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Gedanken über ZeitenWende - WendeZeiten (V):
"Werteverlust". Die Rolle
der Kirchen und Christen.
Januar 2005
Der frühere Bundespräsident Roman Herzog hat den "Verlust der
Werte" als das Schlimmste an unserer gegenwärtigen Gesellschaft bezeichnet.
"Immer mehr Eltern geben ihren Erziehungsauftrag an die Schule ab". Man
könnte dem hinzufügen: an die Spaß- und Konsumgesellschaft. Von ihr werden
Kinder und Jugendliche stets mit einem Riesenangebot an Computerspielen, CDs,
Musikkasetten, Mode- und Markenartikeln buchstäblich bombardiert. Pisa-Kinder
kommen dabei kaum zum Nachdenken. Die Konsequenzen einer "Erwerbs- und
Gewinngesellschaft", die den Sinn für ethisch-religiöse Normen verloren hat,
wurden von dem Soziologen Max Weber bereits vor 100 Jahren
vorausgesagt: Es entstehen "Fachmenschen ohne Geist, Genussmenschen ohne
Herz: das Nichts bildet sich ein, eine nie vorher erreichte Stufe des
Menschentums erstiegen zu haben".
Wie auch immer die gegenwärtige Entwicklung der Gesellschaft beschrieben wird
- Familien, Staat und Kirchen haben sich gemeinsam ein hohes Maß an
Versagenspotential zuzuschreiben. Sie haben gemeinsam ihre Autorität
verloren. Den Christen ist ihre Identität abhanden gekommen. Welches müßte
die Rolle der Kirchen und Christen sein?
Es wird heute viel von der "Kirchenkrise" gesprochen, von
"ausblutenden Gemeinden". Zu Recht. Der Prozeß des Schrumpfens und der
christliche Image-Verlust sind unübersehbar, nehmen sogar lebensbedrohliche
Züge an. Allerdings gibt es auch Gegenmaßnahmen. Sie heißen:
Umstrukturierung der Diözesen und Gemeinden; Zentralisierung der
Großgemeinden und Konzentration auf die "Hauptkirche", zu der die Menschen
eilen (sollen), um sich "geistig" und "spirituell" versorgen zu lassen;
Gemeinden "lebendig" machen; die Menschen "guten Willens" dort abholen, wo
sie sind (Wer holt da Wen ab? Wer will überhaupt abgeholt werden?);
besondere Wendezeiten im Leben pflegen und kultisch feiern (Geburt, Hochzeit,
Lebenswenden verschiedenster Art...).-
Die christliche Botschaft, die weitergegeben werden soll, strotzt von
unverständlichen Begriffen und feierlich-leeren Worthülsen. Von
"froher Botschaft" ist die Rede; von Glaubensweitergabe; von festgelegten
Glaubensinhalten; von Menschen, die sich von der Botschaft begeistern lassen
sollten (aber sich nicht begeistern lassen)... Was ist mit diesen und anderen
Begriffen konkret gemeint?
Drei Beobachtungen werden unübersehbar. Erstens wirbt hier eine
Kirche für sich selbst und den Erhalt ihrer eigenen Zukunft. Die Kirche macht
"Image-Pflege" in einer Zeit, in der sich eine wachsende Mehrheit lautlos von
ihr verabschiedet. -
Die zweite Beobachtung stellt ein Dilemma dar. Es macht die
Sprachlosigkeit bei gleichzeitiger theologischer Sprachmächtigkeit
deutlich. Jahrhunderte lang wurden die "jesuanischen Anliegen" in eine
philosophisch-theologische Sprache gegossen, die eigentlich nur die Fachleute
verstehen. Deren Inhalte werden mit Elan und Ehrgeiz - "von oben nach unten"
- weitergegeben. Sie kommen trotz aller Anstrengungen de facto "unten" aber
nicht an - höchstens zeitweilig als auswendig gelerntes Katechismuswissen,
welches sehr schnell wieder in Vergessenheit gerät (Anzeichen für die
Nichtbrauchbarkeit im Leben?).
Daraus ergibt sich ein drittes folgenschweres Dilemma. Die Christen
sollen sich mit "Kirche" identifizieren, den Glauben an andere weitergeben
und sich für beides einsetzen... Sie haben aber selbst eine sehr schwach
entwickelte - wenn überhaupt - "christliche Identität" (weil daran gewöhnt,
stets von "Zuständigen" versorgt und betreut zu werden).
Deshalb zwei Behauptungen: wo dauernd der Blick auf "Gemeinde" und
"Kirchenerneuerung" gerichtet ist, werden von vorneherein die ausgeschlossen,
die zwar gläubig und christlich sein wollen, also "guten Willens" sind, aber
von der herkömmlichen Form und Verfassung ihrer Kirche nichts halten (die
sich aus welchen Gründen auch immer von der Kirche verabschiedet haben). Ein
Wort von Papst Johannes Paul I. kann hier in Erinnerung gerufen werden: "Die
Menschen verlassen die Kirche, weil die Kirche sie zuerst verlassen hat." -
Die zweite Behauptung: solange Christen ihre originäre Rolle nicht
finden; solange sie sich nicht mit der "frohen Botschaft" (was ist das
überhaupt?) identifizieren können; solange sie keinen "Selbststand" haben,
der ihnen hilft, etwas authentisch zu vertreten (statt dauernd nach
"Zuständigen" Ausschau zu halten) - solange gibt es keine Hoffnung auf neue
christliche Impulse für Gegenwart und Zukunft.
Im Blick auf gesellschaftliche Umwälzungsprozesse und vor allem: im
Blick auf das Vordringen des Islam stellt sich die Frage: wozu sind
Christen überhaupt noch gut? Als erster Schritt zu ihrer Beantwortung
müsste endlich zur Kenntnis genommen werden, dass die Sprache Jesu und der
Schrift nicht theologisch-abstrakt war, nicht "von oben nach unten"
verlief, sondern konkret-innerweltlich, situations- und menschennah,
heilsgeschichtlich-dynamisch. Sie wurde aus dem "Jetzt", dem "Hier und Heute"
heraus gesprochen und vermochte so die Bedeutung einer Botschaft für die
Gegenwart und Zukunft der Welt verständlich zu artikulieren.
Sechs Antworten auf die Frage, wozu Christen überhaupt noch gut sind,
sollen dieses verdeutlichen. Sie sollen jedem christlich Fragenden und
Suchenden - gleich welchen Geschlechts und welcher Bildung - die
Möglichkeit geben, sich leicht und verständlich damit identifizieren zu
können, um sich so "aktiv" auf jenen Prozeß einzulassen, den Jesus selbst im
Blick auf die zu heilende und zu erlösende Welt in Gang gesetzt hat:
- Christen sind sich gut genug, um auf den Ursprung zu blicken,
der ihnen den Namen "Christen" gegeben hat: auf die Person und Gestalt
Jesu Christi.
- Christen halten Ausschau nach Christus: nach seinem Leben, nach seinen
Worten und Taten, die die Menschen damals als heilsam und erlösend
empfunden haben (vgl. die Wunder Jesu, sein Umgang mit den Armen und
Ausgestoßenen usw.). Dabei versäumen sie nicht, auch jene
"exemplarischen Menschen" (Karl Jaspers) in Betracht zu ziehen, die in
ihrer jeweiligen Zeit glaubwürdig die Anliegen Jesu vertreten haben.
Freunde, Verwandte, "Vorbilder", "Heilige" ...spiegeln in konkreten
Lebenslagen das "lebendige Antlitz Gottes" wider.
- Christen konfrontieren sich ständig mit der Frage, ob ihre
Existenzberechtigung nur darin besteht, dass durch sie die Worte und
Taten Jesu fortgesetzt werden. Wie damals, so müssen sie sich auch für die
Menschen und für die Welt von heute als heilsam und erlösend erweisen.
Solche "Fortsetzung" nur traditionellen Kirchenbesuchern zuzumuten, wäre
eine verhängnisvolle Fehleinschätzung. Die weltweite Solidarität und
Hilfsbereitschaft, wie sie die Asienflut im Indischen Ozean
ausgelöst hat, machen die Kapazitäten deutlich, die im Menschen liegen.
Warum gelingt es den Kirchen immer weniger, diese zu mobilisieren?
Umgekehrt muß nach den Konsequenzen Ausschau gehalten werden für
den Fall, dass Jesu Worte und Taten keine Fortsetzung finden.
Streitigkeiten, Kriege, Unversöhnlichkeiten aller Art sind immer Indizien
dafür, dass die "Einübung ins Christentum" aus dem Lot geraten ist.
- Christen sehen ihren Auftrag und ihre Daseinsberechtigung darin, dass
durch sie die Worte und Taten Jesu weitergehen: die der Liebe, des
Verzeihens, der Gerechtigkeit, der Wahrheit, der Toleranz, des Dialoges
und der Gemeinschaft. Solche lebenswichtigen Werte immer wieder
"auf den Punkt gebracht" - dazu bedarf es des Mutes zu eigenen Optionen,
der schöpferischen Kraft und Begabung. Wie solche Werte jeweils zu
realisieren sind, kann "von oben" nicht verordnet werden. Menschen müssen
es selbst lernen - je nach Lebenslage und eigener Begabung. Sie müssen zu
diesem Lernen angeleitet werden. Kirchen, die solche Wahrheiten durch das
Indoktrinieren von "Lehrsystemen" verdrängen und verhindern, ignorieren
den Menschen und seine Fähigkeiten. So graben sie sich selbst ihr eigenes
Grab.
- Christen sind der Meinung, dass nur durch Lebenserfahrungen Glaube und
Hoffnung mit Leben erfüllt werden können. Aber auch Zusammenkünfte,
die Feier der Sakramente und der Gottesdienste erhalten durch das
Zur-Sprache-Bringen des Lebens ihren "Sitz im Leben". Ohne
Lebensereignisse wird jede Religion unversehens leer und langweilig.
- Christen wissen, dass sie zur Hoffnung berufen sind. Alles das,
was durch sie im Namen Jesu geschieht, gleicht einem Sauerteig, einem
Samenkorn, welches wächst, bis es im Reich Gottes seine Vollendung findet.
So leben Christen nicht nur voll im "Diesseits". Alles, was sie tun, ist
auch auf jene Zukunft hin ausgerichtet, die als "Jenseitigkeit und
Zukünftigkeit Gottes" beschrieben werden kann.
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