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Pater Fritz Köster
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56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Kleines Handbuch christlicher Lebensführung (IV):
Jesu anstrengende Botschaft

Mai 2006

Die Rede des Christentums von der "frohen Botschaft" ist bis auf den heutigen Tage eher eine Illusion, eine nicht erfüllte Verheißung geblieben. Wie alles Menschliche und Weltliche geht auch die christliche Religion mühsam durch die Niederungen der Geschichte. Bis der "Gipfel" erreicht ist, gibt es zwar gelegentliche Ausblicke in die Weite. Im Ganzen bleibt aber das, was sie tut, ein mühsames und gebrechliches Unternehmen.

1. Anstrengende statt "frohe Botschaft"?

Im Christentum ist immer wieder von der "frohen Botschaft" die Rede. Es mag sein, dass die Botschaft Jesu darauf ausgerichtet ist, Freude in die Welt zu bringen. Die Menschen sind sehr empfänglich für das, was Freude und Wohlsein bedeutet. Umso unverständlicher bleibt es, dass Boten dieser Freude so viele Widerwärtigkeiten in den Weg gelegt wurden und werden; dass so viel Widerstand von den Menschen kam mit der Folge, schon den Urheber dieser Botschaft abzulehnen, zu peinigen, zu quälen, ans Kreuz zu schlagen...

Ist deshalb die Rede von der "frohen Botschaft" nicht eher eine Fehleinschätzung, eine Zukunftsillusion, von der man nicht weiß, ob, wann und wo sie in Erfüllung geht? Was vielleicht irgendwann einmal kommt – haben die Menschen den notwendigen Glauben, bewahren sie die Hoffnung, bringen sie die erforderliche Geduld auf, um den Tag und die Stunde so abzuwarten, dass sie auf das verheißene Heil, die Erlösung, die Erfüllung ... vorbereitet sind? Jesus spricht selbst einmal von der Stunde seines Wiederkommens. Er vergleicht die Wartezeit, in der sich die Welt offenbar befindet, mit einer gebärenden Frau: "Euer Kummer wird sich in Freude verwandeln. Wenn eine Frau gebären soll, ist sie bekümmert, weil ihre Stunde da ist; aber wenn sie das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an ihre Not über die Freude, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist" (Joh 16.20-21).-

Paulus greift diese Perspektive der Interpretation der Welt im Brief an die Römer auf: "Wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt..." (Röm 8. 22). Der Tag der Wiederkunft Christi wird als der Augenblick einer neuen Geburt für die ganze Welt verstanden. Bis es so weit ist, heißt es über Jesu Fortgehen aus der Welt: "Ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen..."(Joh 16.20).

Während die einen also weinen und klagen, freuen sich die anderen. Warum eigentlich? Weil sie einen Quertreiber losgeworden sind? Weil eine unangenehme Angelegenheit von ihnen aus der Welt geschafft wurde? - Tatsächlich hat sich eine sehr große Mehrheit gefreut, als er gekreuzigt wurde. Sie hat vorher alles getan, um diesen Tod herbeizuschreien. Seit dem wurden viele Initiativen unternommen, um das Kreuz, die faktischen Nöte der Menschheit abzuschaffen; um das verheißene Heil der Welt vorwegzunehmen; um das "Wehen der gebärenden Frau" , d.h. der unerlösten Welt zu beenden...

Es hat sich immer wieder herausgestellt, dass es dem Menschen nicht gegeben ist, diese seine Ziele zu erreichen. Er musste sich immer wieder damit abfinden, dass er nicht weit kommt, wenn er die Nöte der Menschheit herbeizureden oder zu leugnen versucht. Offensichtlich hat sich die Zeit des Endes und der Vollendung ein anderer vorbehalten. Dennoch: weil "dieser andere" auf sich warten lässt, nehmen die Menschen die Vollendung selbst in die Hand...

2. Auf der Suche nach Erlebnissen, Festivals und Illusionen.

Das Christentum ist bis heute wie eine Gebärende geblieben. Viel geboren hat es noch nicht...  Der brasilianische Schriftsteller Paulo Coelho schreibt einmal in seinem Buch "Auf dem Jakobsweg" (1999, S.74f): Von allen Dingen, auf die der Mensch gekommen ist, um sich selbst weh zu tun, ist das schlimmste die Liebe. Wir leiden ständig, weil jemand uns nicht liebt, weil jemand uns verlassen hat, weil jemand nicht von uns lässt... Als Gottes Sohn auf die Erde kam, brachte er die Liebe. Aber da die Menschen die Liebe immer mit Leiden und Opfer gleichsetzen, haben sie Ihn am Ende gekreuzigt".

Die Liebe: gleich zu setzen mit Leiden und Opfer? Man könnte es auch anders ausdrücken: der Mensch ist von Natur aus unfähig zu der Liebe, derer er am meisten bedarf . "Wenn wir ledig sind", heißt es in dem genannten Buch, "dann nur, weil uns niemand will; sind wir verheiratet, machen wir aus der Ehe Sklaverei".

Sind wir Menschen also durch den Auftrag zur Liebe, wie ihn Jesus gegeben und beispielhaft vorgelebt hat, ständig überfordert? Leben wir in dauernden Versagensängsten? Machen wir nicht immer wieder die Erfahrung, dass wir trotz aller Bemühungen Unangenehmes nicht loswerden – wie es die Peiniger vor 2000 Jahren nur durch die Kreuzigung Jesu glaubten "erledigen" zu können?

In mir wirkt eine Erfahrung nach, die ich vor kurzer Zeit, am 29.4.06, in Berlin gemacht habe. Mit einigen Freunden war ich zum Fußballspiel eingeladen. München gegen Frankfurt. Es ging um den UEFA-Pokal. Für mich war es ein gewaltiges Ereignis, mitten in den Menschenmassen zu sitzen und sie zu beobachten: wie sie pfiffen, schrieen, aufbrausten, freudig oder wütend von ihren Plätzen aufsprangen, je nach Begeisterung oder Enttäuschung. Ich wusste nicht, auf welche Seite ich mich schlagen, für welche Mannschaft ich Partei ergreifen sollte. Aber die große Mehrheit wusste es. Worum ging es ihnen: um einen Ball, hinter dem 22 Sportler herliefen? Um ein Massenereignis, bei dem man nicht fehlen durfte? Um das momentane Vergessen und Verdrängen von alltäglichen Sorgen und Problemen? Um eine Festlichkeit und Illusion, die alles Schwere und Unerträgliche im Alltag erträglicher machen?

Im Berliner Stadion musste ich an Erich Honecker denken. Kurze Zeit vor seinem politischen Ende hatte er in Ostberlin einen gigantisch organisierten Parteitag abgehalten. Die großen sozialistischen Errungenschaften der damaligen DDR wurden in Reden gefeiert und in die Welt hinausposaunt. Auch damals jubelten und tobten die herbeigekarrten Massen, indem sie ihre bunten Tücher und Fahnen im Winde flattern ließen, durch Tänze und akrobatischen Sport dem Ganzen Schwung und Elan verschafften. Wussten die Tausenden Mitwirkenden, was da gespielt wurde? Waren sie von den hochgepriesenen sozialistischen Errungenschaften überzeugt? Ein paar Wochen später wurde die Welt eines Besseren belehrt. Eine ganz andere Realität zeigte sich, als die Massen vor den "Errungenschaften" die Flucht ergriffen, über die Grenzen davonliefen und die Berliner Mauer niederrissen...

Rückblickend in die Geschichte zeigt sich immer wieder dasselbe Phänomen. Als Adolf Hitler auf den Nürnberger Parteitagen und anderswo den Massen zurief: "Wollt ihr den totalen Krieg?", haben alle begeistert zugestimmt und gejubelt. Wollten sie wirklich den totalen Krieg? Wussten sie, was da mit ihnen gemacht wurde? Als die Überlebenden 1945 ratlos und verzweifelt vor den Trümmern ihrer zerstörten Städte und Landschaften standen, wollte keiner dabei gewesen sein. Von Ausnahmen abgesehen – sie haben alle nichts gesehen und gehört. Viele fanatische Anhänger eines Völkerverbrechers fanden noch Helfershelfer genug, um sich auf Jahre in sichere Gefilde dieser Welt aus dem Staub zu machen...

3. "Man sieht nur die im Lichte, die im Dunkeln sieht man nicht".

Als Bert Brecht diesen Satz schrieb, hatte er die Schwachen und Entrechteten, die Ausgebeuteten und Habenichtse im Blickfeld. Die Frage stellt sich: gibt es nicht in allen gesellschaftlichen Konstellationen und Ideologien diejenigen, die "im Dunkeln" sind, die "keiner sieht", keiner beachten und hören will? Oft scheinen sie die "Lebensordnung" der Etablierten zu stören; stellen deren Lebensstil infrage; verursachen ein schlechtes Gewissen... Dennoch: um sie bei der Stange zu halten und wenigstens vorübergehend zufrieden zu stellen, muss man für sie etwas tun. "Panem et circenses": Brot und Spiele muß man ihnen geben! Das war bereits die Praxis der römischen Imperatoren. Es stellte sich heraus: wirklich friedliche und gerechte Verhältnisse wurden dadurch nicht geschaffen.

Ich denke dabei an die christlichen kleinen Gemeinschaften in Afrika und Lateinamerika, die ich kennen lernen durfte. An die Art, wie sie miteinander lebten und Gottesdienste feierten. Die meisten waren Analphabeten, was das Lesen und Schreiben angeht, aber keine Analphabeten in Lebensfragen und Lebenserfahrungen. Ich habe mit ihnen im Kreis auf dem Boden gesessen, weil es keine Stühle gab – ebenso wie der zufällig anwesende Bischof oder Priester.

Im Mittelpunkt ihres Beisammenseins stand das gemeinsame Nachdenken und Sprechen über einen Bibeltext: In welcher schwierigen Situation befand sich damals Petrus, als er Jesus verleugnete; Judas, als er zum Verräter wurde; die Ehebrecherin, als die Umstehenden dabei waren, sie zu steinigen; der arme Lazarus, für den kein Stück Brot vom Tisch der Reichen übrig war; die heillos Kranken, die auf eine Wunderheilung durch Jesus hofften? – Wie verhielten sich die Betroffenen, wie die Nicht-Betroffenen, die dabei standen und so reagierten, wie Menschen gewöhnlich reagieren: gegenüber Versagern und Verrätern, gegenüber Armen und Habenichtsen, gegenüber Sündern und Andersdenkenden? – Wie wird das gewohnheitsmäßige Denken und Handeln durch Jesu andersgeartete Reaktionen durchbrochen? Wo und wie zeigt er Alternativen auf, so dass das Reden über Liebe und Gerechtigkeit keine "graue Theorie", kein "frommes Gerede" und kein gutgemeinter Spruch bleibt? Im Fall der Ehebrecherin z.B. rechnet Jesus nicht mit ihr ab, wie es das Gesetz erforderlich gemacht hätte. Er wendet sich viel mehr an die "Guten" und "Rechtgläubigen", an die Schriftgelehrten und Pharisäer: "Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein...".

4. "Das Törichte in der Welt hat Gott erwählt...".

Paulus hat einen ähnlichen Satz wie Bert Brecht geschrieben: "Das Törichte in der Welt hat Gott erwählt, um die Weisen zuschanden zu machen, und das Schwache in der Welt hat Gott erwählt, um das Starke zuschanden zu machen" (1 Kor 1.27). Denn vor Gott soll sich kein Mensch rühmen können...(V.29).

Es gibt viele Beispiele aus der biblischen Zeit bis heute, die zeigen, welches die Wege Gottes sind. Wenn man Paulus Recht gibt, sind diese Wege weit weg vom gescheiten theologischen Definieren und Reden der Gebildeten und Klugen; sie sind nicht zu erfahren in den hierarchisch gegliederten Amtsstuben und Hierarchien; man findet sie nicht wohltuend formuliert in unfehlbaren Sätzen und Wahrheiten. Die Wege Gottes verlaufen mitten durch das Leben.

Es ist daher dringlich, nach den "Helden und Heiligen" des Alltags zu fragen, sie in alle kirchlichen Entscheidungsprozesse und Ämter einzubeziehen. Meistens bewirken sie Großes im Kleinen und Unscheinbaren, nicht im Aufsehen erregen und äußerem Aufwand. Es sind die Sozialarbeiter, die sich um die Integration von Zurückgebliebenen kümmern; die Eltern, die ihrer Kinder und Familien wegen auf viele Annehmlichkeiten im Leben verzichten – um doch viel Freude und Glück dafür zu ernten; die Alten- und Krankenpfleger/Innen, die ohne viel Aufsehen auf das Wohl von Hilfsbedürftigen bedacht sind... Solche sind im Sinne der Bergpredigt "Licht der Welt" und "Salz der Erde".

Kirchliches Denken, Handeln und Feiern müsste von solchen "exemplarischen Menschen im Kleinen" bestimmt werden, damit der in Alltagsangelegenheiten steckende Teil der Menschheit erkennt, was "Christsein" bedeutet. Dem gegenüber ist die Versuchung groß, sich – nach dem Beispiel römischer Herrscher - auf religiös veranstaltete "Spiele" zu verlassen. Kirchliches Leben sollte sehr misstrauisch sein gegenüber solchen "Spielen", gegenüber den Höhenerfahrungen der überall sich breit machenden neuen Religiosität und Spiritualität. Biblisch jedenfalls sind und bleiben die alltäglichen und unspektakulären Formen des Glaubens und der Frömmigkeit. Räume und Zeiten dafür zu schaffen, würde die Menschen zur Freiheit des Geistes verlocken.
 


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