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Was ist Religion (2)? :
Gefühl, Rausch, Erlebnis, Event?
Juli 2005
Es war ungefähr vor 25 Jahren. Damals reiste ein Bischof aus dem Vatikan
in Deutschland herum, um Weltjugendtage mit dem Papst ins Leben zu rufen. Er
fragte auch mich: ob ich bereit sei, im Raum München diese neue Initiative
zu organisieren und zu koordinieren? Vor mir hatte er schon andere gefragt.
Im Gespräch bekam ich deren negative Reaktionen zu hören. Sie hatten aus
verschiedenen Gründen abgewinkt. Meine Frage: warum schließt sich der Papst
nicht den Weltjugendtagen von R. Schutz (Taize’) an? Dieser zieht die Jugend
weltweit an; er verkörpert eine ansprechende, überzeugende Spiritualität und
Glaubensausrichtung! - Ich bekam die Antwort: Genau das ist das Problem. Wie
kann man einem Protestanten die alleinige Initiative überlassen? Was R.
Schutz kann, das kann der Papst auch...
Diese Antwort hat auch mich veranlasst, abzusagen und bis auf den heutigen
Tag skeptisch zu bleiben. Bis heute frage ich mich: wäre es nicht wirklich
besser gewesen, eine solche Initiative "ökumenisch" zu ergreifen und zu
gestalten? Im Blick auf Köln im August dieses Jahres zeigt sich wie schon
oft dasselbe Bild: ein paar Stunden Erlebnischristentum weltweit wird wie
der Sand am Meer im Winde verwehen - trotz ungeheurem Aufwand an Personal
und Geld. Knapp 100 Millionen soll das Großereignis in Köln kosten. Der
Papstaltar, für eine Kundgebung aufgebaut, schlägt angeblich mit 1,5
Millionen zu Buche. Das Ausleihen einer Bühne, wie sie junge Leute für das
Aufführen von Konzerten gewohnt sind, würde ca. 100.000 Euro kosten.
Wer soll das bezahlen? Wer hat soviel Geld? Hätte man Geld und Aufwand nicht
für viel wichtigere und effektivere Dinge gebrauchen können? Köln könnte
unter dem Strich nicht nur für ein religiöses Weltereignis stehen, sondern
auch für eine zum Himmel schreiende Sünde...
Aber etwas Wichtigeres gilt es im Zusammenhang mit solchen und ähnlichen
Großereignissen zu bedenken. Auch die römischen Massenveranstaltungen im
Zusammenhang mit dem Tod Papst Johannes Pauls II. und der Wahl seines
deutschen Nachfolgers bekunden den Versuch, aus der Religion medienwirksam
das zu machen, was sie nicht ist: Gefühl, Rausch, Erlebnis..., wenn diese
auch am meisten ansprechend sind. Ein italienischer Schriftsteller schrieb
in diesem Zusammenhang: "Daß Religion... keinen Einfluß mehr auf das
Verhalten der Menschen in Italien ausübt, hat bisher noch in keiner Weise
etwas an ihren Kirchengewohnheiten geändert". -
Die Teilnahme an kirchlichen Zeremonien, z.B. aus Anlaß der Investitur von
Bischöfen und Kardinälen, der Einführung des Papstes in sein Amt... sei
selbstverständlich. "Aber diese Zeremonien haben nichts mit Glauben zu
tun". - Haben religiöse Massenveranstaltungen solcher Art überhaupt etwas
mit Glauben zu tun? G.L. Lichtenberg (gest. 1799) hat bereits vor über 100
Jahren die Frage gestellt: "Ist es nicht sonderbar, dass die Menschen so
gern für die Religion fechten und so ungern nach ihren Vorschriften
leben?" - Und der bekannte Satiriker Gerhard Polt hat einmal in Erinnerung
gerufen, dass zur Zeit des Kaisers Trajan (98-117) manchmal an einem Tag in
Rom - bei Gladiatorenkämpfen; Tierhetzen und Zirkusspielen - 5000 Christen
getötet wurden. Unsere Zeit sei gar nicht so unähnlich. Er schreibt: "Lassen
Sie dieselben Schauspiele im Münchner Olympiastadion durchführen, das
Stadion ist voll. Die Löwen brächten wir schon her, aber 5000 Christen nicht
mehr".
Religiöse Massenveranstaltungen können Selbsttäuschungsmanöver sein,
Lebenslügen. Sie lassen bei Nachdenklichen leicht den begründeten Verdacht
aufkommen, man wolle mit Hilfe von Zeremonien, feierlichen Liturgien,
aufwendigen Festlichkeiten und medienwirksamen Inszenierungen die
entscheidende "Sünde" überdecken bzw. verdrängen, die heute das eigentliche
Problem darstellt: nämlich es nicht fertig gebracht zu haben, die Religion
menschennah, lebensnah, wirklich tragfähig fürs Leben verkündet und
gestaltet zu haben... Religion, die das Verhalten von Menschen nicht mehr
prägt - was ist das für ein Religionsverständnis?
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