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Pater Fritz Köster
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Unglaublich, was Christen glauben (VIII).

Mai 2004

Im Evangelium ist wiederholt vom "Sauerteig" des Wortes Gottes die Rede - so, als wäre etwas beim Menschen und in der Geschichte wirksam, welches langsam, aber beständig wächst. Ebenso wird vom "Geist Gottes" gesprochen, der in der gesamten Schöpfung wirkt, wo immer er will. Könnte es also sein, daß dieser "Sauerteig" unter dem Einfluß des Geistes mehr das Leben von Menschen bestimmt und es prägt, als es von vielen "religiös Festgelegten" wahrgenommen wird? Bei allem "Unkraut des Bösen", welches in der Welt wuchert, wächst auch der "Weizen des Guten". Ihn zu fördern, ist eine eminent pädagogische, weniger doktrinäre Aufgabe. Für die Kirchen wäre es das Gebot der Stunde, aus ihrer übergroßen theologischen Beschäftigung mit sich selbst auszubrechen, um in dem für sie weithin "fremden Land", welches "moderne Menschheit" heißt, pädagogische Kräfte zu entfalten. Dabei könnte sie erkennen, welches die Wege Gottes mit der Menschheit sind.

VIII. Der Glaube an die "Frohe Botschaft" - eine allmählich wachsende Einsicht und Erkenntnis.

Von "froher Botschaft" zu sprechen, ist Normalität geworden. Um so erstaunlicher ist es, daß eine wachsende Anzahl vom Menschen das "Frohe" dieser Botschaft kaum zu begreifen scheint. Aus anthropologischer Sicht ist es auch kaum begreiflich, wenn diese Botschaft als "Lehre" (Leere), als Postulat, als Kirchendoktrin verkündet wird. Die Bibel zeigt bereits im AT, daß jedem Menschen ein originärer Lebensplan aufgegeben ist, den es zu erkennen und zu praktizieren gilt. Nur wer seine persönliche Lebensbestimmung findet und den Mut hat, seinen Weg zu gehen, hört auf, eine Schablone zu sein. Er vermag sein Leben als sinnvoll zu erfassen und ausgesöhnt zu sein mit sich selbst und seiner Umwelt. Dabei muß er es lernen, in den täglichen Herausforderungen des Lebens Zeichen und Hinweise zu erkennen, denen er folgt und die ihn führen - ohne immer zu wissen, wohin? Ohne es zu wissen, wachsen dabei auch Sensibilität und Offenheit für die letzten Fragen des Lebens - auch für Gott.

Sinnvoll gelebtes Leben hat immer etwas mit dem Gehen des eigenen Weges zu tun - in Freiheit und Selbstverantwortung. So ist es auch mit dem Glauben. Jeder Satz- und Buchstabenglaube macht tot. Ein lebendiger Glaube ist immer vom Geist und der Inspiration Gottes mitten im Leben bestimmt. Das Wirken des Geistes Gottes aber ist nicht an kirchliche und konfessionelle Hecken und Zäune gebunden. Kirchen müßten also ihre zentrale Aufgabe darin sehen, ihren Blick und ihre Grenzen immer wieder auszuweiten auf die Grenzen der Welt. Pädagogische bzw. religionspädagogische Kompetenz wäre das Gebot der Stunde. Solche "Kompetenz" bedeutet die Fähigkeit und Kraft, etwas zu entfalten, was im Menschen grundgelegt ist. Nur wer auf diese Weise den Menschen kennenlernt und ernst nimmt, vermag ernsthaft über Gott zu reden. Alles andere bleibt leeres Stroh, wenn auch noch so intelligent vorgetragen und verkündet. Dazu folgende Hinweise:

1. Was das Evangelium als "Sauerteig" betrifft, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die grundlegenden Anliegen der Botschaft Jesu in der Menschheit weiter und nachhaltiger verwurzelt sind als gemeinhin angenommen wird. Man denke an die Entdeckung und Verteidigung der Menschenrechte; an die demokratischen Bewegungen; an die vielen Millionen, die gegen Hunger und Armut weltweit Hilfe erfahren (wenn auch noch lange nicht genug); an die "Ärzte ohne Grenzen"; an die persönlichen Einsätze Freiwilliger in den Notstandsgebieten der Welt; an die vielen Tausenden, die "Nachbarschaftshilfe" leisten und ihre Kranken/Alten in mühevoller Arbeit umsorgen und pflegen; an die Frauen und Eltern, die auf viel Privates uns Berufliches verzichten, um für Kinder und Familie da zu sein... Vieles, was da geschieht, ist mit der Gerichtsrede Jesu und anderen Texten sehr verwandt (vgl.Mt 25,31-46).-

Daneben stehen die gut organisierten und strukturierten Kirchen und Konfessionen, die sich mit ganz anderen Sorgen und Fragen beschäftigen als die Mehrheit der Menschen, von denen hier die Rede ist. Ob diese bewußt immer "gläubig" sind? Jedenfalls ist es ihnen aufgegeben, sich den täglichen Herausforderungen des Lebens zu stellen. Innerhalb der Kirchen haben ihre Erfahrungen weder liturgisch noch sakramental noch theologisch ein besonderes Gewicht. Was ihre Gedanken betrifft, gibt es für sie keine Sprache, keine "Theologie". Weil ohne Einfluß, sind sie weit weg von der Betriebsamkeit der Kirchen. Im Sinne des früheren Papstes Johannes Paul I. verlassen sie die Kirche, weil die Kirche sie zuerst verlassen hat...

2. Während sich Millionen Menschen recht und schlecht herumschlagen mit dem, was man konkrete Liebe und Lebensbewältigung nennen könnte - bei vielen (wenn auch nicht bei allen) "Werke der Barmherzigkeit" - , schlagen sich die offiziellen Vertreter der Kirchen mit Problemen herum, die für die Mehrheit keine sind: mit theologischen und ökumenischen Fragen der "Rechtfertigung", mit dem "richtigen" Sakramenten- und Ämterverständnis, mit der Möglichkeit oder Unmöglichkeit ökumenischer Gottesdienste usw. Menschen mit handfester Lebensbewältigung (aus dem Glauben), weil völlig anders orientiert, hören immer mehr auf, das "Offizielle" der Religion als ernst zu nehmenden Faktor in ihr Leben zu integrieren. Das um so weniger, je mehr der Eindruck entsteht, daß sich die Kirchen theologisch, liturgisch und rituell um den Bestand ihrer Verfaßtheit kümmern, aber wenig vom Leben der Menschen verstehen. Es müßte also viel geschehen, um deren Leben sprachlich, liturgisch und symbolisch zur Sprache zu bringen. Denn was ist das "Gebet" denn anderes als das Sprechen mit Gott über das, was sich bedrängend im Leben abspielt?

3. Im Grunde steht heute das ureigene Verständnis von Religion am Scheideweg. Ist "Religion" Ahnung und Einführung ins "Mysterium" - wozu (wie in archaischen Religionen) nur die "Geheimnis-" bzw. "Amtsträger" einen unmittelbaren Zugang bzw. "Berufung" haben? Oder ist "Religion" die unmittelbare Ahnung, Sehnsucht und Suche des Menschen nach Gott und Transzendenz mitten in der Immanenz dieser Welt - Eigenschaften, die auf Entfaltung und Hilfestellung durch andere angewiesen bleiben. Wie sich zeigt, gehen solche im Leben aufbrechenden Dynamismen an allen religiösen "Vermittlern" vorbei, wenn diese Ideologen statt Pädagogen sind. Die "Menschwerdung Gottes" - zentrales Glaubensbekenntnis der Christen - ist ein klassisches Beispiel dafür, wie Jesus Menschen orientiert und führt, statt sie (voreilig) mit Riten und Liturgien zu umgeben.

4. Die Frage, wie eine "Volksliturgie" und "Volkstheologie" entwickelt werden können, kann nur vom "christlichen Volk" selbst beantwortet werden. Dessen Sprache muß gehört und verstanden; dessen Sprachfähigkeit und -mächtigkeit müssen mit allen Mitteln gefördert werden. Um solche Ziele zu erreichen, bedarf es neuer Formen des Kircheseins, in denen das Miteinander-Sprechen gelernt und das Aufeinander-Hören praktiziert wird. Im "Dialog" sind Gegenstand der Gespräche dabei keine theologischen Begriffe und kontroversen Lehren, sondern die Werte und Lebensformen des Evangeliums, die für das Hier und Heute erschlossen und lebbar gemacht werden. Traditionskirchen müssen allerdings darauf gefaßt sein, daß Menschen "von unten" dabei ein bisher nie gekanntes Selbstwertgefühl und Glaubenskompetenz entwickeln. Diese zu ignorieren, würde auf kurz oder lang den Tod der Kirchen zur Folge haben.

5. Um aus der Krise zu kommen, bedarf es einer Magna Charta aller Kirchen, die sich auf die Denk- und Handlungsweisen der Personen des Evangeliums einlassen, um deren Lebbarkeit und "Brauchbarkeit" für das Hier und Heute zu erproben. Es gilt aber auch, deren Notwendigkeit immer wieder bewußt zu machen. Denn was geschieht mit jedem Menschen und der ganzen Menschheit, wenn Haß statt Liebe triumphieren; soziales Elend statt Gerechtigkeit; Fanatismus statt Toleranz; Dummheit und Verblendung statt "getane Wahrheit" in Glaube und Hoffnung...? Die Geschichte der Menschheit ist voll von beiden Erfahrungen: denen zum Guten und denen zum Bösen. Entscheidend auf Zukunft hin wird sein, daß sich niemand mehr mit großen Worten und klingenden Sonntagsreden begnügt. Nur noch beispielhaftes Leben von Christen aller Kategorien wird glaubwürdig sein. Die Frage ist nicht: ob Gott oder nicht Gott? Sondern: Welche Konsequenzen der Glaube an Gott nach sich zieht? Feierlich-klingende Schellen und hohles Geräusper im Religiösen gibt es hinreichend genug.

6. Es geht in Zukunft darum, das Christentum wieder als Beziehungs-Religion statt Theologen- und Satzungsreligion zu begreifen und zu etablieren. Menschen, die auf gemeinsamen religiösen Werten Beziehungen untereinander zu leben lernen, erleben diese auch als sinnvoll und lebensträchtig. So ist es auch in der Beziehung zu Gott. Aus Gottesahnungen und -vermutungen können innere Sicherheit und gläubige Gewißheit wachsen. Das Thema Frohe Botschaft kann nur von denen aufgegriffen und sinnvoll verstanden werden, bei denen Prozesse äußeren und inneren Wachstums zustande kommen. Sonst bleiben hehre Worte "tote Pferde", von denen rechtzeitig abzusteigen, schon frühere Indianerstämme dringend geraten haben.

7. Das Leitthema für die gesamte Christenheit könnte auf Zukunft hin das Wort eines serbisch orthodoxen Patriarchen sein: Christen versammeln sich "im Namen Gottes - nicht im Namen von Ideen, toten Symbolen und vergänglichen Dingen".


 


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