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Unglaublich, was Christen glauben (III).
Januar 2004
Das Christentum versteht sich als "frohe
Botschaft". Vieles spricht dafür. Z.B. Weihnachten gibt
besonders Anlaß dazu. Da ist beim Evangelisten Lukas von den
Engeln die Rede, die das "Gloria in excelsis" singen. Boten
Gottes verkünden mit der Geburt Jesu den "Frieden auf Erden". Die Ereignisse
aber, die im Leben Jesu folgen, sind alles andere als "fröhlich" und
ermutigend: das banale Alltagsleben in Nazaret; das Wanderpredigen in
Galiläa mit dem Auf und Ab des Erfolges und der Zuhörerschaft; die wachsende
Gegnerschaft und Feindschaft besonders auf Seiten der religiös und politisch
Einflußreichen; schließlich der Tod am Kreuz wie der eines Verbrechers...
Alles das weist eher auf eine anstrengende und für viele Menschen skandalöse
Botschaft hin. Das naive und voreilige Reden über die "frohe Botschaft"
könnte von Heutigen leicht als "Köder" empfunden werden, mit dem sie
vereinnahmt und in Anspruch genommen werden sollen. Aus dem "Köder" wird
dann unversehens ein Kater. Worum geht es bei dieser Botschaft wirklich?
III. Das Christentum: eine Botschaft mit "langem Atem".
1. Die Hoffnung auf Heil und Erlösung.
Die Zeitgenossen Jesu waren in mancher Hinsicht uns Heutigen sehr ähnlich.
Manche Gedanken und Wunschvorstellungen spukten (wie heute) in ihren Köpfen
herum. Zwei seien hier herausgegriffen: Ihr erster Gedanke lautete:
"Die Welt kann nicht so bleiben wie sie ist". Tatsächlich gab es damals auch
Kriege, Konflikte, Egoismen, Streitigkeiten, Unversöhnlichkeiten, Haß... im
Großen des Weltgeschehens wie auch in den Lebensräumen der "kleinen Leute" -
also die Erfahrung: die Welt ist erlösungs- und heilbedürftig!
Daraus erwuchs der zweite Gedanke: Weil die Welt und die Menschen so
sind, wie sie sind und kaum über ihren Schatten zu springen vermögen, bedarf
es eine Erlösers, eines mächtigen Messias.
So war die Erwartung auf das Kommen des Messias groß. Man stellte sich sein
Kommen vor mit großer Macht und Herrlichkeit. Mit ihm verband sich die
Hoffnung, daß er die Welt "heil" machen würde. Er würde seine Feinde aus dem
Land vertreiben und seine Gegner zunichte machen. Er würde ein Land und eine
Ordnung schaffen, die von Milch und Honig fließen. Es würde keine Krankheit
mehr geben, keine Not und kein Elend. Friede und Gerechtigkeit würden das
Leben in seinem Reich bestimmen...
2. Das Schockierende und schwer Verkraftbare des Faktischen.
Dabei wurde die Botschaft schnell zu einer Provokation, wenn man einmal von
den wenigen absieht, die damals nach Betlehem zur Krippe eilten. Da war die
Geburt des "Messias" in der Niedrigkeit eines Stalles; da waren die Hirten
auf dem Feld - gesellschaftlich angesehen als die "letzten Menschen"; da war
die Rede vom "Frieden in der Welt", von der "neuen Gerechtigkeit" und
"Eintracht" unter den Menschen - eine Botschaft, die von einem "Messias im
Stall" wohl kaum in bare Münze umgesetzt werden konnte und sollte...
Wilhelm Busch hat Recht, wenn er schreibt: "Hätt einer auch fast mehr
Verstand/ als wie die drei Weisen aus dem Morgenland/ und Liebe sich dünken,
er wär wohl nie/ dem Sternlein nachgereist wie sie...".
Tatsächlich trat etwas Unerwartetes zutage: die Botschaft richtete sich
nicht an einige wenige, die viel von sich hielten und bei einem mächtigen
Messias naturgemäß die ersten Plätze einnehmen wollten. Die Botschaft galt
nicht primär Angehörigen einer bestimmten Religion, sondern allen Menschen
"seiner Huld und guten Willens" - womit wohl alle gemeint waren, die
begriffen, worum es in Zukunft gehen sollte: um den Frieden und das Heil der
ganzen Welt.
Die gesamte Schöpfung, so wie sie (geworden) war, war also der eigentliche
Adressat. Wenn Gott aber das Ganze im Blickfeld hatte, dann mußte er auch
dafür sorgen, daß Menschen in allen Völkern, Kulturen, Rassen und
Konfessionen diese Botschaft vernahmen; die zudem - weil der Messias nicht
einfach alles "macht" - bereit und fähig waren, sich in den kleinen und
größeren Schritten des Lebens, in den konkreten Herausforderungen des
Alltags für den Frieden und die "größere Gerechtigkeit" einzusetzen. Denn
das, was da in Betlehem begonnen wurde und dem eine große Zukunft verheißen
war, war einem Senfkorn vergleichbar, dem Sauerteig, einem in die Erde
gefallenen Samen, die langsam und beständig ihre Kraft entfalten.-
Seitdem haben dies viele Christen, aber auch viele "Nichtchristen"
begriffen. Man kann mit Recht von "heiligen Heiden" sprechen, die es in
allen Völkern und Religionen immer wieder gibt: im Judentum, Christentum,
Islam, Hinduismus, Buddhismus... Würden sie sich zusammentun, statt
versteinerte Minen aufzusetzen, wenn es um theologische Rechthabereien und
"einzig wahre Glaubensbekenntnisse" geht - die Welt könnte sich im Sinne
dieser Botschaft entscheidend positiv verändern.
3. Die Sehnsucht nach selbstgemachten "Messiassen".
Weil es sich bei dieser Botschaft um einen langen Atem (Gottes) handelt;
weil darin das Zupacken und Handanlegen jedes Menschen gefordert wird, ist
die Versuchung bis heute groß geblieben, sich "Messiasse" nach eigener
Vorstellung zu fabrizieren. In der heutigen säkularisierten Gesellschaft
heißt der erste selbstgemachte Messias "Staat". Er hat viele Namen:
Wohlfahrtsstaat, Verteilerstaat, Sozialstaat, Fortschrittsstaat... Hinter
allen diesen Bezeichnungen verbirgt sich die Vorstellung: Staat und
Regierung kümmern sich um alles: um Gesundheit, Arbeit, Freizeit, um Konsum-
und Wirtschaftsgüter...
Leider haben die Regierungen allzu oft alles getan, um diese Erwartungen in
Parolen und Programmen zu verstärken - allein schon um ihrer eigenen
Machterhaltung willen. Bis dann die Ernüchterung und das große Erwachen
kommen. Dann werden die einzelnen stärker als je zuvor zur Kasse gebeten,
zur Eigeninitiative und zur Selbstversorgung aufgefordert. Staats- und
Parteienverdrossenheit werden zu normalen Reaktionen derjenigen, bei denen
sich der selbstgemachte Messias "Staat" als große Illusion erweist.
Der andere selbstgemachte Messias heißt "Kirche" bzw.
"Konfession". Leider haben sich diese auch immer wieder an Menschliches,
allzu Menschliches angepaßt, vielleicht auch um der Selbsterhaltung und des
eigenen Prestiges willen (?). So wird von "Angebotskirche" geredet, von
"Lebenswendekirche", von "Papst- und Bischofskirche"; man praktiziert
"Seelenmassagekirche"...
Solche Konstellationen erwecken den Eindruck: da gibt es die "Macher" von
Religion und Glaube. Man muß sich ihnen nur gläubig anvertrauen, ihnen treu
und gehorsam Gefolgschaft leisten, um so des (ewigen) Heiles sicher sein zu
können.-
Auch dieses Konzept erweist sich heute als folgenschwere Illusion. Es zeigt
sich weltweit: die Kirche(n) ist in vielen Bereichen und Breiten ziemlich am
Ende. Kirchenverdrossenheit breitet sich aus. Wenn "Kirche" überhaupt noch
ins Bewußtsein rückt, dann höchstens zu bestimmten Anlässen: 1x im Jahr an
Weihnachten, zur Taufe eines Kindes oder zur Firmung bzw. Konfirmation. Auch
die Hochzeit mit kirchlich-feierlichem "background" scheint noch
erstrebenswert - mit abnehmender Tendenz.
Leider hat "Kirche" bzw. haben bestimmte Etablierte und Auserwählte in ihr
alles getan, um - wie von einem Supermarkt - von sich reden zu machen: als
eine breit angelegte Palette von "religiösen Angeboten", verbunden mit der
Aufforderung: man bediene sich da, wo sich ein "religiöses Bedürfnis"
meldet...
4. Wo die große Zukunft geboren wurde...
In der heutigen Krisenzeit ist die Einsicht überlebensnotwendig, daß es sich
im Christentum nicht um eine Botschaft handelt, die es von einigen
"Auserwählten" zu verwalten und weiterzugeben gilt. Wenn "Kirche" auf
Zukunft hin wieder eine Chance bekommen will, muß sie sich aus den eigenen
selbstgestrickten Fesseln befreien. Sie heißen:
hierarchisch-patriarchalisches "Auserwähltsein" von wenigen gegenüber den
vielen; theologische Rechthabereien und absolute Wahrheitsansprüche;
liturgische und rituelle Selbstinszenierungen und seien sie noch so
"feierlich" und "herzergreifend"; Selbstinsolierung in Sprache und Lehre im
Blick auf das, was Menschen in ihren Lebenslagen bewegt und erschüttert.-
Eine gemeinsame Besinnung aller Gutwilligen, auch der Geringsten auf
das, worauf es wirklich ankommt, tut not. Dabei darf keiner von vorneherein
ausgeschlossen und isoliert werden. Die Gaben, Fähigkeiten und aller von
Gott gegebenen Qualitäten gilt es einzubinden bei der Frage, welche Inhalte
wirklich wichtig sind und mit welchen konkreten Schritten sie zu
verwirklichen sind? Existenziell geht es darum, wie die Worte und Taten Jesu
weitergehen können?
Dabei muß das Schockierende des Anfangs wieder voll zur Geltung
kommen. Es bestand ja darin, daß die Botschaft von den einfachen Leuten
zuerst aufgenommen und verstanden wurde. Man könnte einen Irrtum Gottes
darin vermuten, daß die Hirten und später einfache Handwerker, Fischer und
Frauen die ersten Kundschafter dieser Botschaft wurden, nicht Theologen,
Rechtsgelehrte und Amtsträger. So war es am Anfang. So blieb es bis ans Ende
- im Augenblick des Todes am Kreuz. Klaus Hemmerle hat diesen
"Irrtum" richtig zu stellen verstanden, wenn er schreibt: "Der Stern hat
sich nicht geirrt, als er stehenblieb über dem Haus der kleinen Leute: dort
ist die große Zukunft geboren".
Wenn man das Auf und Ab des Christentums seit 2000 Jahren zu überblicken
versucht, so hat sich dieser Satz immer wieder bewahrheitet. Es waren
meistens die "kleinen Leute", von denen krisenbewältigende
Erneuerungsprozesse ausgingen; es waren und sind bis heute die "kleinen
Leute", die den Grundanliegen des Evangeliums in Wort und Lebensstil treu
blieben - allen Stürmen und Verfolgungen bewegter Zeiten standhaltend; es
waren und sind die "kleinen Leute", deren Leben und Verhalten christliche
Substanz mehr zum Leuchten brachten als das prachtvolle Gehabe von
Einflußreichen und Mächtigen; es waren und sind die "kleinen Leute", die
Sammlungen und Hilfsprogramme für Menschen in Not garantieren; es waren und
sind die "kleinen Leute", die die besten Garanten bleiben für die Weitergabe
der Botschaft an kommende Generationen.
Allerdings Faktum ist auch, daß den "kleinen Leuten" der unmittelbare Zugang
zur Botschaft versperrt werden kann: durch Hecken und Mauern gekonnter
Wichtigtuerei, durch akademische Bevormundung und lehramtliche
Zurechtweisung. Das Tragische und Komische der Geschichte wird deshalb immer
wieder eine Notwendigkeit sein, wie sie der Evangelist Lukas
beobachtet: "Er erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht über alle, die ihn
fürchten... Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Die
Hungernden beschenkt er mit seinen Gaben und läßt die Reichen leer
ausgehen"(1.50ff).-
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