Sonntagsgedanken für den Alltag (12):
Warum das Kreuz täglich auf sich nehmen?
(Nach Mt 10.37-42; Ev. vom 13. So. im Jahreskreis A)
Juli 2011
"Was ich durchgemacht und erlitten habe – ich möchte es nicht noch einmal
erleben. Aber missen möchte ich es auch nicht!" – Wie oft habe ich solche
erkenntnisreiche Erfahrung schon zu hören bekommen. Wer sie aussprach – das
waren Schwerkranke, vom Leben tragisch Gezeichnete, durch Lebenskrisen und
Lebenskatastrophen an den Rand des Abgrunds Geführte, nach Tiefschlägen und
Enttäuschungen gerade noch einmal Davongekommene...
Seltsam, dass Menschen zu solchen "Bilanzen" ihres Lebens kommen. Sie
möchten das Schwere, das sie erlitten haben, nicht missen! Offensichtlich
hat das Leid, welches sie erdulden mussten, zu Einsichten und erleuchtenden
Erkenntnissen geführt, die sie ohne das durchgestandene Elend nicht haben
würden. Das Leben ist reicher, wesentlicher, sinnvoller geworden. Es ist
möglich geworden, viel Oberflächliches und Nebensächliches abzuschütteln und
es nicht mehr zu wichtig zu nehmen; sich selbst nicht mehr als Mittelpunkt
der Welt zu erleben, weil es noch etwas ganz Anderes geben muß, welches die
Welt und das Leben zusammen hält. Ein Liedtext bringt die Wende des Menschen
zu seinem zentralen Lebenssinn zum Ausdruck: "Alles ist eitel, du aber
bleibst, und wen du ins Buch des Lebens schreibst". –
Menschen, die exklusiv auf die Dinge und Güter der Welt ausgerichtet sind,
werden blind und taub für das, was es "darüber hinaus" noch gibt. Leid und
Kreuz verhelfen dazu, die religiöse Dimension in sich zu entdecken, die
Sehnsucht nach etwas Bleibendem und Ewigen – jenseits aller Kleinkrämereien
und Engstirnigkeiten des banalen Alltags. Das meint auch das Evangelium,
wenn es etwas Unzumutbares ausspricht: die Welt ist voller Kreuze; die Dinge
haben ihre Tränen und Traurigkeiten; auch Vater und Mutter, Sohn und Tochter
sind letztlich keine Heilbringer, so wichtig sie in manchen Angelegenheiten
zu sein vermögen. Alles und alle gehören zum "Eitlen" und Hinfälligen der
Welt, wenn es um die Suche nach dem Ewigen geht.
Auf den Lebenswegen, die Menschen zu gehen haben, darf es nicht dazu kommen,
das Ewige in frommer Vertiefung und Einbildung vorweg zu nehmen. Den
Realitäten gilt es nicht auszuweichen, wenn sie auch als begrenzt und
borniert erscheinen. Es gilt nicht die Flucht vor den Gegebenheiten, sondern
"das Kreuz auf sich zu nehmen", weil im Tod des Ertrinkens in den Dingen
dieser Welt die Kräfte zum "anderen Leben" mobilisiert werden – ausgestattet
mit neuer Kraft zum Atemholen. Die Erfahrung zeigt: Kreuze können zum
Atheismus führen, zu Hoffnungslosigkeit und Depression. Sie spornen aber
auch an zu einer neuen Nachdenklichkeit. Was könnte dem Menschen Besseres
passieren?
Der russische Schriftsteller Dostojewski spricht vom "Heroismus" bei
denjenigen, die täglich das Kreuz auf sich zu nehmen die Kraft aufbringen.
Er schreibt: "Held sein, eine Minute, eine Stunde lang, das ist leichter als
in stillem Heroismus den Alltag tragen. Nehmt es nur auf euch, das Leben in
diesem grauen, eintönigen Alltag, dieses Wirken, für das euch niemand lobt,
dessen Heldentum niemand bemerkt, das in niemandem Interesse für euch
erweckt; wer diesen grauen Alltag erträgt und dennoch dabei Mensch bleibt,
der ist wirklich ein Held".
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