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Pater Fritz Köster
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Was ist Religion (6)? :
Die Frage nach dem unbekannten Gott.

September 2005

Tatsache ist: niemand hat Gott je gesehen; niemand kann letztlich Auskunft geben über den, den die Menschheit "Gott" oder "göttliche Urkraft" zu nennen pflegt. Gott ist der oder das große Unbekannte. Person? Göttliches Prinzip? Allherrschende Kraft? Vorantreibende schöpferische Dynamik? Eine eindeutige Antwort gibt es nicht.

Der Apostel Paulus, als er in Athen die vielen Altäre und Anbetungsstätten beobachtet, spricht von dem "unbekannten Gott", den alle verehren; der das ganze Menschengeschlecht erschaffen hat; der "keinem von uns fern ist"; den es zu suchen und zu ertasten gilt; der den Tag des Gerichtes für den Erdkreis festgesetzt hat...(Apg 17.22-31).- An einer anderen Stelle ist von dem "Herrn der Herren" die Rede, "der allein die Unsterblichkeit besitzt; der in unzugänglichem Lichte wohnt; den kein Mensch gesehen hat noch zu sehen vermag: ihm gebührt Ehre und ewige Macht"(1 Tim 6.16). -

Dieser Gott, von dem alle Völker und Kulturen in einer anderen Sprache reden, ist bis heute der große Unbekannte geblieben. Der Buddhismus spricht von einem göttlichen Urgrund aller Dinge. Aus ihm geht alles hervor; zu ihm kehrt auch der Mensch zurück - auf dem mühevollen Weg der vielen Wiedergeburten. Das Nirwana ist das göttliche Urmeer der ewigen Ruhe und des tiefen Schweigens. - Der Islam spricht von Allah, der durch kein Bild und keine Vorstellung gegenständlich sichtbar gemacht werden kann; der dem Propheten ewige und unveränderbare Wahrheiten ein für allemal mitgeteilt, ins Ohr geflüstert hat... Im Judentum und Christentum entwickelt sich der Glaube an den Einen Gott, den Schöpfer des Himmels und der Erde, den - wie Paulus sagt - "kein Mensch zu sehen vermag".

Obwohl der große Unbekannte, benennen ihn die Menschen mit hundert Namen, Vorstellungen, Deutungen: er ist allmächtig, allweise, allgütig, gerecht, schöpferisch, heilend und erlösend tätig. Er ist verborgen, unerforschlich, unergründlich, zornig, richtend und strafend... Er stellt unsere gesamte Lebenswirklichkeit als relativ, unvollendet, unerlöst in Frage... Im Christentum sendet er seinen Sohn in die Welt, um der gefährdeten Schöpfung einen Weg zu weisen, einen neuen Anfang zu setzen...

Vielleicht haben diese unzähligen Eigenschaften Gottes weniger mit Gott zu tun als viel eher mit menschlichen Lebenslagen, in denen die Menschen ihre jeweilige Existenz zu ergründen versuchen. Wer in seiner Kindheit einen strengen und autoritären Vater erlebt hat, für den wird Gott leicht zu einem Richter und Bestrafer. Wer einen besonderen Hang nach Macht, Einfluss und Karriere hat, beansprucht den Namen Gottes leichtfertig als Allmächtigen und Herrscher, der es verdient, - wenn nötig - mit Feuer und Schwert auf der Welt bekannt gemacht zu werden. Wer konfliktscheu ist und keine Spannungen auszuhalten vermag, für den ist Gott nur voller Güte und liebevoller Barmherzigkeit. Wer sein Leben gerne nach Gesetz und Ordnungsprinzipien gestaltet, für den ist Gott die Begründung für unverrückbare (knallharte) Anordnungen und unwiderlegbare Standpunkte...

Solche und andere Ambitionen haben alle gemeinsam, dass sie dem großen Unbekannten auf die Spur zu kommen versuchen. Sie sind Ahnungs- und Erfassungsversuche gegenüber dem Transzendenten und Grenzenlosen, der in Wirklichkeit unerkannt ist und bleibt. Paulus, der darum weiß, sieht seine Aufgabe darin, ihn zu verkünden. Dies wurde nur dadurch möglich, weil Gott in der geschichtlichen Gestalt Jesu Fleisch angenommen, buchstäblich Mensch geworden ist. Über dieses Geheimnis will Paulus "nicht in Unwissenheit lassen" (Röm 11.25); er versteht sich als "Ausspender des Geheimnisses Gottes" (1Kor 4.1), welches das Geheimnis Christi ist (Kol 4.3).

Seitdem ist für die Christenheit die Sprache Gottes nur durch eine Menschengestalt zu verstehen. Wer also Gott ergründen und angemessen erahnen möchte, muss auf Christus schauen, auf das, was er gesagt und getan hat; auf die menschlichen Situationen, in denen er gelebt hat und die er so oder so gemeistert hat; auf die Art und Weise, wie er mit den Menschen umgegangen ist - sie kritisch unter die Lupe nahm oder sie aus ihrer Niedrigkeit befreite; wie er selbst sein Leben verstanden und "eingeordnet" hat in das große, alles umfassende Schöpfungs- und Erlösungsgeschehen Gottes mit der Welt, welches erst am Ende seine Vollendung findet; wie er auf vielfältige Weise mit Worten und Taten den Menschen für alle Zeiten ein Beispiel gegeben hat, wie es gottgemäß und sinnvoll Leben zu gestalten gilt - selbst noch mitten in Niederlagen und Katastrophen.

In diesem sehr konkreten Sinne ist das Christentum keine Religion, wie die Religionswissenschaft sie versteht; duldet auch keine abstrakte Theologie um ihrer selbst willen, zumal sie dazu neigt, nicht zuzugeben, dass sie mit all ihren Äußerungen im Dunklen, im Ungewissen tappt - und das umso mehr, je fleißiger sie auf magische Art versucht, das angeblich Unverfügbare in Worten, Symbolen und Begriffen verfügbar zu machen. Wenn überhaupt eine Lehre, dann ist das Christentum eine Christologie, die einzig und allein nach Christus fragt, nach jenem "exemplarischen Menschen" (K. Jaspers), den die Christenheit als "Sohn Gottes", als "Gottgesandten" versteht; der die Wege Gottes kundtut; der für die Menschen zum Maßstab und Anhaltspunkt für alle christliche Lebensgestaltung geworden ist.

Solange das Christentum den unbekannten Gott in wohlformulierten Lehrgebäuden zu fassen versucht, kann es zwar den Gottesbezug in der Europäischen Verfassung einfordern; aber wenn es keinen lebendigen Bezug zu den Wurzeln der eigenen Tradition überzeugend vorzuweisen vermag, bleibt der Hinweis auf "Gott" eine Worthülse ohne wirksame Bedeutung. - Man kann auch in der modernen Massengesellschaft eine neue christliche Spiritualität auszumachen versuchen und sich darüber freuen. Aber ohne die handfesten gesamtmenschlichen Wurzeln bleibt dieses Wort in der Bedeutung nebulös und ungewiss; beliebig deutbar und anwendbar. - Ebenso ist es mit der sog. Sinnfrage bzw. Sinn-Angebot. Der Eindruck wird hinterlassen, als lasse sich diese Frage von "Kennern" ein für allemal für alle beantworten. In Wirklichkeit möchte sich niemand mehr von irgendwelchen Autoritäten vorschreiben lassen, welches der Sinn seines Lebens ist. Das will und muss jede/jeder für sich selbst herausbekommen. Es handelt sich ja nicht um einen simplen Gegenstand, auf den man verweisen könnte. Den "Sinn" für alle und für jeden gibt es nicht. Was das Leben sinnvoll macht, ist die Erfahrung einer bestimmten Lebens- und Handlungsweise. Was macht mein Leben sinnvoll, lebenswert, lohnend? - diese Frage zu beantworten, ist dem Einzelnen als Aufgabe aufgegeben. Sie zu beantworten - dauert ein Leben lang.

Die Realität der traditions-lastigen Kirche(n) wird der Personwerdung des Menschen wenig gerecht. Was sie in Theologie und Liturgie treibt, ist etwas Exotisches, welches auf einem anderen (theologischen) Planeten wächst. Es werden dem Menschen immer wieder neue Katechismen und Glaubensbücher zugemutet. Was "die Kirche" glaubt, wird (vergeblich) wie eine Glasglocke über die Menschen gestülpt. Diese werden dann als besonders "gläubig" eingestuft, wenn sie bestimmte theologische Formeln auswendig gelernt haben und bei Festlichkeiten dabei sind. Würde die Kirche ihre ursprüngliche religions-pädagogische Aufgabe wiederentdecken und ernst nehmen, müsste sie es lernen, an den drei Dimensionen des religiösen Bewusstseins anzuknüpfen, die es im Menschen gibt.

Die erste ist ein Ahnen, ein Fühlen, ein Hoffen auf etwas "ganz Anderes". Dieser "Gott" bleibt im Ungewissen, ist unbekannt. Zu behaupten, ihn zu kennen und dauernd über ihn zu reden, ist auf Dauer ermüdend und kontraproduktiv. Man hört nur noch mit einem Ohr hin, und das auch nur bei feierlichen Anlässen. In Wirklichkeit begegnet der Mensch dem Transzendenten als "tremendum" und "fascinosum" (R.Otto) - als furchterregend-gewaltig und faszinierend-erhaben. Man kann es feiernd erahnen, ihm tanzend und magisch-beschwörend Huldigung erweisen.

Religiöse Massenveranstaltungen, Events, Weltjugendtage... werden dieser Veranlagung des Menschen am meisten gerecht. Der Kirche gelingt es aber weitgehend nicht mehr, die Menschen und deren Lebenseinstellungen mit der zweiten Stufe in Einklang zu bringen: mit ihrer Lehre, ihrer Tradition, ihrem Kult und ihren Strukturen. Obwohl die Bemühungen der Kirche in dieser Richtung enorm sind, bleibt die Mehrheit der Menschen in ihren Lebenseinstellungen unbeeindruckt. Für sie ist die "Amtskirche" in vielen Lebensfragen "weit weg" und weltfremd. Was sie sagt, ist ohne nachhaltige Bedeutung. "Einen Katechismus besitzen wir zwar; aber er verstaubt im Bücherregal" - ist immer wieder zu hören. Es ist schlicht nur eine elitäre Minderheit, die auf dieser Stufe des religiösen Bewusstseins beheimatet ist: die Amtsträger, die Fachleute und Theologen, die Kirchenbeamten. Bisweilen ist es aber auch nur ihr "Job".

Die dritte Stufe des religiösen Bewusstseins könnte man als konsequente und strenge Orientierung am Gründer bezeichnen. Wahrscheinlich ist dies die eigentliche Krankheit der Kirche(n): bei allem Pomp und theologischen Getöse fehlt oft der klare Durchblick zu ihrer ureigenen Aufgabe. Jesus wird eher als Aushängeschild und Etikett benutzt, um kirchlichen Ambitionen (vergeblich) Kraft und Überzeugung zu verleihen. Denn was de facto gedacht und getan wird, hat mit dem Gründer wenig zu tun. Sich hinter der "gottgewollten Tradition" verstecken, macht die Sache auch nicht überzeugender. Denn die Frage, ob die heiliggehaltenen Traditionen die Entfaltung des Ursprünglichen sind oder dieses sogar verdecken und verhindern - diese Frage wird gar nicht erst zugelassen.

Es bleibt auf Zukunft hin noch viel zu tun, um zu dem wieder fähig zu werden, was Paulus treibt: den "Unbekannten" so zu verkünden, dass er trotzdem der Unbekannte und Unverfügbare bleibt.

 


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