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Pater Fritz Köster
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Unglaublich, was Christen glauben (IV).

Februar 2004

Kann man heute noch glauben - im Zeitalter umwälzender neuer Erkenntnisse in Human- und Naturwissenschaften? Was heißt überhaupt "glauben"? Die Kirchen haben darauf Antworten gegeben: Glaube ist eine Gottesgabe; ein Geschenk; ein Geheimnis; ist Nicht-Wissen... Darüber hinaus haben sie klare und eindeutige Glaubensbekenntnisse vorgelegt. Sie sollen offensichtlich dazu dienen, Unsicherheiten in Fragen des Glaubens zu beseitigen. Aber je mehr der Wille zu Sicherheit und Eindeutigkeit vorherrschend wird, desto unsicherer scheinen viele in Fragen des Glaubens zu werden - so als gehörten zum Glauben weniger feste Sätze und Sicherheiten als vielmehr Fragen, Zweifel, Ungewißheit und Wagnis. Außerchristliche bzw. archaische Formen des Glaubens bestätigen es. Je mehr Unsicherheiten und Zweifel "amtlich" genommen werden, je mehr bohrende Fragen und Nachfragen verhindert werden, desto eher schwindet die Fähigkeit zum Glauben.

Glaubensbekenntnisse also: zum Lernen, Aufsagen, Nachbeten und zum äußeren Zusammenhalt christlicher Gemeinden gut, fürs Glauben-Lernen aber schlecht, geradezu tödlich? Vieles weist darauf hin. Glaubenssätze und -formeln werden als "theologische Spekulation" entlarvt, als Selbstbehauptungsstrategien gegenüber Andersdenkenden, als nichtssagende Worthülsen ohne nennenswerte Wirkung im Leben...

In Zeiten der Zweifel und neu sich stellender Fragen wird Eines deutlich: die Antwort auf die Frage nach den Möglichkeiten des Glaubens kann nie ein für allemal gegeben werden...


IV. Unglaublich: der Glaube selbst.

1.  Die Frage nach Glaube und Religion - uralt wie die Menschheit selbst.

In der Frage nach "Religion" und "Glaube" herrscht heute eine seltsame Unsicherheit. Auf der einen Seite wenden sich viele vom herkömmlichen "Kirchenglauben" ab. Glaube als "Nichtwissen" gilt als zu wenig. Und Glaube als "Für-wahr-halten" dessen, was die Kirchen zu glauben lehren und feiern, scheint zu selbstsicher, zumal konkurrierende Anschauungen den religiösen Markt heute überschwemmen. Auf der einen Seite also Zweifel und Unglaube, auf der anderen Seite bezeichnen sich mehr Menschen als erwartet als "religiös" - ein Empfinden, welches eher dem Bereich des Ahnens, Hoffens, Sich-Sehnens nach einem "ganz Anderen" (Horkheimer) zuzuordnen ist, weniger einen theologischen bzw. weltanschaulichen System.

Gerade diese Tatsache weckt die Vermutung, als wäre wieder etwas im Kommen, welches man als archaisches Verständnis von Religion und Glaube bezeichnen könnte. Im Menschen scheint es so etwas wie Archetypisches zu geben, welches nach einem "ganz Anderen" Ausschau hält. Wo herkömmlich verfaßte Religionen versagen, da bricht Ureigenes wieder auf: die von früheren Weisheitslehrern beschriebene religiöse Veranlagung im Menschen: die "anima naturaliter religiosa/christiana".

Tatsächlich gibt es so etwas wie eine uralte Menschheitsfrage nach Religion und Transzendenz. Sie ist so alt wie die Menschheit selbst. Man könnte von einer existentiell angelegten "religiösen Begabung" des Menschen sprechen. Ihr charakterisches Merkmal besteht nicht nur darin, daß es sie seit Menschengedenken gibt, sondern auch in der nüchternen Tatsache, daß sie bis heute nie endgültig beantwortet wurde. Wer behauptet, endgültige Antworten für immer gefunden zu haben, muß im Umbruch der Zeiten scheitern oder sich eines Besseren belehren lassen.

Wenn es Antworten gab und gibt, waren sie immer nur zeit- und situationsbedingt relevant. Menschen einer bestimmten Zeit und Epoche konnten in ihrem Lebenskontext gut damit leben. Für sie gab es so etwas wie eine religiöse Interpretation der Welt und des menschlichen Lebens - so lange, bis Zweifel aufkamen und neue Fragen sich stellten.

Solche Zeiten des Sterbens des Alten und des eventuellen Neuanfangs werden gewöhnlich ausgelöst durch den Wandel von Lebensverhältnissen, infolge von Krankheiten, Kriegen, Naturkatastrophen, Lebenskrisen... Dann brechen auch Urängste auf, die das Leben beherrschen. In Grenzerfahrungen, die keinen Ausweg zu erlauben scheinen, melden sich Sehnsüchte, Ahnungen, Hoffnungen... nach einem "ganz Anderen", der über alles Menschliche hinaus zu retten und zu erlösen vermag. "Not lehrt beten", sagt der Volksmund. Sobald sich aber Rettung ankündigt; sobald Menschen wieder anfangen, "religiös" Halt und Sicherheit zu finden, können sie "staunende Wesen" werden: über neu gewonnene Einsichten, über die Schönheit der Natur und der Blumen, über die Pracht der leuchtenden Sonne am Morgen und die Erhabenheit eines feurigen Sonnenuntergangs.

Es ist auffallend in der religiösen Geschichte der Menschheit, daß in Krisen- und Umbruchszeiten immer wieder exemplarische Menschen (K. Jaspers) auftreten, die auf einen Neuanfang hoffen lassen. Als glaubwürdige Autoritäten werden sie Religionsstifter genannt, Seher, Propheten, Charismatiker, Heilige... In Naturreligionen sind es die Schamanen, Zauberer, Medizinmänner, denen religiöse Kompetenz zugesprochen wird. Ihnen allen ist gemeinsam, daß sie eine seismographische Sensibilität entwickeln für geschichtliche und menschliche Übergangsprozesse. Deshalb vermögen sie auch zu artikulieren und neu zu formulieren, was den Menschen unter den Nägeln brennt. Sie vermögen Mut und Hoffnung zu machen. Indem sie durch Worte und Taten Altes mit Neuem verbinden und geradezu verkörpern, gewinnen sie das Vertrauen ihrer Zeitgenossen. Ihrer "natürlichen Autorität" wachsen Kompetenz und Akzeptanz zu. Sie verkörpern ein Zweifaches: neu gewonnene Einsichten und Zukunfts-Aussichten; zudem wird an ihnen deutlich sichtbar, daß das, was sie vertreten und künden, auch lebbar ist. Man könnte sagen: der Erweis der Lebbarkeit macht ihre Lehre nachahmenswert.

Impulsgeber der Geschichte waren und sind in erster Linie wohl keine Wissenschaftler, Philosophen, "graue Theoretiker". Die oben Genannten leben am Puls der Zeit und vermögen so "Impulsgeber" zu sein. Würde ihre Lehre bzw. Lebensausrichtung nicht auch glaubwürdig verkörpert - sie würden schnell in Vergessenheit geraten. Nicht zuerst ihre "Lehre" wird für viele Menschen zur Aufforderung zu einem glaubwürdigen Leben, sondern die Glaubwürdigkeit ihres Lebens in Verbindung mit ihrer Lehre. Das lebendig Geschaute und Erfahrene wecken Vertrauen, das Gewicht der persönlichen Ausstrahlung und Standhaftigkeit.

In Zeiten religiöser Aufbrüche entwickelt sich eine Wechselseitigkeit zwischen religiösen Autoritäten und deren Anhängern. Durch Lehre und persönliches Zeugnis werben die einen um Gehör und Akzeptanz bei Fragenden und Suchenden; letztere ihrerseits finden neue Lebensinhalte in Übereinstimmung mit ihren Vorbildern. Glaube wird zu einer wachsenden Übereinstimmung des Glaubenden mit dem Verkünder des Glaubens. Sie gelingt nur dann, wenn sogar dem Geringsten Einsicht und Erkenntnis zuteil werden; wenn er ein sinnerfülltes Leben darin vermutet; wenn er den Glauben lernt an sich selbst, an seine eigene Rolle und Bedeutung im Leben.

Der Glaube an etwas ganz Anderes bzw. einen ganz Anderen hat immer, wenn er nicht zu einer Farce oder äußeren Fassade werden soll, mit wachsender Ich-Stärke zu tun, mit Selbstsicherheit und Mut zu eigener Kompetenz und Entscheidung. Selbst "primitive Religionen" weisen dem Einzelnen eine Rolle und Funktion im Ganzen der sozialen Ordnung zu.

Das bedeutet nicht immer "Gläubigkeit". Je erwachsener und mündiger der Mensch wird, desto entschiedener kann seine Weltsicht auch "ungläubig" ausfallen. Es gibt nicht nur eine religiöse Geschichte der Menschheit, auch eine a-religiöse. Letztere kann darin bestehen, daß sie sich einen äußeren religiösen Anschein gibt bzw. "Religiöses" durch freiwilliges/unfreiwilliges Mittun erzwingt - ohne persönliche Anteilnahme. Insofern gibt es viel Unglaube bei sog. "Gläubigen", möglicherweise viel Glaube bei "Ungläubigen".

In allen Religionen finden sich immer Beteiligte und Unbeteiligte, Engagierte und Mitläufer, Macher und Mitmacher, Überzeugte und Profitierende. Die Ursachen dafür liegen zum Teil in den Religionen selbst. Denn deren Antworten auf letzte Fragen sind immer nur zeitbedingt; sie bleiben anfällig für Zweifel und neue Fragen. Insofern gehören Wachsamkeit und geistige Reife zu jeder religiösen Entwicklung, weil in jeder Lebensphase die persönliche Entscheidungsfähigkeit auf dem Prüfstand steht. Dabei kann die Entscheidung zu jeder Zeit "religiös" oder "atheistisch" ausfallen. Weil Gott nicht "bewiesen" werden kann, lebt auch der religiöse Mensch immer nur aus der Erfahrung, daß es sich lohnt, so zu leben, als gäbe es einen Gott... Im religiösen Sinnhorizont lebt sich "positiver", hoffnungsvoller, perspektivenreicher, zukunftsorientierter, sinnerfüllter... Amerikanische Studien behaupten sogar: wer glaubt, lebt leichter und länger.-

2. Archaischer und christlicher Glaube.

Es käme einem verhängnisvollen Irrtum gleich zu behaupten, der christliche Glaube könne den archaischen in Vergessenheit geraten lassen. Jeder Glaube stirbt, welcher nicht aus seinen Wurzeln lebt. Diese heißen: Wachhalten des Fragens und Suchens; Glaubwürdigkeit seiner Autoritäten im konkreten Leben; Erweis der Lebbarkeit des Geglaubten; schließlich Stärkung des Glaubens an den Menschen selbst: an seine Fähigkeiten, Charismen und Grenzen...

Solche Strukturelemente müssen auch im Bereich des Christlichen dringend beibehalten werden. Sie erhalten den Glauben und seine "Sprache" menschennah und reformfähig. Darüber hinaus stellt sich die Frage nach der Christlichkeit des Glaubens. Diese muß zweifelsohne das entscheidend und unterscheidend Christliche zum Ausdruck bringen. Manche Bilder von Gott und Hoheitstitel für Christus erscheinen im religionswissenschaftlichen Spektrum heutiger Tage als nicht spezifisch christlich, obwohl sie in früheren Zeiten als "authentisch christlich" eingestuft wurden. So die Hoheitstitel für Christus als "König", als "Sohn Gottes", als "Heiland", als der "Geborene von einer Jungfrau", als "eine Person in zwei Naturen". Denn "Söhne Gottes" gab es auch in vorchristlichen Religionen; ebenso "Heilande" und Wundertäter. "Jungfrauengeburten" gab es auch in der Antike. Auch Buddha wurde von einer Jungfrau geboren...

Was die Frage nach Gott angeht, so scheint es im Blick auf heutige human- und naturwissenschaftliche Erkenntnisse angebracht, nicht zu vollmundig und selbstsicher über Gott zu reden. Unsere Zeit ist sehr sensibel für die Tatsache, daß jedes Atom und jeder Mensch in gewisser Hinsicht als "Geheimnis" erkannt werden. Ebenso Vorgänge in der Natur und im Kosmos. Da werden Gott bzw. der "ganz Andere", sofern es sie überhaupt gibt, auf eine neue Weise geheimnisvoll, unaussprechbar, namenlos, abgrundtief undenkbar durch menschliches Denken.

In früheren Zeiten konnten sich die Christen durchaus mit menschengemachten Bildern von Gott und mit Hoheitstiteln für Christus identifizieren. Heute können sie es nicht mehr. Im Maße dennoch daran festgehalten wird und diese tradiert werden, erweist sich das Christentum als eine rückwärtsgewandte Religion oder als ein "Angebot" auf dem Supermarkt des Angebote. Von daher wird es verständlich, daß Vieles in der kirchlich-dogmatischen Sprache als akademische Worthülsen, leere Formeln, als lehrreiche Verkrustungen empfunden wird. Man kann getrost darauf verzichten...

Auf die Frage, was zentral und an erster Stelle gesagt werden muß, wenn es um das christlich "Eigentliche" geht, kann man kaum noch auf herkömmlich Liebgewordenes verweisen. Auf Betlehem ist dann wohl an erster Stelle Bezug zu nehmen. Der unbekannte und unaussprechliche Gott bringt sich als Mensch zur Sprache. Er wird unter Menschen geboren, wird den Menschen gleich. Man könnte den historischen Jesus die Sprache Gottes nennen, die Anwesenheit und Gegenwärtigkeit Gottes in der Welt. Wer seitdem nach Gott fragt, dem großen Unbekannten, muß auf Christus verweisen. Das erste fundamentale Glaubensbekenntnis der Christen lautet: Seine Worte und Taten, sein Denken und Handeln sind identisch mit dem Denken und Handeln Gottes. An ihm kann man erkennen, wer Gott ist, wie er denkt und an den Menschen handelt. Gott wird überhaupt nur denkbar und aussagbar in Leben und Werk des Mannes aus Nazaret.

Dieses zentrale Glaubensbekenntnis an den Menschgewordenen Gott muß zukünftig nach Namen und Titeln suchen, die ihm entsprechen. Sie müssen mit dem historischen Jesus, auf den sich der Glaube bezieht, direkt etwas zu tun haben. Sie müssen für einfache Menschen, für "Kleine und Unmündige", verständlich sein.

Was auf jeder Seite im Zeugnis der biblischen Texte auffallend ist, könnte man auf die Formel bringen: alles das, was da über das Denken und Handeln Jesu bezeugt wird, dient einem erlösteren Dasein, ist für Menschen heilsam, rettend, befreiend... Jesus erweist sich im abstrakten Sinne nicht als "Erlöser der Welt", sondern er zeigt in seinen Taten der Liebe, des Verzeihens, der Ermutigung... exemplarisch, wie die konkrete Welt und Umwelt des Menschen heiler und erlöster werden kann. Konkretes Handeln der Liebe - und sei es noch so fragmentarisch und "sämannsgleich" - dient dem Frieden in der Welt, führt zu mehr Gerechtigkeit und zugleich zu gottgemäßem Leben.

Die Botschaft der Einübung in Lebens-Werte erweist sich für Menschen aller Zeiten als nachvollziehbar. Sie bleibt erfahrungsbezogen, weil Menschen täglich erleben, was überall in der Welt an Elend geschieht, wenn Menschen nicht bereit und fähig sind, die Liebe und Gerechtigkeit zu üben. Die Wurzel allen Übels ist vielfach der Mensch, der im konkreten Leben versagt, für den die Lebenswerte des Evangeliums "graue Theorie" bleiben oder nur Anhaltspunkte für feierliche Sonntagsreden.

Zudem stellt Jesus die Praxis der Liebe und Gerechtigkeit in einen großen heilsgeschichtlichen Zusammenhang. Werke der Barmherzigkeit sind für ihn wie Samenkörner, die wachsen, bis alles im Reiche Gottes in Erfüllung geht. Jeder Mensch, der sich an diesem heilsgeschichtlichen Geschehen beteiligt, wird selbst zu einer "Gabe", die Gott gefällt... Ein "Wehe" gilt dagegen auch denen, die ihren Lebens-Inhalt verfehlen, weil sie zu erhaben sind, zu selbstbezogen, zu hochnäsig, zu pharisäerhaft, zu reich an Geld und Lebensdünkel. Sie sind "untauglich" für das Werden und Wachsen dessen, was Gott mit der Welt geplant hat.

Es bedarf an dieser Stelle keines besonderen Kommentars darüber, daß Menschen, die sich im Sinne dieser Heilsbotschaft für die Welt angesprochen wissen, nicht allein bleiben können. Aus diesem Impuls heraus sind die ersten christlichen Gemeinden entstanden. Zur Verwirklichung der Anliegen Jesu bedarf es nicht nur eines Zusammenschlusses, sondern auch der feiernden christlichen Gemeinden. Im Blick auf die Vergangenheit wie auf die Zukunft müssen sie sich denkend und feiernd auf das Gegenwärtige konzentrieren, auf das, was im Hier und Heute zu tun ist.

Kirchen und Gemeinden der Selbstgefälligkeit und Selbstdarstellung degradieren schnell zu toter und langweiliger Vereinsmentalität. Lebendig und anziehend können sie nur werden bzw. bleiben, wenn sie die Augen und Ohren offen halten für die "Zeichen der Zeit", für die Herausforderungen der Gegenwart und den Mut zur Zukunft.


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