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Kleines
Handbuch christlicher Lebensführung (I):
Was muss man über den Glauben "wissen"?
März 2006
Jedermann erinnert sich noch des eigenen Religionsunterrichts: man
kann und muß viel über den Glauben "wissen". Deshalb lernen die Kinder
biblische Geschichten kennen und erzählen; sie lernen die sieben Sakramente;
theologische Wahrheiten über die Kirche, die Erschaffung der Welt, über die
Würde des Menschen und die Vorsehung Gottes bleiben ihnen nicht unbekannt.
Wenn heute viel von der "Verdunstung des Glaubens", von der
"Auszehrung der Gemeinden" gesprochen wird, so scheint das Angelernte in
schulischen Zeiten schnell in Vergessenheit geraten zu sein. Auch bei denen,
die regelmäßig Sonntagspredigten hören und dem "Wort in den Tag" am Radio
lauschen, findet sich nicht viel "Wissen über den Glauben". Das "Pisa des
Glaubens" würde erschreckend sein, würde man ehrlich den Fragen nachgehen:
was wissen normale Christen über ihren Glauben? Was können sie an andere
weitergeben?
Um der Angst vor solcher Realität entgegenzuwirken, wurden immer wieder
Gegenstrategien entwickelt. Sie sollten und sollen helfen, den Menschen
notwendiges "religiöses Wissen" zu vermitteln. In Deutschland sind seit 1945
fast ein Dutzend Katechismen geschrieben worden. Zuletzt der
Weltkatechismus. Man weiß heute ziemlich genau, wie viele Exemplare
geschrieben und z. T. mit großem Erfolg verkauft wurden. Was man nicht weiß,
nicht wissen kann und vielleicht auch nicht wissen will, ist die Frage, wie
viele Exemplare als Zierdestücke in den Regalen stehen und verstauben...?
Selbst wenn dem nicht so wäre; selbst wenn die Unwahrscheinlichkeit
eingetreten wäre, dass die Bücher gelesen und gelernt würden - könnte man
dann behaupten, die Menschen seien "gläubiger" geworden? Sind die Theologen
und Kleriker die Gläubigsten, weil sie doch das meiste "Glaubenswissen"
haben? Können sich Atheisten nicht auch das Glaubenswissen von Christen
aneignen, ohne davon beeindruckt zu sein?
Zweifel, dass religiöses Wissen identisch mit "Glauben" ist, sind
angebracht. Wegen der großen Reserve und geringen Akzeptanz des
"Glaubenswissens" im Volk sind in den Kirchen und Medien schon viele
Diskussionen entfacht worden. Ist dieses "Wissen" zu hoch angesiedelt?
Handelt es sich um eine theologische Rationalität von Experten, die sich mit
sich selbst und ihrer eigenen Logik beschäftigen und zur breiten
Öffentlichkeit keinen Zugang finden? Ist theologische Systematik - bei
Akademien und Festvorträgen bisweilen ein Ohrenschmaus für Auserwählte -
letztlich doch ein Selbstläufer, ein "ins Leere laufender Scharfsinn";
"unnütz und abgehoben", weil abgekoppelt von der Welt? - Fragen einer
hochkarätigen Sendung im SWF.
Als aus Anlass der Krankheit und des Todes von Johannes Paul II. die
Betroffenheit und Begeisterung der Massen ihren Höhepunkt erreicht hatten,
schrieb die FAZ: "Wir beklatschen ein Bild, ohne seine Worte ernst zu
nehmen". - Manche Medienforscher glaubten schon lange beobachtet zu haben,
dass die gewohnheitsmäßigen Konsumenten von Kondomen und Antibabypillen nach
Rom und zu den Kirchen- bzw. Weltjugendtagen eilten und eilen. "Die
Praktiker von Sex vor der Ehe und Ehe ohne Trauschein eilen in Massen zu
religiösen Veranstaltungen. Ihre Begeisterung ist das eine, das praktische
moralische Verhalten das andere: Ein Massenbeifall bei moralischen und
sexuellen Forderungen, der im Alltag nicht den geringsten Bestand hat". -
Wenn solche Analysen und Beobachtungen auch nur z. T. wahr wären, stellten
sich dennoch die Fragen: "was sind moralische Appelle wert? Was nützt alles
religiöse Wissen? Ist für die meisten Menschen der gängigste Weg die
Praxis einer 'doppelten Moral', mit der sich am leichtesten leben läßt?"
- Umgekehrt muß man auch der Erfahrung und Beobachtung Beachtung schenken,
dass bei vielen Gläubigen das Glaubenswissen sehr gering sein
kann. Die Apostel und Jünger zur Zeit Jesu hatten noch nichts von unseren
theologischen Kenntnissen. Auch die christlichen Gemeinden der ersten
Jahrhunderte waren davon unberührt. Bis heute gibt es eine Mehrheit
theologisch ungebildeter gläubiger Männer und Frauen. Sie lesen keine
Katechismen und theologischen Handbücher. Sie haben nie eine höhere Schule
besucht. Als Arbeiter, Handwerker, Hausfrauen... verstehen sie nichts von
dem, was die Kirchen an theologischen Einsichten von sich geben.
Was die meisten Menschen dennoch von ihrer Religion begriffen haben, ist das
Gespür dafür, dass es einen Lebensstil, eine Lebensform gibt
und geben muß, die einen ehrlich vor sich selbst, vor Gott und anderen
bestehen läßt. Es handelt sich nicht um viel Wissen, verbunden mit
Rechthaberei, Hochmut und Selbstgerechtigkeit, sondern um die stille
Gewissheit, dass das menschliche Leben ein Geschenk ist, eine Gabe, die für
jeden Einzelnen eine besondere Wichtigkeit bedeutet und mit der man etwas
machen kann und muß. Der Mensch kann nicht "religiös" sein außerhalb
seines eigenen Lebensweges. Er kann es ernsthaft nur sein, wenn religiöse
Fragen und Antworten wachsen und sich verändern, wie das Leben vielen
Wachstums- und Veränderungsprozessen unterworfen bleibt. Festgefahrene
Gottesbilder und Glaubensvorstellungen sind keine Hilfe für den Menschen
"auf dem Weg". Sie sind eher Grabstätten für die Religion als Anlässe zu
mehr Lebendigkeit.
Lebenswissen und Verhaltensformen lernen die Menschen
gewöhnlich am meisten durch die Bezugspersonen der ersten und zweiten
Kindheit. Wie Kinder und Jugendliche ihre Eltern, Erzieher, Lehrer und
Seelsorger erleben, bleibt entscheidend für ihre Gesamtentwicklung in
späterer Zeit. Persönlich erlebte Bezugspersonen verbürgen auch die
Existenz Gottes, nicht Hierarchien und Institutionen. Selbst wenn es von
herkömmlichen Autoritäten, von Kirchen und Parteien... immer wieder
Abnabelungs- und Ablösungsprozesse gibt - sie dienen letztlich der
Selbstwerdung und Selbstverantwortung des Menschen - einem Lebensprozess des
Werdens und Wachsens, in dem Altes sich stets mit Neuem verbündet. Denn
einmal Erlerntes und Erfahrenes findet sich in späteren Zeiten immer wieder,
wenn auch in einem anderen Gewand und unter veränderten Voraussetzungen.
"In jedem steckt ein Bild des, was er werden soll. Solang’ er das nicht ist,
wird nie sein Friede voll", heißt es in einem Gedicht. Selbst sein Bild
finden im Sternzeichen vieler Vor-Bilder und in Abgrenzung zu
vielen verführerischen Abwegigkeiten: darin liegen die Möglichkeiten
und Kräfte, die jedem gegeben sind. In ihnen und durch sie öffnet sich der
Weg in eine wachsende und zugleich begrenzte Freiheit.
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