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Sonntagsgedanken für den Alltag (11):
"Neu-Evangelisierung" – wie soll das gehen?
(Nach Joh 14.1-12; Ev. vom 5. Sonntag der Osterzeit A)
Juni 2011
Schon der Vorgängerpapst Johannes Paul II. hat von der Notwendigkeit der
"Neu-Evangelisierung" gesprochen. Benedikt XVI. hat im Oktober 2010 seinen
Plan für die "Neu-Evangelisierung" bekannt gegeben. Für ihn ist ein
besonderes Merkmal unserer Zeit die "Abkehr vom Glauben". Als Gegenmittel
empfiehlt der Papst "die Verbreitung und Anwendung des päpstlichen
Lehramtes"; den "Gebrauch des Katechismus der katholischen Kirche"; die
"Pflege der traditionellen christlichen Volksfrömmigkeit". – Auf dem Boden
dieser Empfehlungen sollen Menschen sich zu "Formen des Dialogs"
zusammenfinden, welche "die tiefsten Erwartungen der Menschen und ihren
Durst nach Gott auffangen".
Wenn wir das heutige Evangelium lesen, scheint es weit entfernt zu sein von
dem, was der Papst unter "Evangelisierung" versteht. Dieser scheint nach wie
vor einem Verständnis vom "abendländischen Christentum" verhaftet, welches
die Botschaft Jesu "philosophisch" zu verstehen versuchte und ebenso
verbreitete. Gemäß diesem Verständnis gibt es die "Wahrheiten des Lehramts",
die die Gläubigen nur abzuberufen haben, um sie im "Katechismus der
katholischen Kirche" zu lernen und in ihrer Volksfrömmigkeit zu
praktizieren. Ganz abgesehen davon, dass dieser Weg im Kampf gegen
Andersgläubige schon immer gegangen worden ist, haben die vielen Katechismen
seit 1950 gezeigt, dass sie ohne Wirkung bleiben. Das Christentum
"philosophisch" zu verstehen bedeutet, es nicht zu verstehen. Zudem hat der
Anspruch auf "Wahrheit" die Menschheit religiös mehr gespalten als geeint.
Das Evangelium gibt Empfehlungen anderer Art. Dabei ist es zunächst
wichtig, daran zu erinnern, dass Jesus seine Botschaft nicht in der Wüste,
sondern in der fruchtbaren Gegend um den See von Gennesaret verkündet hat.
Der Einklang mit der Natur symbolisiert Zugehörigkeit, Einklang, Heimat,
Verwurzelung, Geborgenheit... Christen damals wie heute haben immer wieder
versucht, Gemeinschaften zu schaffen und zu leben, in denen solche
Zugehörigkeitserfahrungen gemacht werden konnten. Denn zur "Evangelisierung"
gehört primär, das Zusammenleben von Menschen so zu gestalten, dass alles
Widerwärtige, Gehässige, Egoistische, Konkurrierende, Machtbesessene...
immer weniger Nahrung findet. Menschen neigen dazu, anderen um des eigenen
Vorteils willen zu schaden, ihnen die Augen auszukratzen und Steine zu
werfen. Das sollte bei Christen immer weniger möglich sein! Wenn
Naturforscher behaupten, dass Menschen oft schlimmer sind als Tiere, dann
geht es im Namen Gottes darum, alles Tierische und Triebhafte in den Griff
zu bekommen und zu kontrollieren. Die Ich-, Du- und Gemeinschaftsfindung
lässt sich nicht mit einem gelernten Katechismus, übervoll von "Wahrheiten",
erreichen.
Im Sinne des Evangeliums ist in der heutigen Weltsituation ein zweites
Element zur "Neu-Evangelisierung" vonnöten. Die Menschheit lebt nicht mehr
unter dem Zeltdach bzw. der Weltsicht der Griechen und Römer, eher unter dem
Eindruck von "Urknall" und Evolution. Die naturwissenschaftliche Weltsicht,
welche Kindern und Jugendlichen schon sehr früh vermittelt wird, lässt die
dringende Frage aufkommen: Hat Jesus, wie auch andere große
Menschheitsgestalter, den Völkern nicht eher "Schübe" in Richtung einer
Evolution gegeben, die mit dem Zusammenleben der Menschen etwas zu tun
haben – über sprachliche und rassische Grenzen hinaus? "Schübe" zu mehr
Frieden statt Kriege, zu mehr Gerechtigkeit statt Egoismus, zu mehr
Zusammenarbeit statt Rivalitäten, zu mehr Ausrichtung auf das Heil und die
Rettung der Welt statt kirchlich-konfessionelle Rechthabereien, zu mehr
Freiheit und Verantwortung statt ideologische und theologische Gängelung...
Wie die Predigt Jesu auf das Volk und die Stämme Israels konzentriert war,
so müssten drittens die Ziele und Aufgaben der Christen von heute auf
die "Schübe" konzentriert sein, die die Menschen und Völker zum friedlichen
Zusammenleben dringend brauchen. Aus der Sicht eines "philosophisch"
missverstandenen Christentums kann allerdings leicht der Verdacht aufkommen,
dass hier zu viel "Horizontalismus" und "Pragmatismus" gefordert wird; dass
zu wenig Achtsamkeit auf "Übernatürlichkeit" und "Geheimnis" besteht. Dieser
Gefahr wirkt Jesus im Evangelium entgegen: Er nimmt seinen Jüngern nicht die
Verantwortung für ihren Auftrag in der Welt. Zugleich gibt er ihnen die
Verheißung: "Im Hause meines Vaters sind viele Wohnungen... Ich gehe, um
euch einen Platz zu bereiten".
Jesus, als Mensch unter Menschen, stellt alles Tun zum Heil des Menschen und
der Welt in einen heilgeschichtlichen Zusammenhang. Alles Gute ist wie ein
Samenkorn, welches wächst bis zum Tag der Ernte Gottes. Vielleicht ist dies
der entscheidende Punkt für die heutige Verkündigung: den Menschen einen
"Ort" zu geben in diesem heilgeschichtlichen Geschehen Gottes mit der Welt;
sie zu einem verantwortlichen ethischen Handeln zu bewegen, weil alles im
Horizont des wachsenden Reiches Gottes zu verstehen ist. Wenn Kirchen eine
Zukunft haben wollen, müssen sie – statt um Selbsterhalt – um diese
Botschaft Jesu kämpfen. Das ist der "Glaube", der Hoffnung macht und
zugleich die Welt überwindet.
Wenn wirklich der Versuch gemacht wird – wie immer wieder gefordert - "die
Menschen dort abzuholen, wo sie sind", dann muß biblisches Denken wieder
gelernt werden. Damit verbunden ist die "Gefahr", dass Lehrämter und
Katechismen immer weniger gefragt werden. Das Projekt des philosophisch und
theologisch hoch gebildeten Papstes zur Neu-Evangelisierung könnte allzu
schnell zum Scheitern verurteilt sein. Man kann keinen neuen Wein in alte
Schläuche gießen...
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