"Sündenvergebung" – was öffentlich ist, muß öffentlich vergeben werden.
(Nach Mt. 18.15-20; Mt. 18.21-35; Ev. vom 23. u. 24. So. im
Jahreskreis A)
September 2011
Der Säufer. Er hat niemanden umgebracht, hat keine Schuld auf sich
geladen... Als "Privatmann" war er ein Säufer. Er war bekannt in der ganzen
Gemeinde. Nüchtern war er selten. Eines Tages bekam er Gewissensbisse. Er
ging zum Pfarrer, um von ihm die Lossprechung von seiner "Sünde" zu
erhalten. Schließlich fühlte er sich von vielen anderen isoliert... Der
Pfarrer zögerte. Er wies den reuigen Sünder an, in vier Wochen
wiederzukommen. In der Zwischenzeit ging der Pfarrer mit zwei
Verantwortlichen seiner Gemeinde zu der Familie des "Reumütigen", um sich
ein Bild über die Situation seiner Frau, der Kinder, ihrer finanziellen
Lage, der nächsten Nachbarschaft... zu machen.
Nach vier Wochen meldet sich der Betroffene wieder. Der Pfarrer schildert
ihm die Situation und fordert ihn zu Schritten auf, die notwendig sind, um
die Folgen seines Verhaltens auf Familie und Umwelt zu beseitigen. Er weist
ihn darauf hin, dass sich das Saufen in böser Weise auf das Leben der Kinder
und anderer Menschen auswirkt. Deshalb kann der Betroffene erst
losgesprochen werden, wenn er nachweislich und willentlich die notwendigen
Maßnahmen ergreift. Ändert er sich nicht, gibt es für ihn keine Gnade. Das
Evangelium fordert sogar, dass bei sehr hartnäckigen Sündern Geduld und
langer Atem notwendig sind. Auf die Frage des Petrus: "Wie oft muß ich
meinem Bruder vergeben?" antwortet Jesus: "Nicht bis zu siebenmal, sondern
bis zu siebenundsiebzig mal".
Dabei ist die soziale Dimension aller Vergehen zu beachten. Was
"öffentlichen Charakter" hat, muß auch öffentlich verhandelt werden. Erst
wenn die "Flurbereinigung" stattgefunden hat; wenn die Vater-unser-Bitte
"Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern"
ernstlich beachtet wird, kann es für die Apostel heißen: "Was ihr auf Erden
bindet, wird auch im Himmel gebunden sein; was ihr löst, wird auch im Himmel
gelöst sein".
Es hat Zeiten in der christlichen Geschichte gegeben, in denen die Weisung
des Evangeliums sehr ernst genommen wurde. Da konnte der Pfarrer nicht dem
Prinzip der "ganz persönlichen Schuld" folgen und – sozusagen im Beichtstuhl
unter vier Augen – seine "Amtsvollmacht" der Sündenvergebung zur Geltung
kommen lassen. Vielleicht ist deshalb die Beichtpraxis massiv
zurückgegangen, weil sie, nach der Auflage einer Buße von einem Gesetz des
Rosenkranzes, ohne jede Folgen blieb. Eine verheerende Nachwirkung dieser
Praxis persönlicher Frömmigkeit und Innerlichkeit hat zur
"Individualisierung" des Glaubens beigetragen. Der Glaube ist "Privatsache"
geworden. Kirchliche Zusammengehörigkeit wird nicht mehr als wichtig
erkannt...
Das Prinzip "Nicht ohne die Gemeinde" galt auch für andere Bereiche
kirchlichen Lebens. Zum Beispiel durfte niemand zum Bischof ernannt werden
ohne die Zustimmung des betroffenen Klerus und wichtiger Personen in den
Gemeinden. Würde dieses Prinzip heute noch seine Gültigkeit haben, müssten
manche Weihbischöfe, Bischöfe und Kardinäle zurücktreten, um wieder Pfarrer
in einer Dorf- oder Stadtgemeinde zu werden. Wir hätten keinen
Priestermangel mehr... "Gültig und legitimiert" könnte nur einer Bischof
werden, wenn die Regeln eingehalten werden. Nur dann würden die Gläubigen
ihm Gehorsam und Anerkennung schulden.
Wir sehen heute, dass es im Laufe der Jahrhunderte anders gekommen ist. Der
Papst in der Versuchung, Ja-Sager um sich zu versammeln, setzt ziemlich
beliebig seine Bischöfe ein. Auch wieder zum Ja-Sagen auserwählt? Jedenfalls
bestimmt der Papst, wer "von Gott berufen" ist. Mit den Weisungen des
Evangeliums hat das wenig zu tun, höchstens mit Praktiken mittelalterlicher
Könige und Fürsten. Das zweite Vatikanische Konzil unter Papst JOHANNES
XXIII. wollte im "Zurück zu den Quellen" in manchen Bereichen Abhilfe
schaffen. Initiativen in dieser Richtung wurden in der Folgezeit von
"Würdenträgern" und "traditionell Gläubigen" vereitelt. Seitdem ist die
Bibel zu einer gewaltigen Zerreißprobe für die Kirche geworden... Wer sie
dennoch als Maßstab für viele Weichenstellungen einsetzen möchte, riskiert,
als "Protestant" und "Ketzer" eingestuft zu werden.
Wenn der Papst demnächst nach Deutschland kommt, sollte er – statt dass die
vielen uninformierten Neugierigen die Szene beherrschen - Einiges zu hören
bekommen. Als guter Theologe müsste er wissen, worum es geht. Aber:
Kirchendiplomat und Politiker geworden, steigt die Neigung zur theologischen
Vergesslichkeit. Was "nutzbringend" ist, erhält Priorität. Es muß in den
bisherigen Kram hineinpassen...
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