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Sonntagsgedanken für den Alltag (14):
Zum Goldenen Priesterjubiläum am 24. 7. 2011 – eine Bilanz.
(Nach Mt 13.44-52; Ev. vom 17.So im Jahreskreis A)
August 2011
Aus Anlass meines 50-jährigen Daseins als Priester wurde ich nach einer
"Bilanz" gefragt. Drei Anliegen habe ich genannt, die mir immer sehr wichtig
gewesen sind:
1. Der Satz des Evangeliums: Neues aus Altem hervorholen!
2. Aussagen über mich, ich sei vielen Leuten "auf den Wecker gegangen"!
3. Weck die tote, etablierte Christenheit!
Hier meine Gedanken dazu:
Kaum zu glauben, wie schnell ein halbes Jahrhundert vorüberzieht! Was war in
dieser Zeit? Was hat mich besonders beschäftigt? Im heutigen Evangelium (Mt
13.44-52) ist vom "Schatz im Acker" die Rede. Einen Schatz in einem großen
Acker zu suchen und zu finden – das ist eine anstrengende Angelegenheit. Wir
reden so gerne von der "frohen Botschaft". Für mich ist sie in den letzten
50 Jahren zu einer "anstrengenden Botschaft" geworden. Es ist schwer, ihr
Gehör zu verschaffen, obwohl doch das Wohl und Wehe des Menschen und der
Menschheit entscheidend von "Weisungen Gottes" abhängen. - Bei allem, was
gesagt werden müsste, möchte ich drei Anliegen kurz nennen, weil sie mir
besonders wichtig gewesen sind.
Im Evangelium des Mathäus steht der Satz: "Jeder Schriftgelehrte, der ein
Jünger des Himmelreiches geworden ist, gleicht einem Hausherrn, der aus
seinem reichen Vorrat Neues und Altes hervorholt" (Mt 13.52). – Ich glaube:
nichts hat in den letzten Jahrzehnten die Kirche mehr bewegt und erschüttert
als dieser Satz. Das Alte und das Neue! Ungefähr vor hundert Jahre hat es
schon Reformbewegungen gegeben in Bibel und Liturgie. Sie gingen davon aus,
dass in der Kirche viel Erneuerung angebracht ist. Papst Johannes XXIII. hat
die Notwendigkeit dazu erkannt. Er hat vor ca. 45 Jahren ein Konzil
einberufen mit dem Auftrag: Zurück zu den Quellen! Wir können nicht so
weiter machen wie bisher…
Seitdem gibt es Leute, die sich aufgefordert sehen, aus dem Alten Neues
hervorzubringen. Dazu gehöre auch ich. Ich habe im Laufe der Jahre viele
Menschen in allen Rängen der Gesellschaft persönlich kennen gelernt – zwei
sind sogar Kardinäle! –, denen das Neue verdächtig und Angst erregend ist.
Wer es anstrebt, gefährdet das Alte. Er wird als "Modernist" und
"Nestbeschmutzer" dargestellt, als ein "Angepasster" an den Zeitgeist. Mir
ist dabei aufgefallen, dass die Kämpfer gegen den "Zeitgeist" oft Menschen
sind, die sich dem Zeitgeist früherer Jahrhunderte verschrieben haben. Davon
kommen sie nicht los. Ihre kämpferische Devise lautet: "Vorwärts in die
Vergangenheit!" Denn früher waren Welt und Kirche noch in Ordnung. –
Vielleicht besteht die größte Sünde der Kirche und der Theologen darin, dass
sie nicht daran glauben wollen, dass stets Neues aus Altem hervorgeholt
werden muß, verbunden mit der Kunst, auch Altes zu erhalten. Deshalb
schreiben sie kluge Bücher; halten Verlautbarungen und Verordnungen in
Papieren fest; definieren genau, was Sache ist. Damit glauben sie, Gott
besonders zu Gefallen zu sein. Der Mut zur Zukunft, zu Veränderungen und zum
Voranschreiten in eine neue Zeit können in ihren Augen nur eine Beleidigung
Gottes sein! In der früheren Theologie nannte man das rückwärtsgewandte
Festhalten am Alten die "Sünde wider den heiligen Geist". – Man kann es auch
anders ausdrücken: ein Fahrrad, welches stehen bleibt, kippt unwillkürlich
um. So kann es auch mit der Kirche kommen…
Was habe ich in 50 Jahren gemacht? Versucht, im Sinne des Evangeliums und
des Konzils Neues aus Altem hervorzuholen! In manchen Äußerungen zu meiner
Person wird gesagt, ich hätte die Art, "anderen auf den Wecker zu gehen". -
Ich glaube, dass das stimmt. Seit 50 Jahren habe ich die Predigten und
Vorträge, die ich gehalten habe, nicht gezählt. Es können Tausende gewesen
sein. In den Gesprächen und Diskussionen danach habe ich immer wieder
festgestellt, dass die Eckdaten der biblischen Botschaft wohl bekannt sind:
das Hauptgebot der Liebe, die ethischen Forderungen der Barmherzigkeit, der
Gemeinschaft, der gegenseitigen Akzeptanz und Toleranz. Oft habe ich dabei
die auf den Wecker gehende Frage gestellt, die zu meiner Standardfrage
geworden ist: wie macht man das? Wie geht das mit der Liebe, der Toleranz,
der Konfliktlösung … in der Ehe und Familie; bei der Erziehung der Kinder
und Pubertierenden; mit dem feindlichen Nachbarn; im Dorf; an der
Arbeitsstelle, wo das Mobbing gang und gäbe ist…?
Sind wir Christen in solchen und ähnlichen Lebenslagen besser als "die
anderen"? In den letzen 50 Jahren habe ich bisweilen die Szene eines Don
Camillo und Peppone erlebt – nicht nur im Kino! Bisweilen hat es auch bei
mir gekracht. Krieg, Auseinandersetzung, gegenteilige Meinungen… darf es
ruhig gelegentlich geben. Aber dann muß auch wieder Friede sein. Wie macht
man das? Wie kann man mit all dem, was da täglich auf uns zukommt,
glaubwürdig und überzeugend fertig werden? –
Hinter meiner Art, anderen auf den Wecker zu gehen, steckt eine Angst:
nämlich dass das Christentum zu einer Sonntags-, Event- oder Salonreligion
werden könnte; eine Religion des äußeren, wenn auch feierlichen Getues; eine
Religion des Zuckergusses über den alltäglichen Quälereien des Lebens. .-
Was macht man in 50 Jahren? Noch ein Drittes möchte ich nennen. In
Gottesdiensten wird gerne gesungen: "Weck die tote Christenheit!" –
Rückblickend auf die 2.000 Jahre christlicher Geschichte habe ich mich oft
gefragt: wann hat es Zeiten gegeben, in denen die Christenheit wirklich
lebendig war? Mein Eindruck ist: auch Jesus hat es nicht fertig gebracht,
seine willige, aufmerksame und zugleich schwerfällige Gefolgschaft wach zu
machen. Bei seiner Verurteilung auf dem Ölberg schliefen seine Jünger… Am
Karfreitag haben sich die meisten als ziemlich beschämend-feige erwiesen.
Vieles hatten sie nicht verstanden; haben sich aber auch nicht besonders
bemüht.
Wach wurden viele erst an Pfingsten. Da heißt es, dass der schöpferische
Geist Gottes ihnen Mut zum Auftreten machte. Aber nicht nur den gläubigen
Jüngern und Juden. Es wird ausdrücklich betont, dass andere Sprachen und
Völker anwesend waren: Parther, Meder, Judäer, Kappadozier… (Apg 2.9). Es
wird deutlich gemacht, dass sich das Wirken Gottes nicht auf konfessionell
"Gläubige" beschränkt, auf eine Kirche oder Sondergruppe, sondern dass das
Wirkfeld Gottes die gesamte Menschheit ist. Damals hat die christliche
Botschaft Kraft und Dynamik entwickelt, weil alle Menschen guten Willens mit
einbezogen wurden. –
Als ich damals, nach meiner Priesterweihe, nach Afrika ging, sagte mir unser
alter, 8o-jähriger Generalobere: "Fritz, glaub bloß nicht, Du könntest den
Herrgott nach Afrika bringen. Der ist schon sehr lange vor Dir da". – Der
Satz hat sich bewahrheitet. Ich habe in Afrika viele Heiden und Moslems
getroffen, die religiös Suchende waren, manchmal viel gläubiger als die
missionierenden und bei der Entwicklung helfenden Christen. Bei bestimmten
Anlässen kamen sie scharenweise in meine Kirche. Ich habe sie weniger
"bekehrt" als sie mich.
Der Generalobere hat mir aber auch noch etwas anderes gesagt: "Fritz, wenn
Du nach Afrika gehst, kannst Du auch noch Bischof werden. Das wäre nicht die
erste, aber auch nicht die letzte Dummheit in der Kirche". – Nun, ich bin
kein Bischof geworden. Später in München hatte ich gelegentlich Kontakt mit
dem Bischof von Essen, Hengstbach, der auch noch Kardinal wurde. Er wollte
mich auf die bischöfliche Laufbahn schicken. Ich habe ihm damals gesagt:
"Bischof werden will ich nicht. Wenn schon, dann nur Papst!".
Damals lag es in der Luft, dass vielleicht schon bald ein Deutscher Papst
werden würde. Dass der Herrgott einen anderen genommen hat, mich aber nicht,
ist mir bis heute ein Ärgernis. Ich kann nur hoffen, dass der Herrgott seine
Wahl nicht eines Tages bereuen muß.
"Weck die tote Christenheit!" Wie macht man das? Ich habe von Pfingsten
gesprochen. Was vor ca. 45 Jahren geschah, ist oft als "Pfingsten in unserer
Zeit" bezeichnet worden. Es war Papst Johannes XXIII., dem das Wecken
gelungen ist. Ich war damals in Paris. Da habe ich nicht nur die
katholischen Zeitungen gelesen, sondern auch die kommunistischen und
nicht-christlichen. Sie waren voll von Aussagen und Ansagen des Papstes: ein
Papst, der zuhört; der begreift, welches die wirklichen Probleme der
Menschheit sind; der sich auch etwas sagen lässt…
Die tote Christenheit kann in der heutigen Zeit nur wach werden in der
Konfrontation mit der Welt, mit anderen Weltanschauungen und Bekenntnissen.
Sie muß der Welt begreiflich machen, dass sie auch etwas Entscheidendes zu
sagen hat; dass sie eine lebensfähige Alternative ist zu dem, was die
Menschen und die Menschheit kaputt macht. Ein wichtiger Impuls von Johannes
XXIII., der leider beim Theologisieren der Konzilsväter nicht genug beachtet
worden ist, lautete: Gott kann von keiner Religion oder Konfession
vereinnahmt werden. Das Wirkfeld Gottes ist die zu heilende und zu erlösende
Welt!
Aus dieser Perspektive heraus konnte der Papst Kontakt aufnehmen mit
Kommunisten und Atheisten. Zum Entsetzen vieler frommer Christen und
Vatikanbeamten hat er sie nach Rom eingeladen, nicht nur zum Händeschütteln
vor dem Fernsehen. Sein Grundgedanke war: weil alle Menschen ohne Ausnahme
zu dieser Schöpfung gehören, kann nicht alles falsch sein, was sie sagen und
tun! Es geht darum, den Weizen mitten im Unkraut zu sehen; die Perle zu
finden, die im Acker verborgen liegt. Wenn es um Frieden, Gerechtigkeit und
um die Zukunft der Menschheit geht, hat die Zusammenarbeit aller Gutwilligen
auf der Erde höchste Priorität.
Wenn das Wirkfeld Gottes die ganze Schöpfung ist – was ist dann mit der
Kirche? Wird sie überflüssig? Christliche Zusammenkünfte sollen nicht nur
lebendiger werden; sie haben eine Vorreiterrolle zu spielen zum Heil der
Welt. Sie sollen nicht nur Licht der Welt und Salz der Erde sein, sondern
auch das Gewissen der Menschheit zu seiner eigenen Rettung.
Drei Grundanliegen von mir!: Das Alte und das Neue! Das auf den Wecker
gehen! Das Wecken der toten Christenheit! Ich gebe zu, dass sie mir in den
letzten 50 Jahren nur wenig gelungen sind. Aber: wir haben ja noch 50 Jahre
Zeit!
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