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Pater Fritz Köster
Propsteistraße 2
56154 Boppard-Hirzenach
Alles Leben ist Herausforderung,
welche nach Antwort verlangt.
   
Bild: Pater Fritz Köster SAC.

Sonntagsgedanken für den Alltag (6):
Ein Bollwerk sein gegen alles Böse in der Welt.

(Nach Eph. 1.3-6;15-18; Lesung v. 2. So. n. Weihnachten A)

Januar 2011

Im Christentum herrscht der Gedanke vor, dass die Menschheit "verloren" ist und der Erlösung bedarf. Tatsächlich machen wir unaufhörlich die Erfahrung, dass die Menschen viele Dummheiten begehen: im Großen der Politik und der Kirchen wie im Kleinen des Alltags. Das war und ist in der Geschichte des christlichen Abendlandes nicht anders als in Ländern anderer religiöser Orientierung und Weltanschauung. Die Menschen sind so, wie sie u.a. Freud und Adler schon lange beschrieben haben: von unbewussten oder bewussten Trieben und Interessen geleitet. Wo sie zum Zuge kommen, sind sie zerstörerisch und vergewaltigend.

Worin besteht dann die "Erlösung"; was bewirkt der "Erlöser der Welt"? Christen haben Jesus immer als "Erlöser der Welt" beschrieben mit der Konsequenz, dass sie sich ganz auf ihn verlassen (haben), ohne besonders erlöst zu sein. Vielleicht sollten sie aufhören, im abstrakten Sinne vom "Erlöser" zu reden; vielmehr von seinen heilsamen und erlösenden Worten und Taten. Damit hat er den Menschen in seiner Nachfolge ein Beispiel gegeben, wie auch sie in einer unerlösten Welt heilsame und erlösende Taten vollbringen sollten – sozusagen als Weizenkörner, die wachsen und gedeihen, um reiche Früchte hervorzubringen.

Im Epheserbrief spricht der hl. Paulus davon, dass Gott uns Menschen Macht gegeben hat, damit wir "untadelig und heilig vor Gott leben". Von zwei Geistesgaben ist die Rede: von der Weisheit und Offenbarung. Wenn Menschen bereit sind, sich darauf einzulassen, sind sie geeignet, als "Bollwerk" gegen alle Bosheiten in der Welt Heilsames und Erlösendes zu wirken...

Die Weisheit ist die Fähigkeit, sich auf Wesentliches zu besinnen und zu konzentrieren. Eine solche Begabung ist nicht selbstverständlich. Normalerweise ist jeder Mensch von Anfang an auf die Planung und Organisation seines eigenen Lebens konzentriert: auf Schule und Ausbildung; auf Berufsausübung und Karriere; auf Familiengründung und Häuschenbau... Dabei gibt es Tausende große und kleine Maßnahmen, die beschäftigen und absorbieren. Erst im Alter oder nach Rückschlägen und Lebenskatastrophen werden Einsichten geweckt, die es vorher nicht gab. Menschen mit langen und auch tragischen Erlebnissen traut man normalerweise "Weisheit" zu im Blick auf die Tatsache, dass niemand etwas von seinen Besitztümern und Erworbenem mitnehmen kann ins Grab. Der Volksmund glaubt einen "Weisen" an drei Dingen erkennen zu können: "Er schweigt, wenn Narren reden. Er denkt, wenn andere glauben. Er handelt, wenn Faule schlafen". – A. Camus drückt es anders aus: "Ein Weiser lebt von dem, was er hat. Er spekuliert nicht auf das, was er nicht hat".

Das Evangelium erwähnt mit der Weisheit die Offenbarung. Damit wird zur Sprache gebracht, dass der Mensch auf dem Weg ist und dass ihm im Laufe seiner Lebenserfahrungen "Offenbarungen" und Einsichten geschenkt werden. Man könnte dieses Wirken Gottes – statt "Individualisierung" – "Personalisierung" nennen. Der Botschaft des Evangeliums ist offensichtlich viel an der Person-Werdung des Menschen gelegen, an seiner Freiheit und Eigenverantwortung, was schwer mit der Einordnung in ein ideologisches System zu vereinbaren ist. Die Frage, die sich heute auch für die Kirchen massiv stellt, lautet: Wie kann die Notwendigkeit eines persönlichen Gewissens mit Bestrebungen in Einklang gebracht werden, die den Gehorsam, die Unterordnung unter eine religiöse Autorität, den Glauben an allgemein gültige "Wahrheiten" fordern und als "allein selig machend" lehren?

Vielleicht kann die Antwort nur darin liegen, dass es zuerst immer nur den Menschen gibt, der von Gott personal und existentiell angesprochen wird. Religiös denkende Menschen haben sich aber auch immer in Gruppen und Gemeinschaften, in "Kirchen" zusammengetan. Sie haben Gemeinschaften geschaffen. Umgekehrt haben sich Gemeinschaften und Kirchen – im Verlauf ihrer "Strukturierung" und autoritär-lehrreichen "Zementierung" - immer schwer getan, freie Menschen zuzulassen. (Selbsternannte) Autoritäten mit ihren "Wahrheiten" sind schnell hinderlich für eine Entwicklung in Freiheit und Mündigkeit. Vielleicht lagen dogmatisches und rechtliches Denken deshalb außerhalb der Predigt Jesu, weil sie Blockaden sind zum eigen verantworteten Leben und Handeln. Die Praxis der Gottes- und Nächstenliebe mobilisiert nicht so sehr den (akademischen) Kopf des einzelnen, sondern sein Hinschauen auf das, was sich in der Realität des Lebens als wichtig erweist.

Die Liebe kann immer nur in der Konkretheit des Lebens gelebt werden. Wäre dieses Gebot zentral geblieben – statt das Herumhantieren mit "Wahrheitsansprüchen" - , hätte es wahrscheinlich keine Kirchenspaltungen, keine Religionskriege, keine Ketzer- und Hexenverbrennungen gegeben. Die "Wahrheit" hat Vorrang gehabt vor der Liebe – eine Verkehrung dessen, was Jesus verkündet hat?


Letzte SeitenÄnderung: 02.03.2011.
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