Sonntagsgedanken für den Alltag (7):
Der Friede: Meisterstück religiöser Vernunft.
(Nach Mt 5.1-12a; Ev. v. 4. So. im Jahr A)
Februar 2011
Die Bergpredigt gilt allgemein als ein Kernstück in der Predigt Jesu. Ein
zentraler, stets aufgegriffener und diskutierter Satz ist die Seligsprechung
der "Friedfertigen": "Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne (und
Töchter) Gottes genannt werden".
Der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt soll einmal den Ausspruch getan
haben, die Bergpredigt sei für das politische Geschäft wenig geeignet.
Tatsächlich hat Jesus keine Politiker vor sich gehabt, als er zum Frieden
aufrief. Überhaupt kann man sich im ganzen Evangelium des Eindrucks nicht
erwehren, dass Jesus wenig Vertrauen hatte zu den Mächtigen, die noch
mächtiger werden wollen; zu den Reichen, die stets darauf bedacht sind, noch
reicher zu werden; zu den Starken, die zu jeder Zeit von ihren Fäusten und
Schießeisen Gebrauch zu machen pflegen; zu denen, die immer gern die ersten
Plätze für sich beanspruchen…
Vielleicht hat Schmidt dasselbe wie Jesus gemeint: es gibt Menschen, die
"von Natur aus" und bei ihren persönlichen Ambitionen ungeeignet für den
Frieden sind. Sie greifen stets zu gewalttätigen Maßnahmen – zum Schwert - ,
oder schließen sich Ideologien und Seilschaften an, die ihnen und ihrer
Karriere von Nutzen sind. Dass ihr Verhalten auf religiösem oder politischem
Gebiet nicht besonders überzeugend ist, sogar kontraproduktiv, wollen sie in
ihrer Selbstgefälligkeit nicht wahr haben. –
Jesus hat sich offensichtlich nicht an Menschen gewandt, die krankhaft auf
sich selbst bedacht sind; für die der Friede nichts anderes ist als die
Fortsetzung eigener Ambitionen mit oft schwer durchschaubaren Mitteln. Dem
gegenüber ist Friede eine Tugend, eine menschliche Fertigkeit, ein Können,
eine Geisteshaltung, eine Neigung zu Güte, Verstehensbereitschaft, Vertrauen
und Gerechtigkeit (wie es Baruch Spinoza formuliert hat). Friede ist eine
hoch entwickelte Fähigkeit zu Menschlichkeit und Mitmenschlichkeit. Wie
jedes hohe Gut, wie jeder groß gewachsene Baum fängt der Friede "klein" an.
Er muß von Kindesbeinen an, in den unauffälligen Angelegenheiten des Lebens,
gelernt werden.
Jesus weiß das. Er wendet sich meistens an diejenigen, die in den kleinen
Dingen des Alltags friedfertig zu sein vermögen. Es sind diejenigen, die
traurig sind über den unerlösten Zustand der Welt und die kindisch-unreifen
Verhaltensweisen der Menschen. Es sind diejenigen, die hungern und dürsten
nach einer Gerechtigkeit, die "anders" ist als die der Egoisten; auf die
jeder Mensch ein Recht hat.
Jesus richtet seine Bergpredigt an die Kleinen und Einfachen, nicht an die
Satten und Selbstgerechten. Auch Paulus hat in der Gefolgschaft Jesu die
"Berufenen" nicht unter den "vielen Weisen im irdischen Sinne" entdeckt,
nicht unter den vielen Mächtigen und Vornehmen. Nach ihm hat Gott "das
Törichte und Schwache in der Welt erwählt, um die Weisen und Starken
zuschanden zu machen" (vgl. 1Kor 1.26-31). Mit anderen Worten: Jesus
vertraut auf die Kraft und innere Stärke des einfachen Volkes, welches
weniger durch Ideologien und "Lehrsysteme" als viel mehr in der Härte des
Alltags zu seinen Einsichten gekommen ist. Ob solche Kräfte in der Kirche
jemals ein Gewicht bekommen?
In der Kirche, so wie sie ist, wird seit 50 Jahren immer wieder vom "Dialog"
gesprochen, der allerdings nie recht zustande kommt. Denn zwei Denkansätze
stehen sich unversöhnlich gegenüber: für die einen ist der Klerus (Papst,
Bischöfe und Priester) "die Kirche"; für "Untertänige" je nach Rang und
Würde sind Treue-Eide, Gehorsam und Untertänigkeit angesagt; erst recht für
"die Laien". – Für die anderen ist die Kirche das "wandernde Volk Gottes",
wie es in der Zeit vor Johannes Paul II. und Benedikt VI. noch
"zukunftsoffen" gedacht wurde. Das wandernde Volk Gottes baut sich von den
Menschen und ihren "Charismen" her auf; es gestaltet "Kirche" und
christliche Gemeinschaften, die nicht einer "Hierarchie" dienen, sondern
denen eine Hierarchie zu dienen hat.
Im Blick auf die Befreiungskämpfe am Ende der DDR, im Blick auf Tunesien und
Ägypten stehen auch für die Kirche die Zeiten auf Sturm, wie der Evangelist
Lukas sie beschreibt: "Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die
Niedrigen" (Lk 1.52). - Die theologisch Mächtigen? Die hierarchisch
Hochstehenden? Die durch Weihe und Sakrament besonders Geheiligten? Manchmal
kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Auskunft des
Evangelisten in manchen "christlichen Kirchen" (die sich nach päpstlicher
Weisung im eigentlichen Sinne nicht "Kirchen" nennen dürfen!!!) bereits
ernst genommen wurde. In ihnen sind willige Männer und Frauen existentiell
eingebunden und aktiviert – wohl nach den Vorgaben dessen, was Jesus mit
"Reich Gottes" (statt fest zementierter Kirche!) gemeint hat. Die Suche nach
dem biblischen Urgestein, nach dem, was Jesus wirklich gewollt hat und
dessen Verwirklichung, werden auf Zukunft hin die zentralen Aufgaben sein.
Wenn sie in allen christlichen Kirchen bereits Hauptanliegen wären – die
Botschaft vom Frieden würde in der Welt ihrer Verwirklichung näher kommen.
Und die Kirchen hätten einen guten Anteil daran.
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