Gratis Info-Brief
Sie möchten regelmäßig über neue Beiträge auf meiner Webseite informiert werden?
Dann abonnieren Sie einfach meinen
Info-Brief...
|
|
Kleines
Handbuch christlicher Lebensführung (II):
Wer war Jesus Christus?
März 2006
1. Sie werden lachen: die Bibel!
Der erklärte Atheist und Agnostiker A. Gide, einmal gefragt,
welches Buch für ihn das wichtigste in seinem Leben geworden sei,
antwortete: "Sie werden lachen, die Bibel!" - Der Inder und Hinduist
Mahatma Gandhi hat ähnliche Äußerungen gemacht. Und viele andere. -
Auch für viele Christen ist die Bibel, nachdem die Kirchen die Bibel immer
wieder hervorgehoben und "Jahre der Bibel" ausgerufen haben, zu einer
wichtigen Wegbegleiterin und Lebensberaterin geworden. Besonders, wenn
konkrete Fragen und Probleme anstehen.
Dann kann es vorkommen, dass wache Christen in apostolischen Schriften,
Dekreten, Instruktionen und Enzykliken "zu wenig biblisches Denken und
Verantworten" finden. So ist z.B. in den seit langem heiß diskutierten
"Ökumene-Fragen", ob es eine "eucharistische Gastfreundschaft" geben
darf; ob katholische Priester evangelischen Christen die Kommunion reichen
dürfen; ob es Katholiken erlaubt sein darf, am evangelischen Abendmahl
teilzunehmen..., immer wieder zu lesen und zu hören: "Was würde Jesus dazu
sagen?" -
Biblische Antworten werden gesucht und gefunden: "Ich sage euch: Wer
sich vor den Menschen zu mir bekennt, zu dem wird sich auch der
Menschensohn... bekennen" (Lk 12.8). - Oder: "Alles, was zwei von euch auf
Erden gemeinsam erbitten, werden sie von meinem himmlischen Vater erhalten.
Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten
unter ihnen" (Mt 18.19-20). - Oder: "Wer zu mir kommt, den werde ich nicht
abweisen" (Joh 6.37). - Oder: Als Jesus bei der Berufung des Petrus in
dessen Haus beim Essen war, "kamen viele Zöllner und Sünder und aßen
zusammen mit ihm und seinen Jüngern" (Mt 9.10). - Auch Kephas (Petrus) aß
"zusammen mit den Heiden" (Gal 2.12). Ebenso tranken beim letzten Abendmahl
alle aus dem Kelch, auch der Verräter Judas...(Mk 14.23; vgl. auch Mt
12.3-8) . -
Wenn Christen solche Stellen lesen und besprechen, fragen sie zu Recht: "Wem
soll man Glauben schenken, der Bibel oder der Kirche?" Wenn sie
Unbarmherzigkeit in ihr entdecken, erinnern sie sich an die Worte Jesu:
"Nicht bis siebenmal, sondern bis siebzigmal sollst du vergeben" (Mt 18.22).
- Statt zu verurteilen und vorschnell einen Menschen zu isolieren und
auszubooten, "lass deine Opfergabe vor dem Altar liegen, geh und versöhne
dich zuerst mit deinem Bruder, dann komm und opfere deine Gabe" (Mt
5.23-24). - Denn "Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer. Denn ich bin
gekommen, die Sünder zu berufen, nicht die Gerechten" (Mt. 9.13). -
Christen, die mit der Kirche schlechte Erfahrungen gemacht haben und
deshalb von der "Institution" nichts halten, lesen gerne die "Gerichtsrede
Jesu", um ihr Christsein auch außerhalb der Kirche zu begründen; ebenso ihr
caritatives und soziales Engagement: du warst hungrig und ich habe dir zu
essen gegeben; du warst durstig und ich habe dir zu trinken gegeben; du
warst fremd und obdachlos, ich habe dich aufgenommen; du warst nackt und ich
habe dir Kleidung gegeben...(Mt. 25..31-46) .- Ebenso können Mütter und
Väter, die sich ernsthaft um ihre Kinder und Jugendlichen kümmern, Mt. 18.5
zitieren: "Wer ein solches Kind in meinem Namen aufnimmt, der nimmt mich
auf". -
Wo "Kirche" zu rechthaberisch, aufwendig, selbstbezogen und selbstsicher
auftritt, ihre Anordnungen und Anweisungen zu selbstherrlich
vertritt, da fällt Bibellesern gern die Schelte Jesu gegenüber den
Pharisäern und Schriftgelehrten ein: "Hütet euch vor dem Sauerteig der
Pharisäer und Sadduzäer" (Mt 16.6) - Sie schnüren schwere Lasten zusammen
und legen sie den Menschen auf die Schultern, wollen aber selber keinen
Finger rühren, um die Lasten zu tragen... Bei jedem Festmahl möchten sie den
Ehrenplatz und in der Synagoge die vordersten Sitze haben. Sie verschließen
den Menschen das Himmelreich, gehen aber selbst nicht hinein...(vgl. Mt
23.1-14). -
Die ganze heilige Schrift ist voll von ähnlichen Zitaten, die wache Christen
als "Handlungsanweisungen" für ihr eigenes Tun interpretieren. So
auch solche, denen das Beten schwer fällt und die es lernen wollen.
Mt 6.9-14 gilt als das Gebet, welches Jesus selbst lehrte: "Vater unser...
Dein Reich komme, dein Wille geschehe..." - Andere schauen auf die
Bergpredigt: "Selig, die arm sind vor Gott..." (Mt 5.3-12). - Sehr
einsichtig und bedenkenswert ist für viele die "Goldene Regel": "Alles, was
ihr von anderen erwartet, das tut auch ihnen. Darin besteht das Gesetz und
die Propheten" (Mt 7.12). -
2. "Glaubenswende" hin zum "historischen Jesus".
Wenn Christen sich in ihren eigenen Lebenslagen Fragen stellen und sich
dabei biblische Situationen vor Augen führen, vollziehen sie unauffällig und
doch unübersehbar eine "Glaubenswende": weg vom Jesus des Glaubens
hin zum historischen Jesus. Anzeichen mündigen Christseins? Bei ihnen
verblasst und schwindet der Jesus des Glaubens, wie er in der Tradition der
Kirche verkündet wurde und wird: als philosophisch-theologische
Interpretation seiner Lehre. Diese formulierte den Glauben an den
menschgewordenen Logos, an "Gottes eingeborenen Sohn", an die Einheit einer
Person in zwei Naturen - "Produkte" der hellenistischen Metaphysik, die bis
auf den heutigen Tag bei der großen Mehrheit der Christen mysteriös und
unverständlich geblieben sind. Auf diese Weise wurde das Christentum,
ursprünglich eine Jesus-Bewegung für Jedermann, zu einer Spezialisten-,
Theologen- und Klerikerreligion.
Dagegen wächst heute ein lautloser Widerstand, der im Niedergang und der
wachsenden Bedeutungslosigkeit der Kirchen seinen Widerhall findet. Entweder
erwarten die Menschen vom Christentum nichts mehr, weil es für das Leben
bedeutungslos erscheint, oder es wächst im Gegensatz dazu der Wille, neu zu
begreifen, worum es wirklich beim "Glauben" geht. Das Interesse an der
Biographie des historischen Jesus mit seinen jüdischen Wurzeln erwacht.
Es eröffnet die Möglichkeit zu einem Glauben, wie er ursprünglich war: der
Glaube an eine Person statt an Sätze und Institutionen.
Mit einer Person, die - wie alle Menschen - in einer konkreten
Lebenssituation gestanden hat, um sie so oder so zu bewältigen, können
andere sich leicht identifizieren. In ihr können sie sich mit ihren eigenen
Fragen, Hoffnungen und Ängsten wiederfinden. Worten und Taten eines
"exemplarischen Menschen", wie Jesus einer war, kann man Glauben und
Vertrauen schenken. Bei ihm kann man in die Schule gehen und lernen, worauf
es im Leben ankommt. Man kann seinen eigenen Weg, seinen persönlichen Wert
und seine richtige Selbsteinschätzung finden. Und lernen, seinen aufrechten
Gang zu gehen in den Wirrnissen der Zeit. "Woher komme ich; wohin gehe ich;
welches ist der Sinn meines Lebens?" Diese uralten Fragen in der Geschichte
der Menschheit - niemand kann sie besser beantworten als jemand, der mit
göttlicher Autorität selbst durch das Leben gegangen ist und zu anderen
sagen kann: "Habt Mut: Ich habe die Welt überwunden" (Joh 16.33).
Die heutige Abwendung von den Kirchen könnte also durchaus als eine
Hinwendung verstanden werden zum Kern der Sache selbst. Jedes
Kind vom ersten Tag seines Lebens an existiert schon in solcher
"Hinwendung". Bezugspersonen, Vater und Mutter, werden Glauben und Vertrauen
geschenkt, sofern sie nicht enttäuschen. Sie sind für heranwachsende
Menschen unverzichtbar. Solche Erfahrung ist auch unverzichtbar für den
Glauben der Christen. "Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so
handelt", heißt es bei Joh. 13.15. Dieser Hinweis ist und bleibt maßgeblich
in der Nachfolge Jesu; darauf können sich Menschen mit ihrer gesamten
Existenz und Lebensweise einlassen. Die Person und Botschaft Jesu vermögen
eine plausible Antwort zu geben auf die Frage, wie sich sinnvoll und
gottgewollt leben lässt...
Hierarchien und Institutionen müssten dabei erkennen, dass sie nur sehr
zweitrangig wichtig sind insofern, als sie eine Vermittlerrolle
übernehmen, die den Menschen auf alle nur denkbare Weise ermöglicht, zum
Kern des Glaubens überhaupt zu finden. Ihre Aufgabe bestünde in nichts
anderem als Menschen, von denen Goethe sagt: "Nach oben ist der
Zugang uns verrannt", eben diesen Zugang zu ermöglichen. Sie dürften dabei
nicht majestätisch reden, sondern müssten selbst auch praktisch tun, wovon
sie reden. Die Person Jesu als Aushängeschild für klerikale
Ambitionen, kirchliche Privilegien, Pfründe, Macht- und Einflussansprüche zu
benutzen - diese Zeit dürfte endgültig der Vergangenheit angehören. Eine
neue Ernsthaftigkeit, Hinwendung und "Bekehrung" zum eigenen Ursprung
sind die Gebote der Stunde. Kirchliche Gebäude und Institutionen, die in
dieser Hinsicht ihren Sinn und ihre Aufgabe verfehlen, werden immer
sinnloser. Die Welt wird auf sie leicht verzichten können - ohne Trauer und
Abschiedsschmerz.
3. Das "Historische" am historischen Jesus.
Fachleute sind sich darüber einig, dass die Rückkehr zum "historischen
Jesus" die beste Lösung aller Probleme wäre, wenn man genau wüsste, wer der
"historische Jesus" wirklich war. 2000 Jahre hatte es die Christenheit mit
einem "Jesus des Glaubens" der Urgemeinden zu tun. Diese tradierten in den
ersten Jahrzehnten mündlich, was von Jesus in Erinnerung war. Ihr Jesus-Bild
war nicht einheitlich, weil die menschlichen Erinnerungskapazitäten sehr
unterschiedlich waren. Zudem wollten sie über Jesus keine exakte
Biographie schreiben, sondern ihn als Kyrios, als Herrn und Meister, als
Messias, als Sohn Gottes... bekennen. So vermengt sich in ihrem
Glaubenszeugnis "Historisches" mit menschlichen Interpretationen,
Tatsächliches mit frommer Deutung. Erst Jahrzehnte nach dem Tod Jesu fanden
sich Leute, die in den Evangelien das Glaubensleben der Gemeinden für
kommende Generationen festhielten.
Das Interesse an biographischen Aussagen über Jesus erwachte mit Spinoza
bereits im 17. Jahrhundert. Spätere Interessenten wie R. Bultmann, A.
Schweitzer u.a. resignierten, weil keine nennenswerten biographischen
Aussagen über Jesus möglich seien... Erst die moderne Forschung hat mit
eigenen Methoden ein weitgehend zuverlässiges Bild über Jesus zutage
gefördert.
Demnach war Jesus Sohn einer Handwerkerfamilie. Er lernte die hebräische
Bibel lesen und besuchte regelmäßig die Synagoge. Nach ca. 30 Jahren
unauffälligen Aufwachsens und Lernens brach er aus seiner Familie aus, wurde
Anhänger von Johannes dem Täufer und begann eine Tätigkeit als
Wanderprediger. Gegenüber Johannes, der in der Wüste die Gerichtsdrohung
Gottes verkündete, betonte Jesus die Hinwendung Gottes zu den Menschen.
Er pflegte offene Gespräche und Tischgemeinschaft - sogar mit "Fressern,
Säufern, Zöllnern und Sündern" (Mt 11.19; Lk 5.30), aber auch mit einigen
Pharisäern (z. B. Nikodemus: Joh 3.1-13). Was er sagte und tat, hatte mit
seinem Programm und seiner Botschaft zu tun: das Heilshandeln
Gottes an den Menschen, die Vergegenwärtigung des Reiches Gottes im Hier und
Heute der Welt. Sein Programm lautete nicht: Kirche und Sakramente.
Nach Markus hat das öffentliche Wirken Jesu rund 1 Jahr gedauert; nach
Johannes ca. 2-3 Jahre. Dann geriet er in Konflikt mit dem Tempelklerus. Die
Folge waren seine Festnahme und Überstellung an die römische Justiz, die als
"Kolonial-Justiz", als fremde Macht im Land Angst hatte vor politischer
Zerrissenheit und Unruhen im Volk.
Nach dem Tod und der Auferstehung Jesu sahen seine Jünger ihre vorrangige
Aufgabe darin, Jesu Wirken und Lehren fortzusetzen. Nach und nach
wurde Jesus selbst zum Inhalt ihrer Botschaft. Vor allem im hellenistisch
geprägten Christentum wurden Kreuz und Auferstehung zentrale Themen
der Verkündigung.
Die Frage, die sich für uns Christen in der heutigen Zeit stellt, lautet:
Wie gehen wir mit Jesusbildern um, die sich von denen unserer Kindheit
unterscheiden? Zwei Jesus-Bilder dürften für die Christen der
Gegenwart und Zukunft entscheidend werden:
- Der Jesus, der sich den ethischen, sozialen, caritativen...
Herausforderungen seiner Zeit stellte und auf ähnliche Weise zur
"Nachfolge" aufruft und befähigt;
- Der Jesus, der durch Leiden und Tod zur Auferstehung gelangte.
|