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Pater Fritz Köster
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Kleines Handbuch christlicher Lebensführung (I):
Was muss man über den Glauben "wissen"?

März 2006

Jedermann erinnert sich noch des eigenen Religionsunterrichts: man kann und muß viel über den Glauben "wissen". Deshalb lernen die Kinder biblische Geschichten kennen und erzählen; sie lernen die sieben Sakramente; theologische Wahrheiten über die Kirche, die Erschaffung der Welt, über die Würde des Menschen und die Vorsehung Gottes bleiben ihnen nicht unbekannt.

Wenn heute viel von der "Verdunstung des Glaubens", von der "Auszehrung der Gemeinden" gesprochen wird, so scheint das Angelernte in schulischen Zeiten schnell in Vergessenheit geraten zu sein. Auch bei denen, die regelmäßig Sonntagspredigten hören und dem "Wort in den Tag" am Radio lauschen, findet sich nicht viel "Wissen über den Glauben". Das "Pisa des Glaubens" würde erschreckend sein, würde man ehrlich den Fragen nachgehen: was wissen normale Christen über ihren Glauben? Was können sie an andere weitergeben?

Um der Angst vor solcher Realität entgegenzuwirken, wurden immer wieder Gegenstrategien entwickelt. Sie sollten und sollen helfen, den Menschen notwendiges "religiöses Wissen" zu vermitteln. In Deutschland sind seit 1945 fast ein Dutzend Katechismen geschrieben worden. Zuletzt der Weltkatechismus. Man weiß heute ziemlich genau, wie viele Exemplare geschrieben und z. T. mit großem Erfolg verkauft wurden. Was man nicht weiß, nicht wissen kann und vielleicht auch nicht wissen will, ist die Frage, wie viele Exemplare als Zierdestücke in den Regalen stehen und verstauben...?

Selbst wenn dem nicht so wäre; selbst wenn die Unwahrscheinlichkeit eingetreten wäre, dass die Bücher gelesen und gelernt würden - könnte man dann behaupten, die Menschen seien "gläubiger" geworden? Sind die Theologen und Kleriker die Gläubigsten, weil sie doch das meiste "Glaubenswissen" haben? Können sich Atheisten nicht auch das Glaubenswissen von Christen aneignen, ohne davon beeindruckt zu sein?

Zweifel, dass religiöses Wissen identisch mit "Glauben" ist, sind angebracht. Wegen der großen Reserve und geringen Akzeptanz des "Glaubenswissens" im Volk sind in den Kirchen und Medien schon viele Diskussionen entfacht worden. Ist dieses "Wissen" zu hoch angesiedelt? Handelt es sich um eine theologische Rationalität von Experten, die sich mit sich selbst und ihrer eigenen Logik beschäftigen und zur breiten Öffentlichkeit keinen Zugang finden? Ist theologische Systematik - bei Akademien und Festvorträgen bisweilen ein Ohrenschmaus für Auserwählte - letztlich doch ein Selbstläufer, ein "ins Leere laufender Scharfsinn"; "unnütz und abgehoben", weil abgekoppelt von der Welt? - Fragen einer hochkarätigen Sendung im SWF.

Als aus Anlass der Krankheit und des Todes von Johannes Paul II. die Betroffenheit und Begeisterung der Massen ihren Höhepunkt erreicht hatten, schrieb die FAZ: "Wir beklatschen ein Bild, ohne seine Worte ernst zu nehmen". - Manche Medienforscher glaubten schon lange beobachtet zu haben, dass die gewohnheitsmäßigen Konsumenten von Kondomen und Antibabypillen nach Rom und zu den Kirchen- bzw. Weltjugendtagen eilten und eilen. "Die Praktiker von Sex vor der Ehe und Ehe ohne Trauschein eilen in Massen zu religiösen Veranstaltungen. Ihre Begeisterung ist das eine, das praktische moralische Verhalten das andere: Ein Massenbeifall bei moralischen und sexuellen Forderungen, der im Alltag nicht den geringsten Bestand hat". -

Wenn solche Analysen und Beobachtungen auch nur z. T. wahr wären, stellten sich dennoch die Fragen: "was sind moralische Appelle wert? Was nützt alles religiöse Wissen? Ist für die meisten Menschen der gängigste Weg die Praxis einer 'doppelten Moral', mit der sich am leichtesten leben läßt?" - Umgekehrt muß man auch der Erfahrung und Beobachtung Beachtung schenken, dass bei vielen Gläubigen das Glaubenswissen sehr gering sein kann. Die Apostel und Jünger zur Zeit Jesu hatten noch nichts von unseren theologischen Kenntnissen. Auch die christlichen Gemeinden der ersten Jahrhunderte waren davon unberührt. Bis heute gibt es eine Mehrheit theologisch ungebildeter gläubiger Männer und Frauen. Sie lesen keine Katechismen und theologischen Handbücher. Sie haben nie eine höhere Schule besucht. Als Arbeiter, Handwerker, Hausfrauen... verstehen sie nichts von dem, was die Kirchen an theologischen Einsichten von sich geben.

Was die meisten Menschen dennoch von ihrer Religion begriffen haben, ist das Gespür dafür, dass es einen Lebensstil, eine Lebensform gibt und geben muß, die einen ehrlich vor sich selbst, vor Gott und anderen bestehen läßt. Es handelt sich nicht um viel Wissen, verbunden mit Rechthaberei, Hochmut und Selbstgerechtigkeit, sondern um die stille Gewissheit, dass das menschliche Leben ein Geschenk ist, eine Gabe, die für jeden Einzelnen eine besondere Wichtigkeit bedeutet und mit der man etwas machen kann und muß. Der Mensch kann nicht "religiös" sein außerhalb seines eigenen Lebensweges. Er kann es ernsthaft nur sein, wenn religiöse Fragen und Antworten wachsen und sich verändern, wie das Leben vielen Wachstums- und Veränderungsprozessen unterworfen bleibt. Festgefahrene Gottesbilder und Glaubensvorstellungen sind keine Hilfe für den Menschen "auf dem Weg". Sie sind eher Grabstätten für die Religion als Anlässe zu mehr Lebendigkeit.

Lebenswissen und Verhaltensformen lernen die Menschen gewöhnlich am meisten durch die Bezugspersonen der ersten und zweiten Kindheit. Wie Kinder und Jugendliche ihre Eltern, Erzieher, Lehrer und Seelsorger erleben, bleibt entscheidend für ihre Gesamtentwicklung in späterer Zeit. Persönlich erlebte Bezugspersonen verbürgen auch die Existenz Gottes, nicht Hierarchien und Institutionen. Selbst wenn es von herkömmlichen Autoritäten, von Kirchen und Parteien... immer wieder Abnabelungs- und Ablösungsprozesse gibt - sie dienen letztlich der Selbstwerdung und Selbstverantwortung des Menschen - einem Lebensprozess des Werdens und Wachsens, in dem Altes sich stets mit Neuem verbündet. Denn einmal Erlerntes und Erfahrenes findet sich in späteren Zeiten immer wieder, wenn auch in einem anderen Gewand und unter veränderten Voraussetzungen.

"In jedem steckt ein Bild des, was er werden soll. Solang’ er das nicht ist, wird nie sein Friede voll", heißt es in einem Gedicht. Selbst sein Bild finden im Sternzeichen vieler Vor-Bilder und in Abgrenzung zu vielen verführerischen Abwegigkeiten: darin liegen die Möglichkeiten und Kräfte, die jedem gegeben sind. In ihnen und durch sie öffnet sich der Weg in eine wachsende und zugleich begrenzte Freiheit.


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