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Pater Fritz Köster
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Kleines Handbuch christlicher Lebensführung (VI):
Der Mensch – "zur Freiheit berufen" (Gal 4.31).

November 2006

Mit der Freiheit eines Christenmenschen ist es leichter gesagt als getan. Obwohl bereits das Neue Testament von der Freiheit spricht; obwohl vor allem in der Jetztzeit die Gewissens- und Meinungsfreiheit des Einzelnen immer wieder betont wird, bleibt dessen Realisierung dennoch eine heikle Angelegenheit. Wo kommen wir denn hin, wenn alle in Freiheit ihre eigenen Gedanken denken; ihren eigenen "Glauben" haben?
Die Freiheitsgeschichte des Menschen stellt die großen Sinn- und Deutungsentwürfe der Kirchen immer mehr infrage. Sie scheinen nicht dazu angetan, die Freiheit des Einzelnen zu fördern. Es gibt heute zahlreicher werdende Stimmen, die behaupten, allumfassende Lehren (der Kirchen) seien darauf angelegt, den einzelnen Menschen mundtot zu machen; die Vielfalt der Lebens- und Glaubenswege, damit die Freiheit des Menschen zu seinen eigenen Optionen und Entscheidungen zu zerstören. Gibt es so etwas wie einen latent wirkenden "geistigen Imperialismus", der Menschen über andere herrschen lässt? Ist es wahr, was der Philosoph Feyerabend behauptet? Er spricht von der "Tyrannei abstrakter Begriffe", die die Vernichtung der Vielfalt des Lebens betreibt; von "normativ verbindlichen Denkweisen", durch die die Welt verarme, weil das Konkrete, das jeweils Besondere, welches in jeder menschlichen Biographie vorhanden ist, missachtet wird?
Für viele Menschen ist es zwar bequem, sich einfach gängeln zu lassen. "Freiheit" ist anstrengend. Andererseits gilt – es gehört zum Werden und Wachsen des Menschen, der ja mit der Welt fertig werden muss - : "zur Freiheit berufen!" Was kann das für eine Freiheit sein?


1. Die Leidenschaft für die Wahrheit – zum Schweigen gebracht?

Das behauptet jedenfalls Paul Tillich, wenn er schreibt: "Die Leidenschaft für die Wahrheit wird zum Schweigen gebracht durch Antworten, die das Gewicht unbestrittener Autorität haben".

Solches Gewicht "unbestrittener Autorität" haben ohne Zweifel die "Experten" in Sachen Religion und Glaube. Wenn man auf sie hört, ohne selbst noch denken zu müssen oder Zweifel anmelden zu können, zerstört es die Leidenschaft des eigenen Suchens und Fragens. Solche Zustände dürften sich in dem Augenblick als besonders verheerend für Religion und Glaube erweisen, in dem Verantwortliche das "leisten", was Wittgenstein sagt: "Gelehrte Systematiker... erblicken nur, was in ihr System passt; und sind blind für alles andere".

Jörg Zink vermutet eine solche "Blindheit" bereits in der Zeit der Abfassung des Glaubensbekenntnisses im 3. und 4. Jahrhundert. Darin handle es sich um eine "ungewöhnlich schlechte theologische Arbeit". Da werde von Jesus Christus gesprochen, als sei an ihm nur eine "übernatürliche Biographie" wichtig. Er kommt von oben in unsere Welt, leidet und stirbt in ihr. Aus ihr erhebt er sich in Auferstehung und Himmelfahrt. "Was er gewirkt hat, wird mit keinem Wort gesagt, oder was er für uns sein und wie er uns helfen kann, auch nicht. Es ist, als habe er auf der Erde nichts anderes getan als zu sterben".

Hans Waldenfels findet zu ähnlichen Aussagen. Während es sich in der Vergangenheit – in Dogmen und Lehraussagen – weitgehend um die Gottheit Jesu gehandelt habe, findet heute bei den religiös Interessierten, wenn auch kirchlich Distanzierten, die menschliche Seite Jesu immer stärkere Beachtung. Im menschlichen Antlitz Jesu stoßen Menschen aller Zeiten auf die Gottesfrage...

Man könnte in der "Blindheit" für die geschichtliche Gestalt Jesu, für seine Worte und Taten im Leben vor seinem Tod, einen voreiligen Eifer für das "Übernatürliche", "Jenseitige", "Himmlische" und "Geheimnisvolle" vermuten, verbunden mit der Aufforderung an die Gläubigen, "das Irdische zu verachten und das Himmlische zu suchen". Ganz abgesehen davon, dass solche "Spiritualität" bis heute das gesamte liturgische und pastorale Geschehen beeinflusst, war es damals schon ein fundamentaler Fehler, den zweiten Schritt vor dem ersten zu tun. Der erste Schritt lautete bereits vor 2000 Jahren: Gott ist Mensch geworden; er ist uns Menschen in allem gleich geworden außer der Sünde... In der Menschlichkeit Jesu; in der Art und Weise, wie er lebte, sprach und handelte, wie er sich den konkreten Herausforderungen des Alltags stellte, ist seinen Anhängern eine Ahnung vom Göttlichen aufgeleuchtet. In seiner Menschlichkeit erkannten sie ihn als "Sohn Gottes". Sie kamen zu der Erkenntnis, "dass sich der unverfügbare Gott in Jesus von Nazaret ein Gesicht und das Wort schlechthin geschaffen hat" (Waldenfels). –

Die entscheidende Sichtweise müsste also sein: dem Menschen sein Menschsein zu ermöglichen, damit er auch Gott finden kann! Es geht um das Ausloten und Erfahren all dessen, was zum Menschsein gehört, um in der Innerweltlichkeit des Lebens ein Gespür für das Darüber-hinaus-Liegende zu entwickeln. Dem Menschen ist es aufgegeben, die Wahrheit seines Lebens zu entdecken. Mitten im Leben geht es um das Erahnen und Entdecken eines ganz Anderen.

Der Weg Gottes ist der Weg des Menschen. Er geht nicht "von oben nach unten", sondern immer auch "von unten nach oben". Es ist z.B. in den meisten Fällen ziemlich erfolglos, von der "Liebe Gottes" zu Menschen zu sprechen, die nie menschliche Liebe erfahren und gekostet haben. Man kann nicht von "Gnade" sprechen, wenn die Natur des Menschen nicht voll auf ihre Kosten kommt. Wo es um das eigene Leben geht, um eigene Wichtigkeiten, sind Menschen auch ansprechbar für die Wahrheit eines ganz Anderen.

2. Die Globalisierung des Gleichnisses vom Unkraut und Weizen.

Religiös eingestellte Menschen, Organisationen und Kirchen neigen dazu, das Wirken Gottes unter den Menschen in kluge Denkschemata zu pressen, was der Freiheit des Menschen im Wege steht. Das hat den Kabarettisten Hanns Dieter Hüsch – in der Nachfolge des Russen Dostojewski – zu der Nachricht verleitet, Gott sei aus der Kirche ausgetreten. Auch die Oberen und Mächtigen der Kirchen hätten ihm "in aller Freundschaft" nahe gelegt, das Weite zu suchen. Manche Eigenschaften Jesu hätten die Kirchen schon immer gestört: seine Leichtigkeit, die die schweren Dogmen und Glaubenssätze sprengt; seine Weite, die nicht in enge Vorschriften und Denkmuster passt; seine alte Krankheit, alle Menschen zu lieben; seine Großzügigkeit und Güte, die kleinliche und hartherzige Christen verwirrt...

Viele Menschen, die ihre eigene Freiheit sowie die "Freiheit des Christenmenschen" entdeckt haben, treten aus der Kirche aus. Sie ertragen nicht länger die schweren Dogmen und Glaubenssätze. Wenn auch die gewonnene Freiheit anstrengend ist und sogar in die Irre führen kann, so leben doch viele auf eine Weise, die ungewöhnlich ist. Millionen sind in konkreten Notlagen stets zur Stelle. Sie pflegen ihre Kranken; kümmern sich um verwahrloste Kinder; versuchen Frieden und Toleranz bei unwilligen Verwandten und Nachbarn; weisen die Bettler nicht ab; engagieren sich freiwillig und großzügig bei Naturkatastrophen, in sozialen Einrichtungen, in internationalen Konflikten...

Wenn auch Vieles in der Welt im Argen liegt – die Zahl der Helfer und Gutwilligen geht in die Millionen. Was sie tun, kommt den Anliegen Jesu in der Gerichtsrede (Mt 25.31ff) und in der Bergpredigt (Mt 5.1ff) verblüffend nahe. Sie sind weltanschaulich, kirchlich, konfessionell nicht gebunden. Der Verdacht kann dabei entstehen, als entwickle sich ein unkirchliches, nachkonfessionelles Christentum, dem es um das Heil der Welt geht, um mehr Frieden und Gerechtigkeit...

Während die Kirchen um ihre eigene Existenz ringen und ihre Lehre plausibel zu machen suchen, erweist sich Gottes Wirkweise als eine ganz andere. Sie baut auf der Freiheitsgeschichte und "Charismen" von Menschen auf, die sich – herausgefordert durch die "Zeichen der Zeit" – zum konkreten Handeln entschließen. Das Gleichnis vom Unkraut und vom Weizen nimmt globale Züge an (Mt.13.24-30). In allen Religionen und Kulturen spielt es – bewusst oder unbewusst – eine Rolle. Während das Wachsen des Unkrauts bedrohliche Ausmaße annimmt, wird auch der Weizen überall gegenwärtig.

Die neueste Shell-Studie spricht in dieser Hinsicht eine ähnliche Sprache. Wo es Menschen von heute um Werteorientierungen geht, liegen "die Gewichtungen der Gläubigen wie der Ungläubigen... nahezu gleichauf". "Zur Werteproduktion... kommt es im Zweifelsfall auf die Religion nicht mehr an".

Wenn zwei Drittel der "Kirchennahen" Umkehr und Veränderungen von den Kirchen verlangen, kann dies nur dadurch gelingen, dass zwei Faktoren miteinander in Einklang gebracht werden. Erstens geht es um das Ernstnehmen der Freiheit, Selbstverantwortung und Kompetenz der Menschen und zweitens um das Ernstnehmen dessen, was bereits Paulus schreibt: "Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit" (2Kor 3.17) und: die ganze Schöpfung soll befreit werden "zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes" (Röm 8.21).

Den Kirchen ist dabei eine mühsame und ungewollte Kopernikanische Wende aufgetragen. Es geht nicht um ihren Selbsterhalt und ihre wohl vertrauten Regeln und Riten, sondern um das Werden und Wachsen des Reiches Gottes mitten in der Welt. Dabei müssen sie eine verständliche Sprache finden und ihre Lehr-Kompetenz neu überdenken, so dass sich Gläubige und Ungläubige in ihrem Engagement mitten in der Welt bejaht und gestärkt finden. Sie müssen möglichst viele Menschen ermutigen, eigene Entscheidungen zu treffen, Kommunikations- und Handlungsprozesse in Gang zu setzen, die nützlich sind. Je bedrohlicher das Unkraut in der Welt wuchert, desto mehr Bereitschaft findet sich zum Reagieren. Die Kirchen müssen sich abgewöhnen, für die Menschen Prioritäten zu setzen. Sie können es nur mit ihnen zusammen.

 


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