zielt auf die Allmacht selbst.
Wie kann die Allmacht Gottes so viel Elend, Not und Haß, Kriege,
Vergewaltigungen an Frauen und Kindern, Naturkatastrophen... zu- lassen? Wie
kann er Menschen als seine "Ebenbilder" schaffen, die zu so vielen
Niederträchtigkeiten fähig sind? Gestalten wie Stalin, Hitler und andere
haben die Einsicht auf den Gipfel getrieben, daß eben doch nicht alles gut
war, was der Schöpfer am Anfang aller Dinge als "gut" deklarierte(Gen 1.31).
Diese und viele andere Anfragen bewegen heute die Menschen. Ebenso die
noch-christlich-sein-wollenden Anhänger der biblischen Botschaft. Aus
heutigem naturwissenschaftlichem Verständnis der Weltentstehung heraus
scheint es vordringlich angebracht, nicht mehr unvoreingenommen von
"Schöpfung" zu reden. Hier handelt es sich, um es gelinde zu sagen, um einen
problematischen Begriff. Auch das Wort vom "allmächtigen Vater" klingt
vollmundig und selbstbewußt, "ohne Beweise". Es wirkt irritierend.
Andererseits steht die Tatsache fest, daß sich Menschen nie mit rein
naturwissenschaftlichen Erklärungen der Welt zufrieden gegeben haben. Bei
ihnen kann man schlüssig nicht mehr von "Gottesbeweisen" reden. Dennoch ist
das tiefe Sehnen, Ahnen und Hoffen nach einem "ganz Anderen" (Horkheimer)
unverkennbar. Die Frage nach dem Sinn allen Geschehens und damit auch
des eigenen Lebens hat die Menschheit nie in Ruhe gelassen, wenn sie auch
nie endgültig beantwortet wurde. So ist und bleibt es wohl die Aufgabe des
Menschen und des Menschengeschlechtes, den letzten Geheimnissen des Lebens
fragend und suchend auf der Spur zu bleiben und sich damit abzufinden, daß
stets vorläufig gefundene Antworten und Erklärungen nie endgültig
sind; daß sie vorläufig bleiben müssen als Anregung dafür, auf der
Suche zu bleiben.
Vielleicht besteht die eigentliche "Sünde" bisheriger Theologie und des
Lehramtes darin, dogmatisch-unverrückbare Antworten zu geben auf Fragen, die
nie entgültig erledigt sind und sein können. Viel tragfähiger und
akzeptabler wäre es zu sagen, daß alles theologische Reden zu allen Zeiten
einen "Sitz im Leben der Leute von damals" hatte. Aus deren Frage- und
Erfahrungshorizont heraus haben sie für sich "entgültige Antworten" gefunden
insofern, als sie damit leben konnten. In anderen Lebenszusammenhängen
werden diese aber wieder fragwürdig, so daß neue Überlegungen angebracht
sind. Indem heutige Menschen frühere Deutungsmodelle aus deren Zeit heraus
durchaus ernst zu nehmen lernen, müssen sie aber auch den Mut aufbringen zu
eigenen Fragen und Antworten. Die Unfähigkeit dazu nannte das Mittelalter
die Sünde wider das Wirken des heiligen Geistes oder auch die
ungebührliche Vorwegnahme des Endgültigen, was nach wie vor eher mit
menschlicher Arroganz als mit Klugheit in Verbindung gebracht werden muß.
So scheint es im Spektrum naturwissenschaftlichen Denken durchaus möglich,
an die Existenz einer "Allmacht" zu glauben, die zielstrebig und
schöpferisch das Geschehen der Evolution zu allen Zeiten mitbestimmt. In der
heutigen pluralen Welterfahrung wird diese Urkraft Urenergie genannt
oder göttlicher Urgrund aller Dinge, oder auch Nirvana und
göttliches Urmeer, aus dem alles hervorgeht und zu dem alles
zurückkehrt.
Bei solchen gängigen und für viele "einsichtigen" Erklärungen wird leider
allzu oft vergessen, daß sich im Strom solch menschlicher Modellversuche
auch ein personales Gottesverständnis entwickelt hat. So im Judentum,
im Christentum und Islam. In diesen Weltreligionen spielt bei allen
Überlegungen die Würde des Menschen und seine personale Verantwortung eine
herausragende Rolle. Wenn nämlich Gott als Person bei allem
evolutiven Geschehen ein Rolle spielt - sozusagen als Licht in der
Dunkelheit, als Ordner im Chaos, als Schöpfer zu Neuem in allen
Katastrophen, als Erlöser in einer zu erlösenden Welt, als Heiler in allen
Heillosigkeiten des Lebens - , dann ist der Mensch als Person nicht
nur einfach Zuschauer; nicht einfach ein Spielball fatalistischer
Ereignisse, sondern ein Aufgerufener, ein persönlich Angesprochener, ein
schöpferischer und vielseitig begabter Mitgestalter an allem Geschehen.
Wo immer er als Geschöpf, welches "nicht ganz Licht ist" (Haecker), zu
Unheil und Niederträchtigkeit fähig ist und bleibt, da ist es nicht Gott,
"der das alles zuläßt", sondern da wird der Mensch konfrontiert mit seinen
eigenen Unzulänglichkeiten; mit seiner Unfähigkeit, seine Würde und
schöpferische Begabung konstruktiv zum Zuge kommen zu lassen. So sind jedes
vom Menschen verursachte Unglück wie auch jede Naturkatastrophe Ereignisse
des kosmisch Unvollendeten. In jedem Unheil wird der Mensch konfrontiert mit
dem Ist-Zustand der Welt. Menschen werden zu der Einsicht verleitet,
wo sie - bei allem Können - "dran" sind mit sich selbst. Ebenso zu der
Einsicht, unfähig zu sein, die Welt aus dem Zustand der Unerlöstheit zu
befreien.
Bei religiös denkenden Menschen wächst dabei die Hoffnung, daß es einen
gibt, der Menschen-Unmögliches vermag, wenn auch erst in langen Zeiträumen
oder am Ende der Welt. Diese Hoffnung macht nicht resignativ oder passiv,
sondern sie stärkt den Menschen zu eigener Pflicht und Verantwortung. Den
Christen stehen dabei biblische Bilder vor Augen: das Bild vom Sähmann, von
der Saat, vom Licht, vom Sauerteig - Motivationen, die Mut machen zu
heilsamem Wirken.
Dennoch läßt die Frage, wie die Idee Gottes vom Menschen als "Sein Ebenbild"
in der Geschichte Wirklichkeit geworden ist, oft nur traurige Antworten zu.
Im Blick auf die Wirklichkeit der Welt und auf den Zustand des Menschen wäre
es öfter besser, nicht vom "Ebenbild" und von der "Krone der Schöpfung" zu
sprechen. Solche Vorstellungen sind bisweilen wie der Schein der Sonne, der
nur kurze Zeit durch die Wolken bricht, um dann wieder in Dunst und Nebel zu
verschwinden. Eugen Roth hat diesen Sachverhalt auf seine ihm eigene
humorvolle Weise zur Sprache gebracht:
Ach wie wäre alles gut,
hätt´ Gott am sechsten Tag geruht.
Er wär' nur kommen bis zum Affen.
Die Menschen blieben ungeschaffen.
Zusammenfassend könnte das Glaubensbekenntnis heutiger Menschen wie folgt
lauten:
Ich glaube und hoffe auf Gott, der seit dem Urknall die Evolution als
treibende Kraft begleitet und mitgestaltet. Er tut es "schöpferisch" zum
Heil aller: in der Liebe zu allem, was da wird und entsteht; bis zu der
barmherzigen Geduld gegenüber allen Versagens- und Unheilsgeschichten. Ich
glaube und hoffe auf Gott, daß er vollendet, was durch Menschenhand in der
Welt unvollendet bleibt...
Solche Perspektiven vieler Religionen sind Worte der Hoffnung, des Trostes,
der Ermutigung für jeden Menschen, der nicht aufhört, den Sinn der Welt zu
erforschen und begreifen zu lernen, "was die Welt im Innersten zusammenhält"
(Goethe). Nicht absolute Wahrheitsbehauptungen und Selbstbestätigungen sind
heute gefragt, sondern Offenheit und flexible Zukunftsgestaltung. Menschen
mit religiösen oder christlichen Einstellungen können und müssen dabei im
Glauben, Hoffen und Lieben gelassener, freier und selbstbewußter werden.
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