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Kleines
Handbuch christlicher Lebensführung (IV):
Jesu anstrengende Botschaft
Mai 2006
Die Rede des Christentums von der "frohen Botschaft" ist bis auf den
heutigen Tage eher eine Illusion, eine nicht erfüllte Verheißung geblieben.
Wie alles Menschliche und Weltliche geht auch die christliche Religion
mühsam durch die Niederungen der Geschichte. Bis der "Gipfel" erreicht ist,
gibt es zwar gelegentliche Ausblicke in die Weite. Im Ganzen bleibt aber
das, was sie tut, ein mühsames und gebrechliches Unternehmen.
1. Anstrengende statt "frohe Botschaft"?
Im Christentum ist immer wieder von der "frohen Botschaft" die Rede. Es mag
sein, dass die Botschaft Jesu darauf ausgerichtet ist, Freude in die Welt zu
bringen. Die Menschen sind sehr empfänglich für das, was Freude und Wohlsein
bedeutet. Umso unverständlicher bleibt es, dass Boten dieser Freude so viele
Widerwärtigkeiten in den Weg gelegt wurden und werden; dass so viel
Widerstand von den Menschen kam mit der Folge, schon den Urheber dieser
Botschaft abzulehnen, zu peinigen, zu quälen, ans Kreuz zu schlagen...
Ist deshalb die Rede von der "frohen Botschaft" nicht eher eine
Fehleinschätzung, eine Zukunftsillusion, von der man nicht weiß, ob, wann
und wo sie in Erfüllung geht? Was vielleicht irgendwann einmal kommt – haben
die Menschen den notwendigen Glauben, bewahren sie die Hoffnung, bringen sie
die erforderliche Geduld auf, um den Tag und die Stunde so abzuwarten, dass
sie auf das verheißene Heil, die Erlösung, die Erfüllung ... vorbereitet
sind? Jesus spricht selbst einmal von der Stunde seines Wiederkommens. Er
vergleicht die Wartezeit, in der sich die Welt offenbar befindet, mit
einer gebärenden Frau: "Euer Kummer wird sich in Freude verwandeln.
Wenn eine Frau gebären soll, ist sie bekümmert, weil ihre Stunde da ist;
aber wenn sie das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an ihre Not über
die Freude, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist" (Joh 16.20-21).-
Paulus greift diese Perspektive der Interpretation der Welt im Brief an die
Römer auf: "Wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt
und in Geburtswehen liegt..." (Röm 8. 22). Der Tag der Wiederkunft Christi
wird als der Augenblick einer neuen Geburt für die ganze Welt
verstanden. Bis es so weit ist, heißt es über Jesu Fortgehen aus der Welt:
"Ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen..."(Joh
16.20).
Während die einen also weinen und klagen, freuen sich die anderen. Warum
eigentlich? Weil sie einen Quertreiber losgeworden sind? Weil eine
unangenehme Angelegenheit von ihnen aus der Welt geschafft wurde? -
Tatsächlich hat sich eine sehr große Mehrheit gefreut, als er gekreuzigt
wurde. Sie hat vorher alles getan, um diesen Tod herbeizuschreien. Seit dem
wurden viele Initiativen unternommen, um das Kreuz, die faktischen Nöte der
Menschheit abzuschaffen; um das verheißene Heil der Welt vorwegzunehmen; um
das "Wehen der gebärenden Frau" , d.h. der unerlösten Welt zu beenden...
Es hat sich immer wieder herausgestellt, dass es dem Menschen nicht gegeben
ist, diese seine Ziele zu erreichen. Er musste sich immer wieder damit
abfinden, dass er nicht weit kommt, wenn er die Nöte der Menschheit
herbeizureden oder zu leugnen versucht. Offensichtlich hat sich die Zeit des
Endes und der Vollendung ein anderer vorbehalten. Dennoch: weil "dieser
andere" auf sich warten lässt, nehmen die Menschen die Vollendung selbst in
die Hand...
2. Auf der Suche nach Erlebnissen, Festivals und Illusionen.
Das Christentum ist bis heute wie eine Gebärende geblieben. Viel geboren hat
es noch nicht... Der brasilianische Schriftsteller Paulo Coelho
schreibt einmal in seinem Buch "Auf dem Jakobsweg" (1999, S.74f): Von allen
Dingen, auf die der Mensch gekommen ist, um sich selbst weh zu tun, ist das
schlimmste die Liebe. Wir leiden ständig, weil jemand uns nicht liebt, weil
jemand uns verlassen hat, weil jemand nicht von uns lässt... Als Gottes Sohn
auf die Erde kam, brachte er die Liebe. Aber da die Menschen die Liebe immer
mit Leiden und Opfer gleichsetzen, haben sie Ihn am Ende gekreuzigt".
Die Liebe: gleich zu setzen mit Leiden und Opfer? Man könnte es auch anders
ausdrücken: der Mensch ist von Natur aus unfähig zu der Liebe, derer er am
meisten bedarf . "Wenn wir ledig sind", heißt es in dem genannten Buch,
"dann nur, weil uns niemand will; sind wir verheiratet, machen wir aus der
Ehe Sklaverei".
Sind wir Menschen also durch den Auftrag zur Liebe, wie ihn Jesus gegeben
und beispielhaft vorgelebt hat, ständig überfordert? Leben wir in dauernden
Versagensängsten? Machen wir nicht immer wieder die Erfahrung, dass wir
trotz aller Bemühungen Unangenehmes nicht loswerden – wie es die Peiniger
vor 2000 Jahren nur durch die Kreuzigung Jesu glaubten "erledigen" zu
können?
In mir wirkt eine Erfahrung nach, die ich vor kurzer Zeit, am 29.4.06, in
Berlin gemacht habe. Mit einigen Freunden war ich zum Fußballspiel
eingeladen. München gegen Frankfurt. Es ging um den UEFA-Pokal. Für mich war
es ein gewaltiges Ereignis, mitten in den Menschenmassen zu sitzen und sie
zu beobachten: wie sie pfiffen, schrieen, aufbrausten, freudig oder wütend
von ihren Plätzen aufsprangen, je nach Begeisterung oder Enttäuschung. Ich
wusste nicht, auf welche Seite ich mich schlagen, für welche Mannschaft ich
Partei ergreifen sollte. Aber die große Mehrheit wusste es. Worum ging es
ihnen: um einen Ball, hinter dem 22 Sportler herliefen? Um ein
Massenereignis, bei dem man nicht fehlen durfte? Um das momentane Vergessen
und Verdrängen von alltäglichen Sorgen und Problemen? Um eine Festlichkeit
und Illusion, die alles Schwere und Unerträgliche im Alltag erträglicher
machen?
Im Berliner Stadion musste ich an Erich Honecker denken. Kurze Zeit
vor seinem politischen Ende hatte er in Ostberlin einen gigantisch
organisierten Parteitag abgehalten. Die großen sozialistischen
Errungenschaften der damaligen DDR wurden in Reden gefeiert und in die Welt
hinausposaunt. Auch damals jubelten und tobten die herbeigekarrten Massen,
indem sie ihre bunten Tücher und Fahnen im Winde flattern ließen, durch
Tänze und akrobatischen Sport dem Ganzen Schwung und Elan verschafften.
Wussten die Tausenden Mitwirkenden, was da gespielt wurde? Waren sie von den
hochgepriesenen sozialistischen Errungenschaften überzeugt? Ein paar Wochen
später wurde die Welt eines Besseren belehrt. Eine ganz andere Realität
zeigte sich, als die Massen vor den "Errungenschaften" die Flucht ergriffen,
über die Grenzen davonliefen und die Berliner Mauer niederrissen...
Rückblickend in die Geschichte zeigt sich immer wieder dasselbe Phänomen.
Als Adolf Hitler auf den Nürnberger Parteitagen und anderswo den
Massen zurief: "Wollt ihr den totalen Krieg?", haben alle begeistert
zugestimmt und gejubelt. Wollten sie wirklich den totalen Krieg? Wussten
sie, was da mit ihnen gemacht wurde? Als die Überlebenden 1945 ratlos und
verzweifelt vor den Trümmern ihrer zerstörten Städte und Landschaften
standen, wollte keiner dabei gewesen sein. Von Ausnahmen abgesehen – sie
haben alle nichts gesehen und gehört. Viele fanatische Anhänger eines
Völkerverbrechers fanden noch Helfershelfer genug, um sich auf Jahre in
sichere Gefilde dieser Welt aus dem Staub zu machen...
3. "Man sieht nur die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht".
Als Bert Brecht diesen Satz schrieb, hatte er die Schwachen und
Entrechteten, die Ausgebeuteten und Habenichtse im Blickfeld. Die Frage
stellt sich: gibt es nicht in allen gesellschaftlichen Konstellationen und
Ideologien diejenigen, die "im Dunkeln" sind, die "keiner sieht", keiner
beachten und hören will? Oft scheinen sie die "Lebensordnung" der
Etablierten zu stören; stellen deren Lebensstil infrage; verursachen ein
schlechtes Gewissen... Dennoch: um sie bei der Stange zu halten und
wenigstens vorübergehend zufrieden zu stellen, muss man für sie etwas tun. "Panem
et circenses": Brot und Spiele muß man ihnen geben! Das war bereits die
Praxis der römischen Imperatoren. Es stellte sich heraus: wirklich
friedliche und gerechte Verhältnisse wurden dadurch nicht geschaffen.
Ich denke dabei an die christlichen kleinen Gemeinschaften in Afrika und
Lateinamerika, die ich kennen lernen durfte. An die Art, wie sie miteinander
lebten und Gottesdienste feierten. Die meisten waren Analphabeten, was das
Lesen und Schreiben angeht, aber keine Analphabeten in Lebensfragen und
Lebenserfahrungen. Ich habe mit ihnen im Kreis auf dem Boden gesessen,
weil es keine Stühle gab – ebenso wie der zufällig anwesende Bischof oder
Priester.
Im Mittelpunkt ihres Beisammenseins stand das gemeinsame Nachdenken und
Sprechen über einen Bibeltext: In welcher schwierigen Situation befand sich
damals Petrus, als er Jesus verleugnete; Judas, als er zum
Verräter wurde; die Ehebrecherin, als die Umstehenden dabei waren,
sie zu steinigen; der arme Lazarus, für den kein Stück Brot vom Tisch
der Reichen übrig war; die heillos Kranken, die auf eine
Wunderheilung durch Jesus hofften? – Wie verhielten sich die Betroffenen,
wie die Nicht-Betroffenen, die dabei standen und so reagierten, wie
Menschen gewöhnlich reagieren: gegenüber Versagern und Verrätern, gegenüber
Armen und Habenichtsen, gegenüber Sündern und Andersdenkenden? – Wie wird
das gewohnheitsmäßige Denken und Handeln durch Jesu andersgeartete
Reaktionen durchbrochen? Wo und wie zeigt er Alternativen auf, so dass das
Reden über Liebe und Gerechtigkeit keine "graue Theorie", kein "frommes
Gerede" und kein gutgemeinter Spruch bleibt? Im Fall der Ehebrecherin
z.B. rechnet Jesus nicht mit ihr ab, wie es das Gesetz erforderlich
gemacht hätte. Er wendet sich viel mehr an die "Guten" und "Rechtgläubigen",
an die Schriftgelehrten und Pharisäer: "Wer von euch ohne Sünde ist, werfe
den ersten Stein...".
4. "Das Törichte in der Welt hat Gott erwählt...".
Paulus hat einen ähnlichen Satz wie Bert Brecht geschrieben:
"Das Törichte in der Welt hat Gott erwählt, um die Weisen zuschanden zu
machen, und das Schwache in der Welt hat Gott erwählt, um das Starke
zuschanden zu machen" (1 Kor 1.27). Denn vor Gott soll sich kein Mensch
rühmen können...(V.29).
Es gibt viele Beispiele aus der biblischen Zeit bis heute, die zeigen,
welches die Wege Gottes sind. Wenn man Paulus Recht gibt, sind diese Wege
weit weg vom gescheiten theologischen Definieren und Reden der Gebildeten
und Klugen; sie sind nicht zu erfahren in den hierarchisch gegliederten
Amtsstuben und Hierarchien; man findet sie nicht wohltuend formuliert in
unfehlbaren Sätzen und Wahrheiten. Die Wege Gottes verlaufen mitten durch
das Leben.
Es ist daher dringlich, nach den "Helden und Heiligen" des Alltags zu
fragen, sie in alle kirchlichen Entscheidungsprozesse und Ämter
einzubeziehen. Meistens bewirken sie Großes im Kleinen und Unscheinbaren,
nicht im Aufsehen erregen und äußerem Aufwand. Es sind die Sozialarbeiter,
die sich um die Integration von Zurückgebliebenen kümmern; die Eltern,
die ihrer Kinder und Familien wegen auf viele Annehmlichkeiten im Leben
verzichten – um doch viel Freude und Glück dafür zu ernten; die Alten-
und Krankenpfleger/Innen, die ohne viel Aufsehen auf das Wohl von
Hilfsbedürftigen bedacht sind... Solche sind im Sinne der Bergpredigt "Licht
der Welt" und "Salz der Erde".
Kirchliches Denken, Handeln und Feiern müsste von solchen "exemplarischen
Menschen im Kleinen" bestimmt werden, damit der in Alltagsangelegenheiten
steckende Teil der Menschheit erkennt, was "Christsein" bedeutet. Dem
gegenüber ist die Versuchung groß, sich – nach dem Beispiel römischer
Herrscher - auf religiös veranstaltete "Spiele" zu verlassen. Kirchliches
Leben sollte sehr misstrauisch sein gegenüber solchen "Spielen", gegenüber
den Höhenerfahrungen der überall sich breit machenden neuen
Religiosität und Spiritualität. Biblisch jedenfalls sind und bleiben die
alltäglichen und unspektakulären Formen des Glaubens und der Frömmigkeit.
Räume und Zeiten dafür zu schaffen, würde die Menschen zur Freiheit des
Geistes verlocken.
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