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Pater Fritz Köster
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56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Unglaublich, was Christen glauben (I).

Dezember 2003

Eine in früheren Jahrhunderten verständliche und gängige christlich-religiöse Sprach- und Symbolwelt gerät immer mehr in die Bedeutungslosigkeit. Das herkömmliche Reden über Gott und die Welt erweckt heute bereits bei jedem Schulkind und Jugendlichen Verständnislosigkeit und Ablehnung, sofern diese auch nur ansatzweise natur- bzw. humanwissenschaftlich "infiziert" sind. Bei aller "religiösen Unterweisung" wächst die Kluft zwischen Erlerntem und Erlebtem. In der Schule wird diese Kluft geradezu programmatisch vorangetrieben durch das Nebeneinander von naturwissenschaftlichen Fächern und Religionsunterricht. Das Christentum gerät in der Jugendzeit bereits ins Abseits: "Fortsetzung" in Familie und Beruf. Muß es sich selbst aufgeben? Oder muß es seine "Substanz" in eine neue Sprache gießen, im Horizont heutigen Weltverständnisses neu buchstabieren? In den folgenden Beiträgen I. ff soll über zentrale Aussagen des Glaubensbekenntnisses nachgedacht werden.

I. Der "allmächtige Vater".

So steht es jedenfalls im 1. Artikel des Glaubensbekenntnisses. Dabei kann man spontan fragen: warum gerade diese Aussage? Hätte man im 4. Jahrhundert nicht ehrlicher und biblischer schreiben sollen: ich glaube an Gott, der die Liebe ist? Warum fehlt diese Aussage? Vielleicht hätte sie bei Menschen aller Jahrhunderte die Vorstellung wach gerufen , daß auch wir Menschen - "Ebenbilder Gottes" - auf Liebe hin angelegt sind. Vielleicht wäre die Geschichte der Kirche anders verlaufen. Es hätte keine Kreuzzüge und Religionskriege gegeben, kein Inquisitionen und Ketzerverbrennungen, keine Diskriminierung von Frauen und religiös Andersdenkenden. In allen Dingen wäre nach der Praxis der Liebe gefragt worden...

Der Schweizer Dichter und Schriftsteller Kurt Marti sieht es ähnlich, wenn er schreibt: "Mir ist kein Glaubensbekenntnis einer christlichen Konfession bekannt, dessen Haupt- und Zentralsatz heißt: Gott ist Liebe (1 Joh. 4.8). Dementsprechend sieht die Kirchen- und Konfessionsgeschichte aus".

Zu einer solchen Aussage, die zu den unverzichtbarsten gehört, ist es also nicht gekommen. Warum gerade der "allmächtige Vater"? Man könnte darin - ohne daß es ausgesprochen wird - ein politisches Motiv vermuten. Bei den ersten Konzilien spielten die Politiker und Militärs eine einflußreiche Rolle. Die Kirche war damals dabei, sich als "Staatskirche" zu etablieren und Einfluß zu gewinnen. Hinzu kam die politisch-religiöse Ambition, das damals noch heidnische Europa mit den vielen Göttern und Kultstätten zu erobern und zu christianisieren. Um solche Götter vom Thron stoßen zu können, bedurfte es eines "allmächtigen Gottes", der über allen anderen stand und triumphierte.

Für die Missionierung der Völker war die Allmacht Gottes genau das richtige Motiv, um Menschen auf seine Seite zu ziehen - was umso mehr gelang, als mit militärischer Überlegenheit nachgeholfen werden konnte. Symbole der Allmacht wurden darauf hin geschaffen: Kirchen, Kathedralen, Klöster... Bis in die christliche Missionsarbeit der Jetztzeit wird diese Tradition fortgesetzt. In Afrika und Lateinamerika - mitten in Busch und Urwald - sind solche Symbole zu sehen. Die Moslems machen es bis heute den Christen nach: in den Ländern ihres Einflußbereiches und in den Lebenszentren "ihrer Welt" müssen die Moscheen die größten, schönsten und überragendsten sein.

Im Glaubensbekenntnis der Christen wird über solche Motivation nicht gesprochen. Ein anderer Grund wird angegeben: Schöpfer des Himmels und der Erde. Naturverbundene Menschen und Völker schauen auf das, was sie in ihrem unmittelbaren Umfeld als lebenswichtig ansehen; was die Natur bietet und darstellt. Alles zusammen genommen und jedes Detail werden dabei gewaltig und groß: der Aufgang und Niedergang der Sonne; die Gezeiten von Ebbe und Flut; die Pracht der leuchtenden Sterne; das Gezwitscher der Vögel und das Brüllen der wilden Tiere; das Gedeihen der Früchte des Feldes; der Wechsel der Jahreszeiten...

Bereits das Alte Testament, auf den ersten Seiten des Buches Genesis, macht sich Gedanken darüber: Gott, der Schöpfer ist es, der alles geschaffen hat! Denn alles Geschaffene muß eine Erst-Ursache haben. Wer könnte es anders sein als der "allmächtige Gott"? So schildert das AT - aus der Sicht der damaligen Zeit - das Schöpfungswerk innerhalb von acht Tagen. Als Gipfel dieser Schöpfung wird der Mensch genannt: Adam und Eva als "Ebenbilder Gottes", als von Gott Begabte, Gesegnete, mit göttlichen Gaben und Fähigkeiten Ausgestattete.

Bei solchen Aussagen melden sich heute massive Zweifel an. Vielleicht hat es sie latent schon immer gegeben. Aber heute melden sich vermehrt die Stimmen zu Wort, die freimütig und angstlos ihre Fragen stellen und Zweifel anmelden. Die einen beziehen sich auf die Begriffe "Schöpfer und Schöpfung". Darf man sie überhaupt noch in den Mund nehmen?

Für die Naturwissenschaft und für ganze heranwachsende Generationen sind Urknall und Evolution unverrückbare Bestandteile ihres Vokabulars geworden. Was "am Anfang" geschehen ist, passierte nicht durch die Hand eines Schöpfers in acht Tagen, sondern in unvorstellbar langen Zeiträumen. Von Milliarden von Lichtjahren ist da die Rede. Ebenso vom Ur-Chaos statt von einem ursprünglichen Paradies; von der evolutiven Selbstorganisation des Lebens statt von einer Schöpferhand; von der Ungewißheit in der Frage nach Zeit und Ort des Auftauchens der ersten Menschen statt von einem einzigen "idealen Menschenpaar".

Die Vorstellung "der Alten" und die Aussagen der Bibel sind also offensichtlich längst überholt. Sie schaffen bei jüngeren und aufgeschlossenen Menschen ein inhaltliches Vakuum, das umso größer wird, je mehr solche Bilder und Vorstellungen weiter verbreitet werden.

Die andere Stoßrichtung der Zweifel zielt auf die Allmacht selbst. Wie kann die Allmacht Gottes so viel Elend, Not und Haß, Kriege, Vergewaltigungen an Frauen und Kindern, Naturkatastrophen... zu- lassen? Wie kann er Menschen als seine "Ebenbilder" schaffen, die zu so vielen Niederträchtigkeiten fähig sind? Gestalten wie Stalin, Hitler und andere haben die Einsicht auf den Gipfel getrieben, daß eben doch nicht alles gut war, was der Schöpfer am Anfang aller Dinge als "gut" deklarierte(Gen 1.31).

Diese und viele andere Anfragen bewegen heute die Menschen. Ebenso die noch-christlich-sein-wollenden Anhänger der biblischen Botschaft. Aus heutigem naturwissenschaftlichem Verständnis der Weltentstehung heraus scheint es vordringlich angebracht, nicht mehr unvoreingenommen von "Schöpfung" zu reden. Hier handelt es sich, um es gelinde zu sagen, um einen problematischen Begriff. Auch das Wort vom "allmächtigen Vater" klingt vollmundig und selbstbewußt, "ohne Beweise". Es wirkt irritierend.

Andererseits steht die Tatsache fest, daß sich Menschen nie mit rein naturwissenschaftlichen Erklärungen der Welt zufrieden gegeben haben. Bei ihnen kann man schlüssig nicht mehr von "Gottesbeweisen" reden. Dennoch ist das tiefe Sehnen, Ahnen und Hoffen nach einem "ganz Anderen" (Horkheimer) unverkennbar. Die Frage nach dem Sinn allen Geschehens und damit auch des eigenen Lebens hat die Menschheit nie in Ruhe gelassen, wenn sie auch nie endgültig beantwortet wurde. So ist und bleibt es wohl die Aufgabe des Menschen und des Menschengeschlechtes, den letzten Geheimnissen des Lebens fragend und suchend auf der Spur zu bleiben und sich damit abzufinden, daß stets vorläufig gefundene Antworten und Erklärungen nie endgültig sind; daß sie vorläufig bleiben müssen als Anregung dafür, auf der Suche zu bleiben.

Vielleicht besteht die eigentliche "Sünde" bisheriger Theologie und des Lehramtes darin, dogmatisch-unverrückbare Antworten zu geben auf Fragen, die nie entgültig erledigt sind und sein können. Viel tragfähiger und akzeptabler wäre es zu sagen, daß alles theologische Reden zu allen Zeiten einen "Sitz im Leben der Leute von damals" hatte. Aus deren Frage- und Erfahrungshorizont heraus haben sie für sich "entgültige Antworten" gefunden insofern, als sie damit leben konnten. In anderen Lebenszusammenhängen werden diese aber wieder fragwürdig, so daß neue Überlegungen angebracht sind. Indem heutige Menschen frühere Deutungsmodelle aus deren Zeit heraus durchaus ernst zu nehmen lernen, müssen sie aber auch den Mut aufbringen zu eigenen Fragen und Antworten. Die Unfähigkeit dazu nannte das Mittelalter die Sünde wider das Wirken des heiligen Geistes oder auch die ungebührliche Vorwegnahme des Endgültigen, was nach wie vor eher mit menschlicher Arroganz als mit Klugheit in Verbindung gebracht werden muß.

So scheint es im Spektrum naturwissenschaftlichen Denken durchaus möglich, an die Existenz einer "Allmacht" zu glauben, die zielstrebig und schöpferisch das Geschehen der Evolution zu allen Zeiten mitbestimmt. In der heutigen pluralen Welterfahrung wird diese Urkraft Urenergie genannt oder göttlicher Urgrund aller Dinge, oder auch Nirvana und göttliches Urmeer, aus dem alles hervorgeht und zu dem alles zurückkehrt.

Bei solchen gängigen und für viele "einsichtigen" Erklärungen wird leider allzu oft vergessen, daß sich im Strom solch menschlicher Modellversuche auch ein personales Gottesverständnis entwickelt hat. So im Judentum, im Christentum und Islam. In diesen Weltreligionen spielt bei allen Überlegungen die Würde des Menschen und seine personale Verantwortung eine herausragende Rolle. Wenn nämlich Gott als Person bei allem evolutiven Geschehen ein Rolle spielt - sozusagen als Licht in der Dunkelheit, als Ordner im Chaos, als Schöpfer zu Neuem in allen Katastrophen, als Erlöser in einer zu erlösenden Welt, als Heiler in allen Heillosigkeiten des Lebens - , dann ist der Mensch als Person nicht nur einfach Zuschauer; nicht einfach ein Spielball fatalistischer Ereignisse, sondern ein Aufgerufener, ein persönlich Angesprochener, ein schöpferischer und vielseitig begabter Mitgestalter an allem Geschehen.

Wo immer er als Geschöpf, welches "nicht ganz Licht ist" (Haecker), zu Unheil und Niederträchtigkeit fähig ist und bleibt, da ist es nicht Gott, "der das alles zuläßt", sondern da wird der Mensch konfrontiert mit seinen eigenen Unzulänglichkeiten; mit seiner Unfähigkeit, seine Würde und schöpferische Begabung konstruktiv zum Zuge kommen zu lassen. So sind jedes vom Menschen verursachte Unglück wie auch jede Naturkatastrophe Ereignisse des kosmisch Unvollendeten. In jedem Unheil wird der Mensch konfrontiert mit dem Ist-Zustand der Welt. Menschen werden zu der Einsicht verleitet, wo sie - bei allem Können - "dran" sind mit sich selbst. Ebenso zu der Einsicht, unfähig zu sein, die Welt aus dem Zustand der Unerlöstheit zu befreien.

Bei religiös denkenden Menschen wächst dabei die Hoffnung, daß es einen gibt, der Menschen-Unmögliches vermag, wenn auch erst in langen Zeiträumen oder am Ende der Welt. Diese Hoffnung macht nicht resignativ oder passiv, sondern sie stärkt den Menschen zu eigener Pflicht und Verantwortung. Den Christen stehen dabei biblische Bilder vor Augen: das Bild vom Sähmann, von der Saat, vom Licht, vom Sauerteig - Motivationen, die Mut machen zu heilsamem Wirken.

Dennoch läßt die Frage, wie die Idee Gottes vom Menschen als "Sein Ebenbild" in der Geschichte Wirklichkeit geworden ist, oft nur traurige Antworten zu. Im Blick auf die Wirklichkeit der Welt und auf den Zustand des Menschen wäre es öfter besser, nicht vom "Ebenbild" und von der "Krone der Schöpfung" zu sprechen. Solche Vorstellungen sind bisweilen wie der Schein der Sonne, der nur kurze Zeit durch die Wolken bricht, um dann wieder in Dunst und Nebel zu verschwinden. Eugen Roth hat diesen Sachverhalt auf seine ihm eigene humorvolle Weise zur Sprache gebracht:

Ach wie wäre alles gut,
hätt´ Gott am sechsten Tag geruht.
Er wär' nur kommen bis zum Affen.
Die Menschen blieben ungeschaffen.


Zusammenfassend könnte das Glaubensbekenntnis heutiger Menschen wie folgt lauten:
Ich glaube und hoffe auf Gott, der seit dem Urknall die Evolution als treibende Kraft begleitet und mitgestaltet. Er tut es "schöpferisch" zum Heil aller: in der Liebe zu allem, was da wird und entsteht; bis zu der barmherzigen Geduld gegenüber allen Versagens- und Unheilsgeschichten. Ich glaube und hoffe auf Gott, daß er vollendet, was durch Menschenhand in der Welt unvollendet bleibt...

Solche Perspektiven vieler Religionen sind Worte der Hoffnung, des Trostes, der Ermutigung für jeden Menschen, der nicht aufhört, den Sinn der Welt zu erforschen und begreifen zu lernen, "was die Welt im Innersten zusammenhält" (Goethe). Nicht absolute Wahrheitsbehauptungen und Selbstbestätigungen sind heute gefragt, sondern Offenheit und flexible Zukunftsgestaltung. Menschen mit religiösen oder christlichen Einstellungen können und müssen dabei im Glauben, Hoffen und Lieben gelassener, freier und selbstbewußter werden.


Letzte SeitenÄnderung: 02.03.2011.
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