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Kleines
Handbuch christlicher Lebensführung (III):
Die Bibel, Wort des lebendigen Gottes?
April 2006
1. Die Fragestellung.
Wort des lebendigen Gottes? So jedenfalls scheint es. Es wird auch so
gesagt. Nach jeder Lesung in einem katholischen Gottesdienst bestätigt der
Lektor: "Wort des lebendigen Gottes". - Das hört sich so an, als habe Gott
selbst den Text geschrieben oder einem Schreiber wörtlich eingegeben
(eingeflüstert), wie es bis vor nicht allzu langer Zeit Theologiestudenten
und Christen zu lernen bekamen. Der Fachausdruck dafür heißt
"Verbalinspiration". Auf Deutsch: der Schreiber wurde beim Verfassen des
Textes wörtlich inspiriert; ihm wurden die Worte und Sätze vom heiligen
Geist eingegeben - so wie es Moslems bis heute über den Koran behaupten.
Die Suren des Koran seien wörtliche Eingebungen Allahs bzw. seines
Gesandten Gabriel in das Ohr des Propheten. Deshalb könne an den Sätzen des
Koran nichts gedeutet werden; nichts könne - so die Fundamentalisten und
Traditionalisten - "historisch-kritisch" geprüft und unter die Lupe genommen
werden. Was da geschrieben stehe, sei ein für allemal gültig und
unverrückbar, weil der Prophet wie ein Griffel, wie ein Schreibwerkzeug in
der Hand Allahs nur passiv und rezeptiv tätig gewesen sei.
Es hat im christlich(-katholischen) Lager lange gedauert, bis man beim
Glauben an die "Verbalinspiration" bestimmte Fragen ernsthaft an sich
herankommen ließ: wie kommt es, dass die Texte der Evangelisten Mathäus,
Markus, Lukas und Johannes nicht identisch sind? Wie kann es sein, dass Gott
dem einen andere Sätze eingibt als dem anderen; dass die Evangelisten zwar
vieles gemeinsam haben, aber auch viel Unterschiedliches? Kann Gott ein so
unterschiedlicher "Offenbarer" sein?
Die Antworten, die heute Allgemeingut geworden sind, lauten: die Schreiber
der Evangelien waren nicht nur passive Werkzeuge in der Hand Gottes; sie
haben das, was Gott der Menschheit mitteilen wollte, in eigene Worte
gefasst; in die ihnen eigene Sprache und Vorstellungswelt übersetzt.
Es waren immer auch Worte Gottes, in ihre konkrete Situation hinein
gesprochen. Dies bedeutet, dass die Bibel als Gotteswort im Menschenwort
bezeichnet werden kann. In die Bibel ist sehr viel Menschliches
eingeflossen; nicht nur Sprache und Ausdrücke, sondern auch menschliche
Reaktionen wie Ängste, Zweifel, Aggressionen, Versuchungen zu Feuer, Schwert
und Gewalt...
Die "Vermischung" von göttlicher Weisung und menschlicher Anteilnahme macht
die Deutung biblischer Texte schwer: Was ist darin "göttlich", was
"menschlich" und zeitbedingt; wie haben die Lebenssituation des Schreibers,
sein historisch-sozialer Kontext ihren Niederschlag darin gefunden; worin
zeigt sich wirklich Gottes Wort und Offenbarung?
2. Schöpferisches Mittun als Qualität des Glaubens...
Es gab schon immer viele Fragen, die sich gläubige Menschen stellten. Wie
wurden sie in der biblischen Tradition beantwortet? Als erstes stellte sich
die Frage nach dem Glauben selbst. Da man den Glauben nicht beweisen
kann, gehört er zu den Grundentscheidungen des Lebens überhaupt.
Entweder leben Menschen in der Hoffnung, Vermutung, Ahnung... nach etwas
Höherem oder sie tun es nicht. Meist orientiert sich die Entscheidung an
maßgeblichen Menschen wie Buddha, Jesus, Mohammed... Es können aber auch
Eltern und Lehrer, Omas und Opas, Gläubige und Ungläubige sein. Die Art und
Weise, wie sie reden, sich verhalten, ihr Leben gestalten, Konflikte und
Lebenskrisen bewältigen, bleibt Maß-gebend. Überraschend und
aufschlussreich ist, dass sich der größte Teil der Menschheit schon immer
für das Religiöse entschieden hat. Im Grunde war die gesamte
Menschheitsgeschichte immer auch eine Religionsgeschichte.
Die Entscheidung für das Religiöse und den Glauben hat immer auch dynamische
und schöpferische Kräfte bei Menschen entfaltet. Auch als es um das
Festhalten und Aufschreiben des "Wortes Gottes" ging, sind Menschen immer
aktiv beteiligt gewesen. Für solche wird der Glaube an "heilige Schriften"
nie ein Buchstabenglaube. Fundamentalisten und andere, die zum
Buchstabenglauben neigen, haben von der Sache eigentlich nichts verstanden.
Man muß die Entstehung der Schriften des Neuen Testamentes bedenken. Jesus
hat die Texte den Evangelisten damals nicht diktiert. Er hat selbst nichts
aufgeschrieben oder aufschreiben lassen. Nach seinem Tod und seiner
Auferstehung - Ereignisse großer Konfusion und Aufregung für seine Anhänger
- versammelten sich diese, um sich an all das zu erinnern, was Jesus gesagt
und getan hatte. Die ersten christlichen Gemeinden könnte man als
Erinnerungsgemeinschaften bezeichnen. Mündlich wurde erzählt und
weitergegeben, worum es Jesus gegangen war.
Faktum ist, dass die Erinnerungskapazitäten bei Menschen sehr
unterschiedlich sind. Sie sehen und hören immer nur das, was in ihrem
geistigen Horizont ankommt und bemerkenswert ist. Vieles wird dabei
ausgelassen, gerät in Vergessenheit oder wird verändert weitergegeben... So
setzten die Gemeindetraditionen jeweils andere Akzente; ihr Interesse- und
Fragehorizont waren unterschiedlich. Als sich die Evangelisten Jahrzehnte
später daran machten, das mündlich Tradierte schriftlich festzuhalten,
hatten sich bereits verschiedene Theologien entwickelt. Markus legt
großen Wert auf das Festhalten der Taten Jesu; Mathäus stellt
vorrangig die Reden und Gleichnisse Jesu in den Mittelpunkt; Lukas
ist der "Historiker", der sich überall nach dem faktisch Gewesenen
erkundigt; Johannes ist der "Philosoph", der persönlich verarbeitet,
denkt und in Worte fasst...
Wie für das Neue Testament, so gibt es auch für die Sakramente eine
eigene Entstehungsgeschichte. Früher ging man mit der größten
Selbstverständlichkeit davon aus, dass die sieben (katholischen) Sakramente
von Jesus gestiftet worden seien. Heute weiß man, dass dies nur bedingt
richtig ist. Die meisten Sakramente - außer vielleicht Taufe und Eucharistie
- wurden von der Kirche als Zeichen der Hoffnung auf das von Jesus
verkündete Reich Gottes eingesetzt.
Ähnlich sind die Zehn Gebote nicht vom Himmel gefallen; auch nicht
durch eine Spontanaktion Gottes oder eines Propheten den Menschen auferlegt
worden. Sie haben im Gegenteil viel mit den zeitlich langen Erfahrungen und
Lebenswegen des Volkes Israel zu tun - mit seinen Einsichten und gewachsenen
Überzeugungen, die sie mit ihrem Glauben an Gott in Einklang zu bringen
versucht haben. Dabei erhielten sie den Charakter eines göttlichen Auftrags.
Nach alter Auffassung konnte Jahwe immer nur auf das Wohlergehen und
Zusammenwachsen des "auserwählten Volkes" bedacht sein. Die Zehn Gebote
zementieren diesen Willen Gottes und machen sie für das Volk zu ehernen
Gesetzen.
3. "Prüfet alles, behaltet das Gute" (1 Thess. 5.21).
Diese Weisung des Apostels Paulus an die Christen und Gemeinden in
Thessaloniki ist auch für die Zukunft des Christentums und der Kirchen von
größter Bedeutung. "Prüfet alles, behaltet das Gute". Offensichtlich traute
Paulus den Christen damals die nötige kritische Urteilskraft zu, um
diese Weisung wirklich in die Tat umsetzen zu können.
Prüfen und Behalten meint ein Abwägen und Entscheiden, nachdem nichts an
"Pro" und "Contra" in Stimme und Gegenstimme übergangen worden ist. Sie
machen eine kritische Urteilskraft erforderlich, die nicht
selbstverständlich vorhanden ist, sondern erst durch Erfahrung und Erprobung
wachsen und reifen muß. Ob die Kirche seit dem 2. Vatikanischen Konzil
solche Prozesse zugelassen hat? Bei solcher Frage entstehen große Zweifel.
Wäre sie auf dem Pastoralen Weg des Konzils geblieben, hätte sie
solche Prozesse vorangetrieben. De facto ist sie aber schnell wieder auf die
ehemaligen dogmatischen und kirchenrechtlichen Selbstsicherheiten
gewechselt. Die theologischen Spezialisten bekamen wieder das Sagen.
Meistens haben sie keine pastorale Praxis. Es wurden Denk- und
Suchprozesse durch autoritäre Maßnahmen und Entscheidungen unterbunden. Die
Synoden in Würzburg, Medellin, Puebla, aber auch verschiedene
Diözesansynoden haben es gezeigt. Betroffene Laiengruppen und Organisationen
wurden (und werden bis heute) vor den Kopf gestoßen nach dem Motto: Was in
die herkömmliche Ordnung nicht passt, kann nicht wahr sein. Ein
gefährlicher Virus ist seitdem dabei, sich in den Gemütern und Herzen
festzusetzen: Es geht nicht um die Anliegen des Evangeliums und Jesu,
sondern um den Selbsterhalt der im Mittelalter entstandenen zentralistischen
und obrigkeitlichen Kirche!
Ein zweiter Umstand wird aufgrund biblischer Erkenntnisse immer mehr
von Bedeutung. Kann in Zukunft noch davon gesprochen werden, es gäbe nur die
eine, heilige (katholische) Kirche; alle anderen seien ihr unterzuordnen,
jedenfalls nicht als gleichberechtigt anzusehen? Wenn man davon ausgeht,
dass nur eine dogmatische Wahrheit richtig sein kann, ist ein
Alleingültigkeitsanspruch berechtigt. Das Evangelium dagegen schafft Raum
für vielfältiges Denken und Handeln. Da geht es nicht um Dogmatik und
Kircherecht, sondern um Denk- und Lebensformen, die alle von denselben
"Tugenden" wie Praxis der Liebe, Gerechtigkeit, des wahren und
gottgemäßen Lebens bestimmt sind. Solche gemeinsamen Anliegen lassen
ohne Zweifel unterschiedliche Ausdrucksweisen zu - je nach
menschlichen, geschichtlichen, traditionellen und kulturellen
Voraussetzungen.
Der schon erwähnte "gefährliche Virus" hat dazu beigetragen, dass sich solch
biblische Einstellungen längst verbreitet haben. De facto sind im
Laufe der Geschichte unterschiedliche Kirchen entstanden. Solange sie
"dogmatisch" orientiert waren und sind, gab und gibt es genug Anlässe für
Glaubens- und Religionskriege. Sobald es ihnen aber um die wirklichen
Anliegen Jesu geht - um das "Tun der Wahrheit", um das "Schon Jetzt" des
Reiches Gottes durch Werke der Gerechtigkeit und Liebe - , kann es in
Zukunft eigentlich nur eine gegenseitige Beispielhaftigkeit geben.
Die Gründung von Taizé durch Roger Schutz ist ein klassisches Vorbild
für Kirchen, um an Glaubwürdigkeit zu gewinnen.
Kirchen müssten anfangen, voneinander zu lernen, wie das Christ-sein in
einer schwieriger gewordenen Welt gelingen kann? Nicht also gegenseitige
Behauptungen und seichter Dialog sind angebracht, sondern gegenseitige
Anerkennung und Ergänzung. Was der einen fehlt und mangelt, mögen andere
besser "können" - nämlich Hoffnungszeichen auf das Reich Gottes zu sein,
welches im Hier und Heute durch Menschen zu beginnen hat, aber auf die
Zukünftigkeit Gottes hin angelegt ist.
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