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Wer sich "Heiliger Vater" nennt, leistet dem Unglauben Vorschub.
(Nach Mt. 23.1-12; Ev. vom 31. So. im Jahreskreis A)
November 2011
Das Bild, welches der Evangelist von denen zeichnet, die auf dem Stuhl
des Moses sitzen – es wird bei allen möglichen kirchlichen und weltlichen
Veranstaltungen im Fernsehen übertragen. Sie tun alles, so heißt es, sich
vor den Menschen zur Schau zu stellen. Sie haben breite Kleiderquasten um
den Bauch; sie nehmen selbstverständlich die ersten und obersten Plätze für
sich in Anspruch; auf den Straßen und Plätzen wollen sie gegrüßt werden: als
Lehrer, Hochwürden, Excellenzen und Eminenzen, als "Heiliger Vater".
Den Menschen von damals und heute wird aufgetragen, alles zu tun und zu
befolgen, was sie sagen. Aber ihrem Beispiel folgen – das sollen sie nicht.
Sie sollen auch niemand von ihnen Meister, Lehrer oder Vater nennen. Denn es
gibt für alle nur einen Lehrer und Meister: Christus. Es gilt auch nur der
einzige Vater, der im Himmel ist...
Warum werden diese Titel als so bedenklich dargestellt? Offensichtlich, weil
Menschen, die sie tragen, schnell in eine Rolle hineinschlüpfen können, die
sie etwas sein lassen, was sie nicht sind – jedenfalls nicht das, was
erhabene Titel zum Ausdruck bringen. Sie spielen sich selbst und anderen
etwas vor. Sie erheben sich über das Menschliche hinaus – vielfach in
demütiger religiöser Pose, um auf jeden Fall von vielen gesehen und beachtet
zu werden. Auf der einen Seite rücken sie sich selbst in die Nähe Gottes,
agieren "in persona Christi" und werden "Gottes Stellvertreter auf Erden" –
auf der anderen Seite werden Menschen gesucht und gefördert, die in
religiöser Unmündigkeit verbleiben: aufgefordert zu "Demut und Gehorsam"!
Der Evangelist entwirft dagegen die Utopie von Menschen, die unter sich
"alle Brüder und Schwestern" sind. Wie kann diese Utopie gelingen? Denn im
Grunde sind die Menschen in den niederen Rängen genauso wie diejenigen, die
sich in der breiteren Öffentlichkeit als Autoritäten und "bessere Menschen"
zeigen. Beispiele finden sich in nahezu allen Lebensbereichen: in Ehen,
Familien, Parteien und Betrieben... Überall zeigen sich die "Alpha-Typen",
ob sie es sind oder nicht. Sie wollen gern das große Wort führen, "die Hosen
anhaben" und anderen überlegen sein, indem sie "mobben" und alle
ausschalten, die ihnen ebenbürtig sind und ihren eigenen Ansprüchen zur
Gefahr werden könnten.
In der Familie kann es der Mann sein, der gern den "Pascha" spielt. Oder
auch die Frau, die mit Tränen und diplomatischem Geschick alles durchsetzt,
was sie durchgesetzt haben möchte. Gewöhnlich sind obrigkeitliches und
herrschaftliches Gebaren zum Nachteil des Anderen, besonders auch der
Kinder, die gegenüber mächtigen Erwachsenen keine Nische finden, um sich zu
selbstständigen und freien Persönlichkeiten zu entfalten. Schwerwiegend und
folgenreich wird es, wenn die pädagogische Unfähigkeit von Eltern und
Erwachsenen im sozialen Umfeld zu einer Blindheit führt, die es unmöglich
macht, Kinder in ihrer jeweiligen Eigenart zu akzeptieren und entsprechend
unterschiedlich zu fördern.
Der Drang nach Ansehen, Macht und Einfluss findet sich überall da, wo
Menschen sind, wo sie miteinander leben und arbeiten. In der Unfähigkeit,
die Utopie des Evangeliums über die Menschen überhaupt ernst bzw. in Angriff
zu nehmen, können sich kirchliche und gesellschaftliche Konstellationen
ergeben, in denen Dünkel und Ellebogen eine größere Rolle spielen als der
Verstand, als biblischer Glaube, Mitmenschlichkeit und Verständnis
füreinander.
Der Auftrag Jesu an seine Jünger und Zuhörer/Innen: Bei euch soll es nicht
so sein; Ihr alle seid Brüder und Schwestern! Denn wer sich selbst erhöht,
der wird erniedrigt werden. Wer der Größte sein will, der soll der Diener
aller sein... Wie kann dieser Auftrag Wirklichkeit werden – als Gegenmittel
gegen die "normale Triebhaftigkeit" des Menschen, die nichts anderes wissen
und praktizieren will als Herrschen und Regieren.
Die Erfahrungen mit Menschen und Religionen lassen den Glauben kaum noch
aufkommen, dass die Titel "Diener aller Diener" und "servus servorum Dei"
ernst zu nehmende Faktoren sind. Aber wenn sich schon jemand so bezeichnet –
was müsste er realistisch tun? Welche Zeichen und Verhaltensweisen müsste er
setzen, wenn der Auftrag Jesu keine Luftblase für Sonntagsreden bleiben
soll?
Ich stelle mir vor, dass das Ablegen allzu prunkvoller Gewänder das Erste
sein müsste. Ebenso der Würde-Symbole aus Gold und Silber. Es sollte sogar
der ungewöhnliche Fall möglich gemacht werden, dass bei öffentlichen
staatlichen und religiösen Veranstaltungen der Bundespräsident, die
Kanzlerin, die Minister und andere sich wichtig nehmende Persönlichkeiten
die ersten Plätze einnehmen – dass die Vertreter der Kirche mit ihren
"Dienstgewändern", mit ihren violetten und roten Farben auf dem Kopf bewusst
die letzten Ränge besetzen. Das Ausziehen aus Residenzen und Palästen, das
Zeugnis eines "einfachen Lebens", das Benutzen kleinerer Autos – alles das
entspräche wohl dem Auftrag Jesu: Ihr seid dafür da, Zeichen für das
Kommende zu setzen, statt den gegenwärtigen Götzen ergeben zu sein!
Wer sich de facto im Widerspruch zum Evangelium befindet; wer sich selbst
zum Anwalt menschlicher Ambitionen macht, darf sich nicht wundern, dass sich
der übrige Teil des christlichen Volkes primär an materiellen Werten
orientiert, die Aufmerksamkeit und Ansehen versprechen. Im Evangelium ist
nicht nur von Menschen die Rede, die wirtschaftlichen Interessen ergeben
bleiben, sondern auch von einfachen Leuten, die in ihrem kleinen
Lebensbereich das wahr machen, was gefordert wird: Es gibt nur Einen Lehrer,
nur Einen Vater, nur Einen gemeinsamen Gott für alle. Demnach könnte sich am
Ende der Zeit die für Mächtige und Reiche peinliche Situation ergeben, die
da heißt: "Die Ersten werden die Letzten sein und die Letzten die Ersten" (Lk
13.30). Und: "Viele sind berufen, wenige nur auserwählt" (Mt 22.14).
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