Sonntagsgedanken für den Alltag (5):
"Mensch werden" – mit Gottes und der Menschen Hilfe.
(Nach Joh 1.1-5; 9-14; Ev. v. Weihnachtstag)
Weihnachtsgedanken (Am Tag 2010)
Der heilige Johannes macht sich Gedanken über den Anfang und das Ende
aller Dinge. Und behauptet: Alles, was ist; was geworden ist; was geschaffen
ist; alle Dinge im Himmel und auf der Erde haben im schöpferischen Wort
Gottes ihre Ursache. Deshalb liegt auch allem Existierenden von Anfang an
ein Sinn zugrunde. Doch die Menschen sind von sich aus nicht in der Lage,
diesen Sinn zu erkennen. Deshalb ist das "Wort Gottes" Mensch geworden.
Durch sein Reden und Tun hat der "Fleisch Gewordene" dem menschliche Dasein
"Sinn" erschlossen. Doch die Menschen haben auch das wieder nicht erkannt.
"Er kam in sein Eigentum, doch die Seinen nahmen ihn nicht auf..."(Joh 1.
11).
Man könnte daraus den Schluss ziehen: erst wenn die Menschen den aufnehmen,
der in sein Eigentum kommt, werden sie den Sinn des Lebens verstehen und
dabei "Mensch werden". Das Wort "Menschwerdung" spielt an Weihnachten und im
Christentum überhaupt eine große Rolle. Wieso eigentlich? Sind wir keine
Menschen? Wieso sollen wir noch Mensch werden? Was fehlt uns denn noch?
Wenn wir im Christentum vom "Mensch werden" sprechen, bemerken wir auf
Anhieb nicht, dass dieses Anliegen auch in den heutigen Humanwissenschaften
eine zentrale Rolle spielt: in der Psychologie, in der Tiefenpsychologie und
Psychoanalyse... Mit solchen Wissenschaften sind wir moderne Menschen ja
sehr vertraut. Wer ist nicht schon einmal bei einem Psychologen gewesen? Wer
hat nicht schon einmal durch irgendeine Therapie Selbsterfahrung,
Selbstfindung, Selbstverwirklichung gesucht? Die Psychologie geht von der
Erkenntnis aus, dass Schäden und Mängel im menschlichen Leben schon in der
Kindheit grundgelegt sein können.
Da ist der Vater zu streng und autoritär gewesen und hat dem Sohn/ der
Tochter keine Chance gegeben, ein Selbstwertgefühl zu entwickeln... Da war
die Rabenmutter. Sie hat ihr Kind nie richtig angenommen, nie warmherzig in
den Arm genommen und vielfältig vernachlässigt... Da war die tätschelnde und
verwöhnende Oma, die den Eindruck einprägte, es gäbe im Leben keine
Probleme, die jeder selbst lösen muß. Sie würden immer durch Oma oder andere
gelöst... Da ist ein Kind, aufgewachsen in sehr ärmlichen Verhältnissen.
Dies hat dazu geführt, dass die Armut ein Leben lang kompensiert wird durch
Geiz, durch die Anhäufung von Besitz und Gut, durch die Raubgier an den
Gütern dieser Welt...
Verhaltensforscher behaupten und beweisen es schlüssig, dass es die
Grausamkeiten, die Menschen sich antun, in der Tierwelt nicht gibt. Unter
den Menschen herrschen weltweit Machtgier, Besitzgier, Plünderung des
Globus, auf dem wir leben, Zerstörung der Umwelt um des Geldes willen,
Raubbau an der Pflanzen- und Tierwelt. – Tatsächlich gibt es keine
Tagesnachricht mehr, in der nicht von der Tötung einer Vielzahl von Menschen
auf der "jeweils anderen Seite" berichtet wird. Ob christlich oder
nichtchristlich, ob gläubig oder nichtgläubig – die Menschen gewöhnen sich
daran. Sie wehren sich nicht.
Warum ist das so? Weil die Menschen den Sinn und Zusammenhang aller Dinge
und Lebewesen nicht begreifen (wollen). Sie sind zu sehr von ihren bewussten
und unbewussten Trieben beherrscht. Sie sägen den Ast ab, auf dem sie alle
sitzen. Sie zerstören die Natur, die Lebensgrundlage für sie alle ist. Sie
machen das wahr, was jemand kürzlich als Hauptproblem für die nächste
Zukunft prophezeit hat: die Menschheit zu überzeugen, dass sie etwas gegen
ihren eigenen Untergang tut!
Das Evangelium behauptet: der Mensch von sich aus ist unfähig, Mensch zu
werden und eine Lebensweise zu erlernen, die dem Leben und Überleben aller
dienlich ist. Er bedarf der Befähigung und Orientierung durch den "Mensch
Gewordenen", der allem Leben Sinn verleiht. Wenn es den Vertretern der
christlichen Botschaft nicht gelingt, den Menschen über das Berauschende
ihrer liturgischen Feste hinaus die Wichtigkeit der Besinnung und Sinn-Suche
zu vermitteln – wieso sollte es den Psychologen gelingen, die auch nichts
anderes tun als dem Menschen zu helfen, jenseits seiner Macken und Gebrechen
zu seiner Menschwerdung zu finden? Die größte Gefahr für die Zukunft der
Menschheit besteht darin, dass die de-facto-Lebensweise der meisten ihre
Gültigkeit behält: Wie zur Zeit des Noach amüsieren sich die Menschen bis zu
ihrem eigenen Untergang!
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